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Politik

Ein Deutscher kämpft für die Kurden

Naomi Conrad
11. Mai 2018

Die kurdische YPG ist der Hauptpartner der USA im Kampf gegen den IS – und Hauptgegner der Türkei in Nordsyrien. Ausländische Kämpfer unterstützen die Miliz. Naomi Conrad über einen Idealisten auf dem Weg zur Front.

Deutscher bei der Kurdenmiliz YPG
"Martin": "Ich fühle mich frei hier." Bild: Privat

Nein, der echte Krieg ist nicht wie im Film, so ganz und gar nicht: In Hollywood fordert der verletzte Held einen Helikopter an, der ihn, mit dramatischer Musik unterlegt, aus der Gefahrenzone fliegt. An der echten Front, "bist du fast immer auf dich allein gestellt", erzählt Martin: Die Mörsergranate war nur ein paar Meter von ihm entfernt explodiert, die Splitter hatten sich überall in seinen Körper gebohrt - aber Martin musste fast 15 Stunden warten, bis seine Division ihn evakuierten konnte. Er kann von Glück sprechen, dass er noch lebt. 

Martin, wie er genannt werden will, ist 21 Jahre alt, Ein deutscher Idealist, der sich einer internationalen Brigade der kurdischen Miliz YPG angeschlossen hat. Er habe Amerikaner, Spanier, Österreicher, Briten - und sogar einen Chinesen getroffen, die ebenfalls für die Kurden kämpfen, berichtet Marin der DW. Und ergänzt: Mindestens vier von ihnen seien in den neun Monaten, seit er sich in den syrischen Krieg gestürzt hat, ums Leben gekommen. 

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten sind Amerikas wichtigster Partner im Kampf gegen den selbsternannten Islamischen Staat in Syrien. Sie dominieren die aus arabischen und Kurdenkämpfern bestehenden Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), die Bodentruppen im Kampf gegen den IS.

Aber die YPG kämpfen auch gegen die Türkei, seitdem Präsident Recep Tayyip Erdogan im Januar eine Offensive gestartet hat, um die von ihnen kontrollierte Enklave Afrin im Nordosten Syriens zu erobern. Für Erdogan ist die YPG nichts anderes als der "terroristische" Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die sich seit den 1980ern einen auf beiden Seiten blutigen Kampf mit der türkischen Regierung liefert. 

Martin hat drei Monate in Afrin gekämpft. Bild: Reuters/K. Ashawi

Veteran vom Kampf gegen IS und Afrin

Martin ist ein Veteran von beiden Fronten der YPG: Zuerst hat er in erst Rakka gekämpft. Seine Brigade war Teil der von den Amerikanern unterstützten Offensive, die die ehemalige Hauptstadt des IS Haus um Haus, Straße um Straße von den IS-Dschihadisten zurückerobert hat. Dann wurden Martin und die anderen internationalen Kämpfer nach Afrin verlegt, nachdem die SDF hunderte Kämpfer zur Verteidigung von Afrin abkommandiert hat. Im März wurden sie wieder abgezogen. Seitdem trainieren sie und warten auf den nächsten Einsatz. 

Der Syrienkrieg ist ein kompliziertes, makabres Mosaik von immer neuen Zweckbündnissen und Fronten, die schwer von außen schwer zu begreifen sind. Bevor er in den Krieg zog, wusste Martin nur wenig über die Region, das gibt er offen zu: "Ich wusste, dass die YPG gegen den IS kämpfen. Nur das."

Es fällt ihm schwer, zu erklären, warum er, ein 21-Jähriger, der keinerlei Verbindungen zu der Region hat, nicht einmal sehr politisch ist, wie er sagt, in ein Kriegsgebiet zog. Warum er seine Eltern und Freunde anlog, ihnen sagte, er arbeite für eine humanitäre Organisation.

