Der Katzenvogelflüsterer: Martin Fröst
16. Dezember 2008
Es ist schon was dran an der Rede vom skandinavischen Temperament, findet auch Martin Fröst: „Die Menschen aus dem Norden haben eine eigene Mentalität. Ein gewisser Hang zur Stille, dieses manchmal etwas Langsame und eine Neigung zur melancholischen Seite, die mit den Jahreszeiten zu tun hat. In meinen Träumen ist immer Winter.“ – Pause.
Im Gespräch macht sich kurz ein gewisser Hang zur Stille breit. Dann ein wohlüberlegter Nachtrag zu den Vorteilen des fröst-, äh, frostigen Klimas und der Abgeschiedenheit: „Es gibt nicht so viele äußere Stimulanzen wie anderswo. Man wird mehr in Frieden gelassen. Eine gute Voraussetzung für einen Musiker. Denn einerseits hat er einfach mehr Ruhe zum Üben, andererseits kann er so ohne zu große fremde Einflüsse seine eigene Stimme entwickeln.“ Martin Fröst – mit langem ö – hat diese Möglichkeiten offenbar bestens genutzt und mehr als andere geübt: Seine technisch brillante, dabei stets musikalische Virtuosität auf der Klarinette ist wirklich eindrucksvoll und macht ihn zu einem der meistgefragten Interpreten seines Fachs, mit rund 100 Auftritten pro Jahr auf den international wichtigen Konzertpodien und mit bedeutenden Orchestern.
Auch das mit der eigenen Stimme ist nicht einfach daher gesagt: Fröst verfügt über ein sehr eigenes künstlerisches Profil. Dazu gehört etwa eine große Experimentierfreude, denn der Klarinettist beschränkt sich nicht auf die traditionelle Literatur, sondern erweitert das Repertoire seines Instruments in enger Zusammenarbeit mit den Komponisten. Dabei testet er die klanglichen Möglichkeiten der Klarinette immer wieder aufs Neue aus: „Kürzlich habe ich zum Beispiel etwas Spannendes entdeckt. Wenn man beim Spielen gleichzeitig singt, zerstört man normalerweise einen Teil des Klarinettentons. Doch durch die Zirkular-Atmung kann man die Kehle lockern – so entsteht eine ganz neue Soundwirkung.“ Ein leises Lächeln deutet Frösts Begeisterung an, die manchmal eher nach innen leuchtet.
Wer sich so intensiv mit den Eigenschaften des Instruments beschäftigt, kennt seinen Charakter natürlich aus dem Effeff. Welche Gestalt hätte die Klarinette wohl in der Tierwelt? Hm. Schwierige Frage. „Für viele Menschen wäre es sicher eine Katze, das hat auch mit Prokofjews ‚Peter und der Wolf’ zu tun. Aber es gibt auch eine starke Vogel-Komponente, in Richtung Möwe. Der Komponist Anders Hillborg hat ein Konzert geschrieben, in dem ein Pfau das Alter ego der Klarinette ist. Also vielleicht eine Mischung aus Katze und Vogel – aber kein sehr schneller Vogel, sondern einer mit größeren Schwingen.“
Fröst und Mozart – das ist und bleibt eine besondere Beziehung. Seine Aufnahme des Konzerts wurde in einem Blindtest des französischen Magazins „Classica-Repertoire“ zur besten unter 50 Einspielungen gekürt und wurde weltweit über 200.000 Mal verkauft – ein sensationeller Erfolg für ein klassisches Klarinettenkonzert. Auch zum Auftakt seines Engagements als „Artist-in-Residence“ der Hamburger Symphoniker Ende Oktober 2008 steht Mozart auf dem Programm – mit Fröst als Solist und Dirigent: „Gerade bei einem Stück, das ich so gut kenne, finde ich es angenehm, ganz direkt mit den Musikern zu kommunizieren, um ihnen meine Ideen zu vermitteln.“ Wie etwa sein Wunsch nach einem sehr bewussten Umgang mit den Farben, die durch den Atem entstehen und nach einer sorgfältigen Artikulation, die die Musik zum Sprechen bringt. Stichwort Klangrede: „Ich habe schon viel mit guten Dirigenten gearbeitet, die einen Alte-Musik-Background haben – das ist natürlich ein wichtiger Einfluss.“
So angenehm unaufgeregt und bescheiden Fröst auftritt, so klar macht er trotzdem sein eigenes Ding. Und das zeigt sich nicht allein in den Interpretationen, sondern auch an den Konzertformen und der gesamten Berufsauffassung. Um dem üblichen Stippvisitenrhythmus zu entkommen ist Fröst verstärkt an Residenzen wie der in Hamburg interessiert: „Ich habe das inzwischen schon bei einigen Orchestern gemacht – manchmal über eine ganze Saison verteilt, anderswo innerhalb einer kurzen Zeit –, weil es einem die Möglichkeit gibt, zum selben Orchester und dem selben Publikum in die selbe Halle zurück zukommen und so eine besondere Beziehung aufzubauen. Außerdem kann ich dann ganz verschiedene Seiten von mir zeigen.“ Und dabei gibt’s dann schon mal die eine oder andere Überraschung. Denn der stille, zurückhaltende Nordländer kann auch ganz anders. In seinem Projekt B.A.C.H. (das auch für „Beyond All Clarinet History“, also etwa „Jenseits aller Klarinetten-Geschichte“ steht) tritt Martin Fröst als temperamentvoller Tänzer in Erscheinung – und wirkt dabei mitunter wie ein schamanischer Katzenvogelbeschwörer.
Dieses spannende Konzept, mit dem er nicht nur stilistische Grenzen, sondern auch traditionelle Konzertrituale aufbricht, ist nur live zu erleben und nicht als Konserve fest gehalten.
Den kompletten Artikel lesen Sie in FONO FORUM 1/2009
Biographie
Martin Fröst, Jahrgang 1970, wurde in Uppsala geboren und begann im Alter von sechs Jahren zunächst mit dem Violinspiel, bevor er zur Klarinette wechselte. Mit neun hatte er dann seinen ersten Auftritt – als Mitglied einer Dixieland-Kapelle. Fröst studierte früh an der Königlichen Musikakademie in Stockholm und ging mit 18 an die Hochschule nach Hannover zu Hans Deinzer, der ihn nachhaltig prägte. Im Anschluss an das Studium begann schon bald eine steile Karriere, die ihn zu einem weltweit gefragten Interpreten machte.
2006 nahm ihn das Konzerthaus Dortmund in die Reihe „Junge Wilde“ auf, ein Jahr später debütierte er in Salzburg, wohin er Anfang 2009 im Rahmen der Mozartwoche zurückkehrt. Zu den weiteren Höhepunkten der aktuellen Saison zählten unter anderem die umjubelten Debüts beim Barbican’s Mostly Mozart Festival mit der Academy of St. Martin-in-the-Fields und bei den BBC Proms mit dem Gothenburg Symphony Orchestra unter Gustavo Dudamel sowie eine Tournee mit Mitsuko Uchida, bei der er Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ unter anderem im Amsterdamer Concertgebouw spielte. Außerdem ist er wiederholt beim Rotterdam Philharmonic Orchestra und der deutschen Kammerphilharmonie Bremen zu Gast. Als Künstlerischer Direktor leitet er außerdem das Vinterfest in Mora – ein Kammermusikfestival am Ufer des gefrorenen Orsa-Sees.
CD-Tipp
Nielsen, Aho, Klarinettenkonzerte; Lahti Symphony Orchestra, Osmo Vänskä
BIS/KC SACD 7318599914633