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Helge Lindhs Kampf gegen Hate Speech

14. Mai 2021

Hassnachrichten im Netz, Angriffe auf sein Parteibüro, sogar Morddrohungen. Doch für den SPD-Bundestagsabgeordneten aus Wuppertal ist Aufgeben keine Option.

Helge Lindh MdB SPD
Bild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Der Mann, der sich geschworen hat, gegen den Hass im Internet nicht klein beizugeben, kann sich gar nicht mehr genau daran erinnern, wann er die erste Morddrohung erhielt. War es September 2018? Oder doch erst im Oktober?

Helge Lindh fischt damals einen Brief aus seinem Briefkasten, es ist ein ellenlanges Bedrohungsschreiben, sauber per Hand verfasst und mit Zeitungsausschnitten beinahe akribisch vervollständigt. Und es ist das erste Mal, dass jemand dem SPD-Politiker unmissverständlich droht: "Mach' so weiter, und ich bringe Dich um!"

Morddrohung Nummer zwei folgt einige Monate später, im Februar 2019. Nachts um drei Uhr, digital und nicht per Post, und sie kann Helge Lindh bis heute nicht vergessen.Der Anlass ist konkret: der SPD-Politiker hatte sich kurz zuvor im Fernsehen mit einem schwarzen deutschen Aktivisten über Rassismus unterhalten.

Einige Stunden später erreicht Lindh die Nachricht, dass auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt und er zur Hinrichtung freigegeben sei. "Diese Aggression und Konkretheit mit Bezug auf das Interview war noch heftiger als die Zuschrift, weil die Morddrohung ja überall im Netz verfügbar war", sagt Lindh, "das wirkte sehr professionell von einem rechten Netzwerk organisiert und das hat dann nochmal eine eigene Qualität."

Lindh wird zur Hassfigur der rechten Szene

Helge Lindh, 44 Jahre, seit 2017 im Bundestag, erfüllt alle Kategorien, die ihn für die rechte Szene zur perfekten Zielscheibe machen: Der SPD-Politiker ist Verfechter einer humanitären Flüchtlingspolitik, prangert immer wieder öffentlich Rassismus und Antisemitismus an und setzt sich offensiv für ein friedliches Miteinander mit Musliminnen und Muslimen ein.

"Je deutlicher man sich bei manchen Themen äußert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von Drohungen" - Helge LindhBild: Oliver Pieper/DW

Um seine E-Mail-Adresse herauszubekommen, muss man sich keine große Mühe machen. Sie steht genauso im Netz wie die Adresse seines Parteibüros in Wuppertal, das auch schon Ziel von Angriffen war, Pflastersteine hatten die Scheiben zertrümmert. Bittere Ironie: Das Bekennerschreiben dazu ist aus der linksautonomen Szene, welche die Migrationspolitik der Bundesregierung als rassistisch anprangert.

Mittlerweile liegen die widerwärtigen und drastischen Morddrohungen gegen Helge Lindh im dreistelligen Bereich, sogar von Abschlachtungen und Verstümmelungen ist die Rede, er werde der nächste Walter Lübcke sein. Der Politiker erklärt das in der Wuppertaler Innenstadt so beiläufig, als würde er gerade über das Wetter sprechen. Wie hält ein Mensch so etwas aus?

"Ich habe schon immer einen ziemlich guten Panzer gehabt. Mittlerweile bin ich ziemlich abgehärtet, ich habe mich eingerichtet mit meiner Angst", sagt Lindh, "aber natürlich wird man nervöser und unruhiger, auch härter. Man wittert überall eine Bedrohung."

SPD-Politiker macht Hasskommentare öffentlich

Der Hass im Netz, der ihm entgegenschlägt, ist zum festen Bestandteil von Lindhs Alltag geworden. Manche Textnachrichten löscht er, Beleidigungen schickt er an die Nichtregierungsorganisation Hate Aid, eine Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt, welche die Täter straf- oder auch zivilrechtlich verfolgt. Die Morddrohungen landen beim Staatsschutz, mit dem Lindh in permanentem Austausch steht.

Es gibt wahrscheinlich drei Möglichkeiten, auf den Hass im Netz zu reagieren. Viele Menschen ziehen sich aus Selbstschutz zurück, andere sind in ihren Äußerungen ein Stück weit vorsichtiger, um keine weiteren Angriffe von rechts zu "provozieren". Und es gibt Menschen wie Helge Lindh, die sich nicht einschüchtern lassen wollen. Weil sich ihrer Meinung nach nur etwas ändern kann, wenn man gegen den Hass aufsteht.

Helge Lindh reagiert auf viele Drohungen nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung", macht die Hasskommentare öffentlich und prangert sie an. Was seine Gegner aus dem rechten Milieu teilweise noch mehr zur Weißglut treibt. Seine Beweggründe: "Ich will kein Opfer sein, aus dieser Rolle heraus, gegenüber Hass und Angst mache ich keine Konzessionen."

Ganz im Gegenteil, er habe mittlerweile sogar einen sportlichen Ehrgeiz entwickelt, es mit seinen Peinigern aufzunehmen. "Denjenigen, die mich erniedrigen, demütigen oder einschüchtern wollen, gönne ich nicht den Triumph, ich lasse sie nicht gewinnen. Viele spekulieren ja auch darauf, dass man solche Drohungen geheim hält."

AfD bereitet laut Lindh den Nährboden für Hass im Netz

Auch im Parlament nimmt Lindh kein Blatt vor den Mund. Der SPD-Politiker macht die AfD für den Hass, der ihm in Netz entgegenschlägt, verantwortlich, sie habe "politisch den Finger mit am Abzug." Wenn er zum Rednerpult im Bundestag schreitet, wissen deren Abgeordnete: Jetzt könnte es ungemütlich werden.

Als im Januar die rechtspopulistische Partei das Jahr 2021 zum "Jahr der deutschen Sprache" erklären lassen will, hält Lindh der AfD mit einer gereimten Rede den Spiegel vor. Im April fordern die Rechtspopulisten einen "Nationalen Aktionsplan Kulturelle Identität", Lindh kontert mit einer neuen Version von Goethes Faust.

Großer Zuspruch von Rassismus-Opfern

Der Wuppertaler hat einen sehr hohen Preis für seinen Kampf gegen den Hass bezahlen müssen: Sein Privatleben hat gelitten, viele Freundschaften sind zerbrochen. Aber Lindh hat auch großen Zuspruch erhalten, mit dem er nicht unbedingt gerechnet hatte. Es gab sogar große Solidaritätsbekundungen vor seinem Parteibüro - die wiederum weitere Morddrohungen nach sich zogen.

"Es war beeindruckend, wie viele Opfer von Rassismus mir geschrieben haben, dass sie immer für mich da sind, dass sie mich schützen, wenn ich Hilfe brauche. Das fand ich großartig", sagt Lindh, "dabei bin ich ja gar kein Opfer von Rassismus, sondern von Menschen, die selbst Rassisten sind."

Vor kurzem konnte Helge Lindh übrigens wieder einen kleinen Sieg feiern. Sein Tweet, in dem er Textauszüge eines Schreibens veröffentlichte, in dem ihm mit einer Abschlachtung gedroht wird, ist wieder online. Der Kurznachrichtendienst Twitter hatte die Nachricht gelöscht – weil der Inhalt rechtsextrem und zu grausam war. Und weil der Algorithmus nicht verstand, dass der Adressat einer solchen Attacke an die Öffentlichkeit geht.

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