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Politik

"Der Kameramann bekam sogar Handschellen"

Magdalena Gwozdz-Pallokat
6. Oktober 2021

Die Arte-Journalistin Ulrike Däßler wurde im ostpolnischen Grenzgebiet zu Belarus verhaftet und eine Nacht lang in Einzelhaft gehalten. Im Exklusivinterview mit der DW erzählt sie, wie es dazu kam.

Die ARTE-Journalsitin Ulrike Dässler
Die Arte-Journalistin Ulrike Däßler beim Filmen in einem Dorf im polnischen Grenzgebiet zu BelarusBild: A. Schaal/ARTE TV

DW: Mit der Ausrufung des Ausnahmezustands hat Polen einen drei Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze zur Belarus de facto zum Sperrgebiet für Journalisten und Flüchtlingshelfer gemacht. Sind Sie gerade deswegen dorthin gefahren, weil nicht berichtet werden soll?

Ulrike Däßler: Wir sind nicht dorthin gefahren, um in das Sperrgebiet einzudringen. Unser Ziel war, über die Menschenrechtslage zu berichten, darüber, wie es aussieht in den Gebieten, in denen wir uns noch aufhalten dürfen. Wir hatten nicht die Absicht, polnisches Recht zu missachten. Bilder der Flüchtlinge im Grenzgebiet gibt es seit Wochen, dafür muss man also keinen Ärger riskieren.

Den gab es aber trotzdem. Wie kam es dazu?

Zunächst sind wir in einen Ort nahe der Grenze gefahren, um uns beim Grenzschutz vorzustellen. Wir haben gefragt, ob wir eine Patrouille und ein paar Grenzschützer filmen dürfen, weil wir keine Unannehmlichkeiten wollten. Uns wurde gesagt, wohin wir fahren dürfen und wohin nicht, nämlich in diejenigen Orte, vor denen bestimmte Schilder stehen. Das haben wir auch nicht gemacht.

Polnische Sicherheitskräfte umringen am 1.09.2021 Migranten an der Grenze zu BelarusBild: Czarek Sokolowski/dpa/AP/picture alliance

Wir haben dann ein Interview geführt in einem Ort, wo das erlaubt war. Dann sind wir einen breiten Weg entlanggefahren, der auch erlaubt war, fanden uns aber auf einmal auf einer Asphaltstraße wieder. Wir hatten kein Internet, das funktioniert da draußen nicht. Wir sind dann abgebogen und trafen auf Grenzschützer. Die stoppten uns, und als wir sie fragten, wohin wir fahren dürfen, sagten sie uns: "Sie sind im Sperrgebiet und müssen sofort umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung wieder zurückfahren."

Das haben wir auch gemacht in der Hoffnung, schnell wieder aus dem Sperrgebiet rauszukommen. Aber auf einmal waren wir in einem Dorf, das für Journalisten gesperrt ist - und da stand auch schon die Polizei.

Gab es dort ein Schild, das das Dorf als Teil des Sperrgebiets auswies?

Ja, und ein paar Meter dahinter stand die Polizei und hat uns sofort gestoppt. Wir wollten sie fragen, was wir denn nun machen sollen. Wir konnten ja nicht zurück, hinter uns waren ja die Grenzschützer und nach vorne konnten wir auch nicht weiter. Wie kommen wir also aus dieser Situation raus? Aber das hat sie gar nicht interessiert. Sie haben gesehen, dass wir Journalisten und verbotenerweise im Sperrgebiet sind.

Polnische Soldaten an der mit Stacheldraht bewehrten Grenze zu Belarus am 26.08.2021Bild: Maciej Moskwa/NurPhoto/picture alliance

Dann kam immer mehr Polizei, auch in zivil. Nach circa drei Stunden wurden wir - mein Kameramann, meine Stringerin und ich - in drei verschiedene Autos geladen und zur Polizeistation gebracht. Der Kameramann bekam später sogar Handschellen. Ich wusste weder, dass ich verhaftet worden war, noch warum, noch was mit meiner Kollegin und meinem Kollegen passierte.

Wie wurden Sie von der polnischen Polizei behandelt?

Erstmal wurden zwei Stunden lang Personalien aufgenommen. Ich saß mit einer Polizistin in einem Zimmer und wenn ich auf Toilette musste, folgte sie mir, damit ich nicht weglaufe. Dann hat die Polizistin meine Daten aufgenommen, so gut es mit ihrem Englisch möglich war. Später wollte sie dann die Telefonnummern meines Vorgesetzten und meiner Familie haben, aber die befinden sich auf meinem Handy und das hatte man uns noch im Dorf abgenommen, genauso wie unsere Kamera.

Hat man Sie dazu befragt, was genau Sie im Grenzgebiet gedreht haben?

Nein, dafür hat sich niemand interessiert. Das kam erst später zur Sprache. Ich habe schon oft in schwierigen Ländern Dinge gedreht, über die sich die Polizei aufgeregt hat - und das Material dann den Beamten gezeigt. Dann war meist alles in Ordnung. Bilder löschen musste ich nur einmal. Hier aber wurden wir gar nicht nach unserer Arbeit gefragt. Es war von Anfang an klar, dass wir etwas verbrochen hatten.

Diese Zeichnung der Zelle, in der er eingesperrt war, fertigte der Kameramann Andreas Schaal nach seiner Freilassung anBild: Andreas Schaal

Das Entscheidende war aber nicht, dass man sich nicht verständigen konnte und ich meine Familie und meinen Vorgesetzen nicht informieren konnte, sondern die Behandlung. Wir wurden quasi halb ausgezogen und kamen in Einzelhaft in eine kleine Zelle. Und niemand konnte mir sagen, was als Nächstes passiert. Wir hatten nichts zu schreiben, nichts zu lesen, gar nichts. Ich lag einfach in der Zelle. Nachts habe ich nach meinem Mantel gefragt, weil mir kalt war. Ich bekam eine Decke und ein Kopfkissen.

