1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der lange Weg zum grünen Stahl

Klaus Ulrich
26. Juli 2019

Alle reden von einer Dekarbonisierung der Wirtschaft. Im Detail wird deutlich, welche Herkulesaufgabe das ist. Zum Beispiel bei der Herstellung von Stahl. Dort wird massenhaft CO2 erzeugt.

Stahlkocher
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

"Die Anlagentechnik ist da. Was nicht da ist, sind die Rahmenbedingungen, um sie wirtschaftlich betreiben zu können", sagt Volker Hille, Leiter Corporate Technology bei der Salzgitter AG. Wie die anderen Branchengrößen ArcelorMittal und ThyssenKrupp forscht das Unternehmen an neuen Technologien, die bei der Produktion von Stahl den bisherigen enormen Ausstoß von Kohlendioxid verhindern.

Um Stahl zu erzeugen, wird momentan weltweit nahezu ausschließlich auf Kohle zur chemischen Entfernung von Sauerstoff aus dem Eisenerz gesetzt. Aber genau dadurch entsteht am Ende der Prozesskette eine gigantische Menge an CO2, die freigesetzt wird.

Wasserstoff statt Kohlenstoff

In der Metallurgie weiß man schon lange, dass die Rolle des Kohlenstoffs bei der Stahlherstellung auch von Wasserstoff übernommen werden kann. Dann entsteht am Ende der Prozesskette kein CO2 mehr, sondern H2O, also unschädliches Wasser. Diesen Weg verfolgt man bei der Salzgitter AG.

Ein Mitarbeiter fährt mit einem Fahrrad durch die Verzinkung der Salzgitter AG an Stahlcoils vorbei. Bild: picture-alliance/dpa/C. Gateau

"Wir setzen auf eine Verdrängung des Kohlenstoffs aus unseren Prozessen und damit auf eine direkte Vermeidung von CO2", sagt Volker Hille. "Damit unterscheiden wir uns von anderen Ansätzen."

Bereits vorhandene Technologie

Bei dem von der Salzgitter AG favorisierten Modell gehe es um eine neuartige Kombination von im Prinzip bereits vorhandener Technologie. Dabei kommt als zusätzliche Komponente Erdgas ins Spiel.

Es gebe nämlich ein paar Regionen der Welt, in denen Erdgas billiger sei als Kohlenstoff aus Kohle. "Erdgas ist ja im wesentlichen Methan, (abgekürzt: CH4) und darin gebundener Wasserstoff", erklärt der Experte. "Betrachtet man das in Bezug auf die bei uns notwendigen chemischen Reaktionen, dann wird bei Erdgas-Verwendung bereits Hälfte des Jobs von Wasserstoff erledigt."

Entsprechende Anlagen mit industriellen Größenordnungen der Produktion würden schon betrieben "in Nordafrika, im Mittleren Osten, auch am Golf von Mexiko sowie in den USA, im dortigen Schiefergasgürtel".

Der Clou: "Diese Anlagen, die auf Erdgas-Basis laufen, sind mit unserer Technologie auch in der Lage, Wasserstoff einzusetzen." Das Besondere dabei: "Es funktioniert in jedem beliebigen Mischungsverhältnis mit Erdgas."

Erdgas als Brückenmedium

Bereits beim Umstieg auf Gas könnten auch hierzulande große CO2-Mengen vermieden werden. Betreibe man entsprechend modifizierte Hüttenwerke ausschließlich mit Erdgas, läge das Einsparpotential der Emissionen im Vergleich zu heute bereits bei über 60 Prozent. Beim hälftigen Einsatz von Erdgas und Wasserstoff betrage die Reduzierung schon rund 80 Prozent. Nur bei dem letztendlich anvisierten Sparziel von 95 Prozent der CO2-Emissionen müsste man ausschließlich auf Wasserstoff setzen.

Protest von Klimaaktivisten in BrüsselBild: picture-alliance/dpa/Belga/N. Maeterlinck

Doch ein Umstieg auf klimafreundliche Stahlproduktion wird teuer. Die wirtschaftlichen Hürden sind höher als die technischen. Die Kosten für Erdgas, Wasserstoff und für die in diesem Zusammenhang notwendige umweltfreundliche Energie sind im Vergleich zur heute eingesetzten Kohle viel zu hoch. Investitionen in neue Anlagentechnik im industriellen Maßstab wären betriebswirtschaftlich aus Sicht der Unternehmen aber nur gerechtfertigt, wenn damit weiterhin wettbewerbsfähig Stahl produziert werden könnte.

Enormer Zeitdruck

Aber die Zeit drängt. Im Pariser Klimaabkommen hat sich die Staatengemeinschaft darauf verständigt, dass der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter zwei Grad Celcius über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird. Zugleich sollten "Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celcius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen", zitiert Niklas Schinerl, Energieexperte der Umweltorganisation Greenpeace, auf DW-Anfrage die angestrebten Klimaziele.

Nehme man die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad als Zielmarke an, lande man bei der Notwendigkeit, bereits im Jahr 2035 CO2-neutral produzieren zu müssen. Klimaneutralität im Jahr 2050, wie beispielsweise vom Stahlkonzern ThyssenKrupp angestrebt, orientiere sich am Zwei-Grad-Ziel und nicht am Pariser Klimaabkommen.

"Aktuell ist zu beobachten, wie an verschiedenen Stellen bereits jetzt Kipppunkte erreicht werden, die den Klimawandel massiv zu beschleunigen drohen", betont Schinerl und weist damit auf einen sich aus seiner Sicht eher noch verschärfenden Zeitdruck hin.

Dekarbonisierung der Stahlherstellung erfordert enorme Mengen von Öko-Strom: Windkraftanlage in Schleswig Holstein Bild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Gewaltiger zusätzlicher Energiebedarf

Ein weiteres, in der breiten Öffentlichkeit bisher kaum beachtetes Problem sieht Stahlexperte Volker Hille im massiv steigenden Energiebedarf beim Einsatz klimafreundlicher Technologien. Der Ausbau Erneuerbarer Energien fokussiere sich im Augenblick ausschließlich auf den heutigen Umfang des Strommarktes.

"Wenn die Chemieindustrie, wenn die Stahlindustrie, wenn die Zementindustrie - also energieintensive Industrien - sich mit Dekarbonisierung beschäftigen, dann geht es dabei eigentlich immer auch um den Einsatz erheblicher Mengen elektrischer Energie", so Hille. "Würde man die europäische Stahlindustrie über unseren Weg dekarbonisieren, also mit am Ende 95 Prozent weniger CO2-Emissionen, dann benötigt man dafür pro Jahr 400 Terawattstunden elektrische Energie zusätzlich. Zum Vergleich: Deutschland erzeugt im Moment gerade so um die 600 Terawattstunden insgesamt. Diese Zahlen vermitteln ein Gefühl dafür, über welche Aufgabe wir für die Zukunft reden."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen