Der Katalysator
8. Juni 2009Alle zwei Jahre lädt Venedig mit der Kunstbiennale zur intensiven Begegnung mit zeitgenössischer Kunst ein und die Cafés der Stadt zum Atem holen und Kunstverdauen. In diesem Jahr fällt beides zusammen. Der deutsche Künstler Tobias Rehberger hat im Park der Gardini eine Orientierung raubende Rauminstallation verwirklicht, die auch als Café zu nutzen ist. Für diese Umfunktionierung des öffentlichen Raumes in ein erlebbares Kunstwerk wurde der 43-jährige Künstler auf der Eröffnungsveranstaltung der Biennale nun mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet.
Café der Unruhe
Was zunächst als durchdesignte Trendbar erscheint, entpuppt sich beim Betreten als optischer Irrgarten. Das gesamte Interieur ist ein Mix aus grellen Farben und ineinander verschachtelten und verspiegelten Formen. Man schafft es als Besucher nur schwer, sich in der unruhigen Szenerie zu verorten und den eigentlichen Raum zu erkennen. Rehbergers preisgekrönter Beitrag zur 53. Biennale mit dem Titel "Was du liebst, bringt dich auch zum Weinen" zeugt von der geschickten Verwebung verschiedener Kontexte. "Die Arbeit hat etwas mit weggucken zu tun", gibt der Künstler verschmitzt an. Das verwirrende Durcheinander der Formen und Farben, die Wände und Mobiliar der Cafeteria zu einer undurchsichtigen Architektur verschmelzen lassen, geht zurück auf das "Dazzle Painting". Diese kunstvolle Strategie zur Tarnung von Kriegsschiffen im ersten Weltkrieg entwickelt, vereint in sich auf befremdliche Art und Weise künstlerischen Ausdruck mit konkreter Funktion. Im Verbund mit einem gastronomischen Angebot erhält Rehbergers Zitat eine makabere Note.
Künstlerische Eckdaten
Tobias Rehberger, als Sohn eines Hobbymalers 1966 in Esslingen geboren, hat Anfang der 90er Jahre an der Städelschule in Frankfurt am Main Kunst studiert. Gelernt hat er unter anderem bei dem bekannten Provokateur Martin Kippenberger sowie bei Thomas Bayrle, der ebenfalls auf der Biennale vertreten ist. Zur Zeit lebt Rehberger in Frankfurt am Main und lehrt seit 2001 als Professor an seiner alten Ausbildungsstätte. Von dort aus gelang ihm auch der Weg zum gefeierten Künstler. Zahlreiche Einzelausstellungen in bedeutenden Institutionen und Galerien sowie wichtige Preise und Auszeichnungen zeugen von der internationalen Beachtung des Künstlers. Neben dem goldenen Löwen ist Rehberger auch Preisträger des diesjährigen Hans-Thoma-Preis der Landesregierung Baden-Württemberg.
Künstler, Katalysator und Projektleiter
Rehberger versteht den Künstler als Katalysator, der Strukturen offen legt und Prozesse in Gang bringt. Dabei geht es dem Künstler vor allem um den Betrachter, der im konkreten Erleben der Kunst zu neuen Sichtweisen angeregt wird und die künstlerische Arbeit auf diese Weise aktiv mitgestaltet. Von der Vorstellung des genialischen Künstlers distanziert sich der konzeptuell arbeitende Rehberger soweit es geht. In Frankfurt, wo der Künstler lebt und arbeitet, betreibt er mit zahlreichen Assistenten sein künstlerisches Planungsbüro.
Automaten im Wald
In seinen häufig raumgreifenden Installationen verwischt Rehberger immer wieder die Grenzen zwischen Kunst, Design und Architektur um auf Zusammenhänge aufmerksam zu machen. Ihm ist daran gelegen, mit seiner Arbeit eine gewisse Unruhe und Verunsicherung zu evozieren. In der Vergangenheit hat der Künstler Bücherautomaten im Wald aufstellen lassen oder das Publikum mit einer riesigen geschlossenen Box irritiert, die behauptet, ein Luxusautomobil zu beherbergen.
Im November verschwinden die gezeigten Arbeiten der Biennale wieder. Rehbergers Café der Unruhe soll jedoch bleiben.
Ausgewählte Ausstellungen
1997: "Skulptur. Projekte in Münster", Westfälisches Landesmuseum, Münster
1997: 47. Biennale, Venedig
1998: Kunsthalle Basel / Sprengel Museum Hannover
2000: "in between", EXPO Hannover
2002: "Geläut, bis ich's hör", Museum für Neue Kunst - ZKM Karlsruhe
2002: "Night Shift", Palais de Tokyo, Paris
2004: "Private Matters", Whitechapel Art Gallery, London
2007: "On Otto / On Solo", Fondazione Prada, Mailand
2008: "Die 'Das-kein-Henne-Ei-Problem' - Wandmalerei-Retrospektive", Museum Ludwig, Köln
Autor: Matthias Mayr
Redaktion: Elena Singer