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Der Klimawandel und das Fliegen

Arthur Sullivan
27. Januar 2020

Fliegen ist beliebter denn je, obwohl die große Mehrheit der Menschheit noch nie geflogen ist. Aber die kleine Minderheit, die regelmäßig fliegt, schadet der Umwelt extrem. Was tun?

Flugzeug am Abendhimmel
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Wann sind Sie das letzte Mal geflogen? Verschiedene Wissenschaftler sagen, dass nur  5 bis 10 Prozent der Erdbevölkerung im Jahr Flüge antreten. 

Nach Schätzungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) steigt die Zahl der Flugpassagiere 2016 weltweit auf 3,7 Milliarden, und jedes Jahr seit 2009 war ein Rekordjahr.

Die "Internationale Luftverkehrsvereinigung" (IATA) erwartet, dass sich diese Zahl bis 2035 auf etwa 7,2 Milliarden fast verdoppeln wird. Wie die Flugzeuge selbst, steigen die Zahlen ständig in die Höhe. Und wenn man bedenkt, welchen Schaden das Fliegen anrichtet, gibt das zu denken.

Es geht nicht nur um CO2

Vielen Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Luftfahrt an den globalen CO2-Emissionen bei etwas mehr als 2 Prozent. Auch die Branche selbst erkennt diese Zahl weitgehend an.

Aber sie ist irreführend, sagt Stefan Gössling. Er ist Professor an den Universitäten Lund und Linné und Ko-Herausgeber des Buchs "Climate Change and Aviation: Issues, Challenges and Solutions". "Das ist nur die halbe Wahrheit."

Andere Luftfahrtemissionen wie Stickoxid, Wasserdampf, Feinstaub, Kondensstreifen und Veränderungen in Zirruswolken haben einen zusätzlichen Erwärmungseffekt.

Bezogen auf den Einzelnen gibt es keine andere menschliche Aktivität, die in so kurzer Zeit so hohe Emissionen verursacht wie die LuftfahrtBild: picture-alliance/dpa/T. Bozoglu

"Der Beitrag der Branche zur Erderwärmung ist mindestens doppelt so groß, wie der des CO2 für sich alleine genommen", sagt Gössling gegenüber DW. Er schätzt den gesamten Beitrag zum Klimawandel auf mindestens 5 Prozent.

IATA-Sprecher Chris Goater dagegen sagt, die wissenschaftliche Basis dieses sogenannten Strahlungsantriebs sei "unbewiesen."

Aber selbst wenn wir die Zahl von 2 Prozent Emissionen akzeptieren, verursacht von nur 3 Prozent der Weltbevölkerung, die vergangenes Jahr geflogen sind, verantwortet eine relativ kleine Gruppe einen überproportional großen Teil der weltweiten Emissionen. 

Vor ein paar Jahren berechnete die Umwelt-NGO "Germanwatch", dass ein Mensch, der einmal von Deutschland in die Karibik fliegt und zurück, genauso viele der schädlichen Emissionen verursacht, wie 80 durchschnittliche Einwohner Tansanias in einem gesamten Jahr: etwa 4 Tonnen CO2.

"Individuell betrachtet, gibt es keine andere menschliche Aktivität, die in so einer kurzen Zeit so viele Emissionen verursacht wie die Luftfahrt, weil sie so energieintensiv ist", erklärt Gössling.

Der Kohlenstoff-Fußabdruck-Rechner des WWF  ist diesbezüglich sehr lehrreich. Wenn man der größte Umweltschützer der Welt wäre - ein veganer Solarzellen-Fan, der mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt - aber immer noch von Zeit zu Zeit fliegen würde, sähe man plötzlich gar nicht mehr so grün aus.

Selbst bei ansonsten vorbildlichem Verhalten würden zwei hypothetische Kurzstreckenflüge und ein Langstreckenflug im Jahr ausreichen, um den Umweltschützer zum Klimasünder zu machen.

Neue Technologien allein sind nicht die Lösung

Wir sind uns bewusster als je zuvor, dass wir unseren individuellen und kollektiven CO2-Fußabdruck reduzieren müssen, um eine Klimakatastrophe abzuwenden. Mehrere Branchen stehen diesbezüglich zunehmend unter Druck.

Neben den reinen Flugemissionen erhöhen auch Prozesse in der Herstellung von Flugzeugen signifikant den gesamten Kohlenstoff-Fußabdruck.Bild: picture-alliance/AP

Auch die Luftfahrtindustrie hat Versprechen gemacht - im Oktober 2016 haben sich 191 Nationen auf ein UNO-Abkommen geeinigt, das zum Ziel hat, die Kohlenstoffemissionen aus der Luftfahrt bis 2035 auf das Niveau von 2020 zu reduzieren. In einem zweiten Schritt sollen die Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Jahres 2005 gesenkt werden. 