Eine Lüge, die er seit neun Monaten aufrechterhält, in jeder Nachricht, jedem Foto, das er schickt. Das macht Martin zu schaffen: "Ich bin ein großes Arschloch, meine Eltern anzulügen, aber was hätten ich tun sollen. Ich konnte ja nicht sagen: Ich flieg mal nach Syrien, um zu kämpfen. Ciao."

Er ist kein Möchtegern-Rambo, der sich im Krieg behaupten will, das betont er immer wieder. Martin ist einer, der helfen will, der, das sagt er ganz pathetisch, "die Freiheit verteidigen will". Vielleicht waren es die Videos der fast unvorstellbaren Grausamkeiten des Islamischen Staates, "der ganze IS-Scheiß", so sagt er es, die ab 2014 in seinem Facebook-Newsfeed auftauchten. Dann kamen die Flüchtlinge, die ihre Geschichten von Krieg und Zerstörung mit nach Europa und Deutschland brachten. Martin sagt, dass er schon länger darüber nachgedacht hatte, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen, aber zunächst nicht den Mut dazu hatte. 

Abenteuer Krieg?

Dann aber kam ein Moment im vergangen Jahr, wo er zu Hause war, ohne Arbeit, aber dafür mit umso mehr Zeit zum Nachdenken, so erzählt er es - und schließlich entschied er sich, einen Flug in den Nordirak zu buchen.

Eigentlich, so erzählt Martin, habe er tatsächlich vorgehabt, "etwas Humanitäres zu machen". Aber dann sei er in den Krieg irgendwie hineingeschlittert: Im Nordirak traf er einen anderen Freiwilligen, der ihn mit zu dem Camp für internationale Kämpfer mitnahm. Nach einem Monat, wurde die Brigade an die Front geschickt.

Die DW kann Martins Geschichte nicht unabhängig verifizieren, aber sie deckt sich mit den Ereignissen in Syrien in der Zeit und mit den Erzählungen anderer YPG-Kämpfer.

Martin schickt der DW immer wieder Bilder und Videos von seiner Zeit im Camp und auch von der Front: Fotos von ausgebrannten Häusern, seiner Schafschützenposition – ein paar Sandsäcke, an denen ein Rucksack lehnt, aber auch Selfies vor einem Panzer und kurze Videos von einem kurdischen Fest am Geburtstag von Abdullah Öcalan, dem Anführer der PKK. 

Die DW kommuniziert seit mehreren Wochen meistens über WhatsApp mit Martin, dessen Brigade sich auf die nächste Mission vorbereitet. Seine Nachrichten sind oft voller lachender Emojis, gefolgt von lustigen Geschichten über die Absurdität des Lebens an und hinter der Front. Der Krieg und das Trainingscamp, sie muten in seinen Erzählungen manchmal eher an wie ein Ferienlager als ein brutaler Konflikt: Etwa das verwackelte Video, auf dem er eine Rakete abschießt, das Ziel aber um Längen verfehlt, weil er, das schreibt Martin dazu, er einfach kein "mega guter Scharfschütze" sei. Oder wie er in Rakka eine Mauer übersah und mit voller Wucht dagegen fuhr, wie er deutsche Süßigkeiten und vor allem McDonalds vermisst und dass ihm das Wetter zu kalt und nass ist.

Manchmal, das gibt er zu, fühlt sich alles wie ein großes Abenteuer an.

YPG-Kämpfer in RakkaBild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Er liebt das Kameradschaftsgefühl und die karge, wunderschöne Landschaft. Und er liebt die Menschen, deren Kultur er kennen und schätzen gelernt hat, die den internationalen Kämpfern zujubeln, wenn sie an einem freien Tag mit dem klapprigen Motorrad in die nächste Stadt fahren, um Pepsi und Kekse zu kaufen und im Internetcafé mit ihren Freunden und Familien zu skypen.

"Manchmal denke ich: Was machst du hier?"