Was passierte am nächsten Morgen?

Ich wurde verhört. Diesmal war eine Übersetzerin dabei, was gut war. Dann durfte ich auch endlich mit meinem Vorgesetzen telefonieren. Am Nachmittag wurden dann auch mir Handschellen angelegt und ich wurde zusammen mit meiner Stringerin und dem Kameramann ins Gericht gebracht, wo es eine Verhandlung gab.

Wir wurden vom Gericht ermahnt, dass wir nicht ins Grenzgebiet hätten fahren sollen. Die Polizei hatte 500 Euro Strafe gefordert für jeden von uns, aber die Richterin hat dem nicht stattgegeben. Sie hatte unser Material angesehen und verstanden, dass wir nichts Verbotenes getan hatten.

Akzeptieren sie die Ermahnung durch das Gericht?

Ja, aber wir werden gegen die unmenschliche Behandlung klagen.

Sie haben vor diesem Interview gesagt, Sie hätten den Eindruck, dass man Sie festgenommen hätte, um ein Exempel zu statuieren. Wofür bzw. für wen?

Presse ist in dieser Gegend nicht erwünscht. Ich denke, es soll totgeschwiegen werden, was da passiert. Aber ich verstehe nicht, warum. Die Welt weiß das doch bereits alles. Und klar, Polen muss seine Grenzen schützen - aber auf der anderen Seite muss man mit Flüchtlingen menschlich umgehen.

Polnische Soldaten verlegen am 27.08.2021 Stacheldraht an der Grenze zu BelarusBild: Dominika Zarzycka/NurPhoto/picture alliance

Diese ewigen Pushbacks, ich habe die Aussage einer Betroffenen, die ist dreizehn Mal zurück über die Grenze nach Belarus gepusht worden. Dreizehn Mal! Zwanzig Tage hat sie versucht, über die Grenze zu kommen, bis sie es geschafft hat, weil sie krank war. Die Polen nehmen ja Familien, Kranke oder Schwache auf - und die kommen in bestimmte Einrichtungen, wo sie gesundgepflegt werden. Halbtot muss man sein, um nach Polen reinzukommen.

Was haben Sie während Ihres Drehs an der Grenze noch erlebt?

Wir haben in einer Einrichtung gedreht, wo Flüchtlinge unterkommen, die sehr krank sind, und Familien mit Kindern. Um die wird sich gekümmert. Wobei, wie mir der Leiter dieser Einrichtung sagte, 99,9 Prozent aller Flüchtlinge, egal wo sie herkommen, nach Westeuropa wollen. Niemand will in Polen bleiben. Aber Polen muss natürlich den Polizisten an der Grenze spielen, weil es sich um eine EU-Außengrenze handelt.

Sie haben auch mit Menschen gesprochen, die im Grenzgebiet leben. Wie ist deren Haltung gegenüber den Flüchtlingen, eher ablehnend und ängstlich, oder wollen sie den Migranten helfen?

Ein bisschen von allem. Erstmal sind sie froh, dass die Grenzschützer da sind und die Grenze dicht machen. Einige haben Angst vor Terroristen. Das wird ja auch in den Medien propagiert, dass unter den Flüchtlingen viele Terroristen seien. Manche sagen, naja, wenn eine Frau bei mir tagsüber klopfen würde und sie hat noch ein Kind dabei, dann würde ich sie reinlassen.

Wir haben auch eine Aktivistin nachts im Wald getroffen, die Kontakt mit Flüchtlingen hat und sie versorgt. Sie hat immer Warmhaltefolie, Essen und Trinken dabei. Viele Migranten sind ja völlig unterkühlt oder haben ewig nichts gegessen.

Sie sind jetzt zurück in Frankreich. Haben Sie ihre Aufnahmen zurückbekommen?

Wir haben alles zurückbekommen. Es wurde nichts gelöscht, aber alles kopiert. Ich weiß nicht, inwieweit die polnischen Behörden das Recht haben, unser Material zu kopieren. Und ich weiß ebenfalls nicht, ob sie unsere Handydaten auch kopiert haben, inklusive Passwörter und so weiter.

Eine Festnahme ist eine harte Erfahrung. Welche Gefühle hinterlässt das bei Ihnen?

Das Gefühl, so erniedrigt zu werden von Menschen, mit denen man sich nicht unterhalten kann, ist schon sehr schlimm. Das wird sicher noch lange nachwirken. In einer Situation, in der man nichts hat, um sich zu beschäftigen, und auch nicht schreiben kann, was wir Journalisten ja normalerweise tun, muss man irgendeinen Weg finden, um sich zu beschäftigen. Ich habe Mathematikaufgaben im Kopf gelöst.

Wie beurteilen Sie die Situation an der polnischen Grenze zu Belarus jetzt, nach Ihrer Reise?

Es ist eine humanitäre Krise, die auf EU-Ebene dringend gelöst werden muss. Und natürlich kann kein Land damit alleingelassen werden. In Griechenland und Italien war es ähnlich, aber was da im Moment an Unmenschlichkeit passiert, das ist schon sehr schlimm.

Ulrike Däßler ist seit 30 Jahren Journalistin beim deutsch-französischen TV-Kanal Arte. Sie hat über Aufstände und bewaffnete Konflikte in Afrika und im Nahen Osten berichtet, darunter im Irak, in Libyen und im Südsudan. Ihren Beitrag aus dem polnischen Grenzgebiet zu Belarus finden Sie hier.

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen
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