Goater sagt, es gebe vier Ansätze, wie die Luftfahrtindustrie diese Ziele erreichen will: kurzfristig durch Klimakompensation, durch die kontinuierliche Entwicklung von effizienteren Flugzeugen, weitreichende Investitionen in nachhaltige Treibstoffe - beispielsweise Biotreibstoff - und durch effizientere Flugrouten.

Mehr dazu: Klimafreundliches Fliegen - geht das?

Er hält die Flugsicherung, die für die Koordination und den flüssigen Ablauf des Flugverkehrs verantwortlich ist, für sehr ineffizient. "Sie sorgt für unnötigen Spritverbrauch und durch Effizienzsteigerungen in diesem Bereich ließen sich Emissionen um 10 Prozent senken."

Er betont auch, dass inzwischen einige kommerzielle Flüge - wenn auch sehr wenige - tagtäglich mit nachhaltigen Treibstoffen betrieben werden, obwohl der erste derartige Flug erst vor weniger als 10 Jahren stattfand.

"Das ist etwas, das viel schneller geschehen ist, als irgendjemand erwartet hatte", sagt er. Der Schlüssel sei jetzt, dass die Industrie Investitionen in diesem Bereich Vorrang gebe und dass Regierungen sie ebenso förderten, wie sie es bei der E-Mobilität in der Autoindustrie getan haben.

Aber Gössling und viele seiner Kollegen überzeugt das nicht.

2016 gab es 3,6 Milliarden Passagierflüge. Bis 2035 soll diese Zahl sich fast verdoppeln.Bild: picture-alliance/dpa

"Ich glaube, wir brauchen unbedingt höhere Preise", sagt er. "Wir haben vor ein paar Monaten Interviews mit Topmanagern der Branche geführt, und viele von ihnen stimmten uns zu - hinter vorgehaltener Hand, es waren anonyme Befragungen - dass sich alternative Treibstoffe nie durchsetzen werden, wenn die fossilen Treibstoffe nicht deutlich teurer werden."

Auch Daniel Mittler, politischer Direktor von "Greenpeace" ist der Meinung, dass fossile Treibstoffe teurer werden müssen. "Der erste Schritt wäre, alle Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen, die der Luftfahrtindustrie eingeschlossen, und die Luftfahrtindustrie richtig zu besteuern", sagt er gegenüber DW.

Für Goater ist das nicht realistisch. "Treibstoff stellt jetzt schon einen signifikanten Teil der Kosten der Fluggesellschaften dar", sagt er. "Glauben Sie mir, wenn wir ohne Öl fliegen könnten, würden wir es tun." 

Die harte Wahrheit

Aber wie lässt sich das Problem lösen? Gössling, der das Thema seit mehr als 20 Jahren erforscht, sieht nur eine Lösung.

"Müssen wir wirklich so viel fliegen, wie wir es tun, oder verleitet uns die Branche dazu?" fragt er. Zusätzlich zu künstlich niedrigen Ticketpreisen bewirbt die Branche auch einen Lifestyle, sagt er.

"Die Werbekampagnen der Fluggesellschaften vermitteln den Eindruck, dass man Teil einer Gruppe junger, urbaner Vielflieger werden kann, die für sehr wenig Geld alle paar Wochen eine andere Stadt besuchen", sagt er.

Für Goater hingegen ist die Vorstellung diktieren zu können, wer fliegen darf und wann so unrealistisch wie veraltet.

Müssen wir uns einfachere Fortbewegungsmittel suchen als kerosinbetriebene Düsenflugzeuge?Bild: Imago

"Das Ziel, Emissionen zu reduzieren, muss damit vereinbar gemacht werden, dass es Menschen ermöglicht wird zu fliegen - ich glaube, das ist seit vielen Jahren Konsens im Mainstream", sagt er. "Es steht Menschen in einem Teil der Welt nicht zu, diese Möglichkeit Menschen in anderen Teilen der Welt zu verwehren."

Für Mittler läuft es auf individuelle Entscheidungen hinaus und er glaubt, dass weniger zu fliegen, der erster Schritt ist - auch wenn Effizienzsteigerungen sehr wichtig sind.

"Wir müssen einen sozialeren und empathischeren Lebensstil entwickeln", sagte er. Auf das Shoppingwochenende in New York zu verzichten, sei eine der am wenigsten schmerzhaften Möglichkeiten dazu beizutragen.

"Wir brauchen einen Wohlstand, der auf Gemeinschaft und dem echten Wohlstand einer kollektiven Vision basiert, statt einer, die auf unerbittlichem Konsum basiert. Die Luftfahrt ist ein Symbol für diese Art des Konsums, die wir ablegen müssen."

 

Dieser Artikel wurde am 24. Januar 2020 aktualisiert. Die vorherige Schätzung von 3% für die Anzahl an Menschen, die in einem Jahr fliegen, wurde auf 5-10% aktualisiert. Die aktualisierte Zahl basiert auf einem breiteren Spektrum an Schätzungen, die sich aus unterschiedlichen Quellen zusammensetzen.  

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