Dann fühlt er sich wie ein Held. Und trotz der militärischen Routine, des durchgetakteten Tagesablaufs, fühlt er sich frei, weit weg von dem Leben, das seine Eltern für ihn wollen. "Arbeiten, Steuern zahlen und ein Haus bauen", erzählte er in einem Telefoninterview. "Ich wollte einfach nicht Teil von dem ganzen System sein." Das Leben mit der YPG, sagt er, sei tausendmal schöner als zu Hause.

Aber manchmal lässt sich auch erahnen, dass sich hinter dem Mut und den ganzen Geschichten, etwas anderes verbirgt: Die kalte Panik, die im Krieg durch den ganzen Körper kriecht und sich dort festsetzt. Die Angst, dass die nächste Explosion, der nächste Scharfschütze, ihn treffen könnte. Er erzählt von den Begräbnissen der anderen internationalen Kämpfer, schickt ein Bild von einem Feld mit Gräbern, eine Reihe von Fotos von jungen Männern, die in der Erde stecken, und erzählt von dem Mörser, der neben ihm explodierte.

Manchmal, gibt er zu, reicht es ihm. "Es gibt Tage, an denen ich denke: Was mache ich hier? Warum riskierst du hier dein Leben?" Das sind die Tage, an denen er sich fragt, ob er nicht doch bald nach Hause sollte.

Wird Martin, falls er sich zur Rückkehr entscheidet, für seine Zeit bei der YPG strafrechtlich belangt werden? Die Kurdenmiliz kämpft immerhin mit amerikanischer Unterstützung gegen den IS, allerdings auch gegen den Nato-Partner Türkei. 

Die mehr als 900 Deutschen, die aktuellen Schätzungen zufolge nach Syrien und den Irak gereist sind, um sich der Terrorgruppe anzuschließen, müssen jedenfalls mit dem Staatsanwalt rechnen: Zurückkehrende IS-Mitglieder werden von den Behörden abgefangen und oft auch zu Haftstrafen verurteilt. Wegen Mitgliedschaft in der YPG ist bislang allerdings noch niemand verurteilt worden. Aus Kreisen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist zu hören, bislang habe es zwar Ermittlungsverfahren im "niedrigen zweistelligen Bereich" gegeben. Anklage sei aber bisher in noch keinem Fall erhoben worden ist.

Marschbefehl: Deir Essor

Irgendwann schickt Martin ein pixeliges Bild von einem gekrümmten, verstaubten Körper, der mit dem Gesicht nach unten zwischen Trümmern liegt. Der Mann, schreibt er dazu, sei ein Mitglied von "Daesh" - er benutzt den arabischen Begriff für den IS. "Er hatte versucht uns nachts anzugreifen, doch wir waren schneller", so die lakonische Nachricht unter dem Bild.

Reue zeigt er keine. Er habe zwar am nächsten Tag an nichts anderes gedacht, schreibt er, aber dann nicht mehr. Nicht, weil er gleichmütig ist. "Wenn man das jeden Tag erlebt und sieht, dann wird das normal versteht du? Also, ich will sagen, für mich ist das mittlerweile normal."

Eroberte IS-Flagge in SyrienBild: picture-alliance/AP Photo/M. Hussein

Im Camp sind seine Tage oft eintönig, er beschreibt eine Routine von Training, Kurdischunterricht und endlosen Tassen Tee.

Vor ein paar Tagen, dann, kam der Marschbefehl für die sechs internationalen Kämpfer: Es geht nach Deir Essor, eine Provinz im Nordosten Syriens. Sie wird zum Teil noch von IS-Milizen kontrolliert.

Er weiß nicht genau, an welchem Tag es losgeht. Aber Martin ist froh, dass das Warten bald ein Ende hat. Und: "Ich möchte unbedingt eine "Daesh"-Flagge mit nach Hause nehmen." Eine der schwarzen Fahnen also, die überall im selbsternannten Kalifat der Terrorgruppe flatterten, ein Andenken an seine Zeit im Krieg.

Die nächste Nachricht ist wieder ein breit grinsender Emoji.

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