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Der Kulturkampf, die AfD und die Strategie eines Marxisten

18. Oktober 2025

Rechtsextremisten im Umfeld der AfD und den USA kopieren die Strategie des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci. Der schrieb einst: Vor der politischen Macht kommt die "kulturelle Hegemonie". Das Ziel: der Umsturz.

Italien 1937 | Antonio Gramsci, italienischer Politiker und marxistischer Theoretiker
Kämpfer gegen das faschistische Mussolini-Regime in Italien: Marxist Antonio GramsciBild: Darchivio/opale.photo/picture alliance

Der Techno-Beat verspricht eine Party-Stimmung, die sphärisch-sentimentale Melodie gute Gefühle. Gigi D'Agostinos Mega-Hit "L'amour toujours" läuft in Discos auf der ganzen Welt. Auf Spotify und YouTube haben über eine Milliarde Menschen den Hit angeklickt.

In Deutschland haben Rechtsextremisten den Song seit Jahren gekapert: Zur Melodie trällern sie feixend: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!". Die Parole hat eine lange Tradition in Deutschland: Martialische Nazi-Skins grölten sie schon in den 1980er und 90er Jahren und machten auf den Straßen regelrecht Jagd auf Menschen. Es waren die sogenannten "Baseballschlägerjahre". Über 200 Menschen wurden seitdem Opfer tödlicher rechter Gewalt.

Heute, im Jahr 2025, kommt der Hass vermeintlich lustig, witzig daher. Das Meme des Songs verbreitete sich in Tausenden Versionen in den sozialen Netzwerken und wurde ein Teil der Jugendkultur. Ein Einfallstor für rechte Ideologie schon im Klassenzimmer. Ein Jugendlicher in der ostdeutschen Stadt Dessau erzählt der DW, dass er und seine Freunde immer zu "L'amour toujours" auf ihren Partys tanzen: "Und dann singen wir: Ausländer raus - das ist einfach lustig gemeint!". Rechtsextrem sei er nicht sagt er. Gewalt lehnt er ab.

Die rechtsextreme Coverversion ist kein Zufallsprodukt. Sie ist Teil einer politischen Strategie. "Kulturelle Hegemonie" heißt das Schlagwort. Die Idee: Nur wer die Emotionen und Köpfe der Öffentlichkeit gewinnt, kann am Ende auch die politische Macht übernehmen und sichern. Diese kulturelle Vorherrschaft lasse sich nicht verordnen, sondern sie muss in den Köpfen und Herzen der Menschen erobert werden.

Die Idee ist schon sehr alt. Sie stammt von Antonio Gramsci. Der Italiener lebte von 1891 bis 1937. Er war ein marxistischer Philosoph und der Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens, KPI. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte er während des italienischen Mussolini-Faschismus in Haft. Hier schrieb Gramsci seine "Gefängnishefte". In ihnen entwickelte er sein Konzept der "Kulturellen Hegemonie".  

Der Traum vom Umsturz

"Der zentrale Gedanke ist eigentlich, dass vor einer politischen Revolution, die also ein System zum Kippen bringt, eine geistige Revolution einsetzen muss", erklärt Armin Pfahl-Traughber im Interview mit der DW. Er ist Politikwissenschaftler und Soziologe und ein führender deutscher Experte zum Thema Rechtsextremismus. "Erst wenn man sozusagen diese geistige Revolution gewonnen hat, besteht überhaupt die Chance, eine politische Revolution zu gewinnen."

Gramscis Strategie definiert das Verhältnis zwischen einer intellektuellen Elite und der breiten Öffentlichkeit. Die Aufgabe der Intellektuellen sei es, die öffentliche Meinung zu verschieben. Erst danach könne eine grundlegende Systemveränderung gelingen.

Armin Pfahl-Traughber hat sich intensiv mit Gramsci und seiner Wirkung auf die extreme Rechte beschäftigt. Er glaubt nicht, dass viele rechtsextreme Ideologen den italienischen Kommunisten wirklich gelesen haben. Dass er Marxist war, sei für sie zweitrangig. Ihr Interesse gelte ausschließlich der Strategie. "Das ist natürlich schick, so: 'Ja, ich berufe mich auf einen Marxisten!' Im rechtsextremen Spektrum kann man sich so auch als nonkonformistisch präsentieren."

Rechtsextremist Martin SellnerBild: BeckerBredel/picture alliance

In Deutschland treiben zahlreiche rechte Ideologen den "Gramscismus von rechts" voran. Einer der bekanntesten ist der Rechtsextremist Martin Sellner. Er gilt als einer der einflussreichsten Strippenzieher, wenn es um rechtsextreme Strategien im Kampf um politische Macht geht. Seine Kontakte reichen bis in Teile der Alternative für Deutschland (AfD), die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden. Die Partei befindet sich seit Jahren im Höhenflug und ist in zahlreichen Bundesländern zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen.

Ganz im Sinne Gramscis und seines Kampfes um die öffentliche Meinung arbeiten Sellner und die AfD an der politischen Deutungshoheit: Einwanderung wird als "großer Austausch“ und "Umvolkung" verfemt. Fürsorge und eine solidarische Politik mit Geflüchteten zur "Asylindustrie" herabgewürdigt. Und die Forderungen nach Massenabschiebungen von Menschen - auch von vor langem eingewanderten Deutschen - werden euphemistisch als "Remigration" verharmlost. Durch die Flutung des öffentlichen Raumes mit den eingängigen Kampfbegriffen, soll die öffentliche Meinung verschoben werden, so Pfahl-Traughber.

Im Laufe der Jahre wurde die Strategie Gramscis weltweit erfolgreich kopiert. Die US-Wahlkämpfe von Donald Trump wirken wie aus dem Lehrbuch des Gramscismus. Viele Emotionen, viel Pop, viele einfache Botschaften, die anschlussfähig sind: "Wir gegen die", "Establishment gegen das einfache Volk", "Wokismus gegen klaren Menschenverstand". Am Ende wird alles in eine kraftvolle, emotionale Wohlfühlparole verpackt: "Make America Great Again". Die Medien und sozialen Netze sind voll von Trumps Botschaften, Trumps Lügen, Trumps Peinlichkeiten. Seine Gegner kommen aus der Reaktion kaum noch raus. "Kulturelle Hegemonie" à la Gramsci.

Popkultureller Wahlkampf - US-Präsident Donald Trump tanzt für seine AnhängerBild: Kamil Krzacynski/AFP/Getty Images

Wohin führt aber diese angestrebte kulturelle Vorherrschaft? Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber sieht einen "totalen Wissensanspruch", also den Anspruch, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. "Dieser ideologische Anspruch führt ja in der Realität auch häufig dazu, dass er praktische Konsequenzen hat und dass man zumindest eine autoritäre Ordnung, wenn nicht gar eine totalitäre Ordnung, anstrebt."

Vor den Bestrebungen nach einer autoritären Ordnung warnen auch in Deutschland viele Expertinnen und Experten, Sicherheitsbehörden und Politiker, wenn es um die AfD geht. Weil sie immer wieder die von der Verfassung garantierte Gleichbehandlung aller Deutschen in Frage stellt. Und wie auch Donald Trump macht sie ihre politischen Gegner verächtlich und erklärt politische Mitbewerber zu Feinden. Unter Beschuss nimmt sie auch immer wieder die unabhängige Justiz. Der Grund: Wie auch Donald Trump in den USA wurden in Deutschland zahlreiche AfD-Politiker wegen strafbarer Handlungen verurteilt. 

Vorreiter in den sozialen Medien

Die AfD bedient sich dabei immer stärker der Strategie Gramscis: Sie flutet das Netz mit einfachen Parolen, vermeintlich witzigen Memes, emotionalen Botschaften. Und sie hat es geschafft, eine Kultur von rechts zu etablieren: Keine andere Partei bespielt die emotionsgetriebenen sozialen Medien ansatzweise so strategisch geschickt, sagt Armin Pfahl-Traughber: "Die AfD ist da Vorreiter um Längen gewesen. Und das ist tatsächlich ein Wirken in die alltagskulturelle Dimension rein."

Für offene und demokratische Gesellschaften wird der "Gramscismus von rechts" zunehmend zu einer Gefahr. Wirksame Gegenstrategien sind derzeit kaum zu erkennen.

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