In Berlin hat die Klimadebatte keine Sommerpause: Stundenlang hatte die Bundesregierung über den CO2-Preis verhandelt, Handfestes gab es danach nicht. Und nun ist die Klima-Ikone Greta Thunberg in der Stadt.
Anzeige
Das Timing passt. Die Ikone der jungen Klimaschutz-Bewegung, Greta Thunberg, hält bei einer Demonstration in Berlin eine Rede. Am Vorabend hat sich Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministern zusammen gesetzt, die im Kampf gegen die Erderhitzung vor allem liefern müssen. Verkehr, Wirtschaft, Bauen, Landwirtschaft, Umwelt und Finanzen. Denn beim Klimaschutz geht es um sehr viel Geld. Um Milliarden-Investitionen - und die Rechnung an der Tankstelle.
Nach dem dritten Treffen des Klimakabinetts ist allerdings weiter offen, wie es mit dem Klimaschutz in Deutschland weitergehen soll. Das Klimakabinett trennte sich nach dreistündigen Verhandlungen ohne Entscheidungen getroffen zu haben - die sollen erst am 20. September fallen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze von der SPD sprach von einer "intensiven Diskussion". Es gebe noch viel zu tun.
In der Bundesregierung gibt es parteiübergreifend eine Bereitschaft zur Einführung einer CO2-Bepreisung auch in weiteren Bereichen wie Verkehr oder Gebäudeheizungen. Uneinigkeit besteht allerdings über den Weg dorthin. Schulze befürwortet eine CO2-Steuer und will gleichzeitig über eine "Klimaprämie" und Förderprogramme die Einnahmen an Bürger und Wirtschaft zurückgeben. Die Kanzlerin hält zwar ebenfalls einen CO2-Preis für richtig, legt sich aber noch nicht auf einen Rahmen fest. Auf ihrer traditionellen Sommer-Pressekonferenz sagte Merkel, man müsse "die soziale Ausgewogenheit beachten".
Die meisten Unionspolitiker neigen zu einer Ausweitung des Emissionshandels, den es auf europäischer Ebene bisher für Energiewirtschaft und weite Teile der Industrie gibt. Nach derzeitigem Stand wollen sich CDU und CSU erst am 16. September - und damit gut zwei Wochen nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachen - offiziell auf ein Konzept festlegen. Nur vier Tage später soll dann das Klimakabinett entscheiden. Am 23. September reist Kanzlerin Merkel zu einem Klimagipfel nach New York, zu dem UN-Generalsekretär António Guterres eingeladen hat.
Das Klimakabinett verhandelt über ein umfassendes Paket, um den Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland schneller zu senken und die Klimaschutzziele zu erreichen. Es geht dabei um Förderprogramme, neue Vorgaben und eben jenem CO2-Preis, der den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) im Verkehr und beim Heizen verteuern soll.
Nach Ansicht von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus wird Deutschland bis 2030 mehrere Hundert Milliarden Euro ausgeben müssen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Das sagte der CDU-Politiker der Düsseldorfer "Rheinischen Post" und dem Bonner "General-Anzeiger". Außerdem müsse der Bundestag seine Arbeitsweise ändern und einen "Zukunftshaushalt" aufstellen, in dem politische Ziele - wie die Finanzen im Bundesetat - jährlich festgeschrieben, abgestimmt und kontrolliert würden.
Es dürfe sich nicht wiederholen, dass CO2-Reduktionsziele gesetzt und dann gerissen würden. Die Politik müsse den Bürgern jetzt sehr ehrlich sagen, dass jeder Einzelne sein Verhalten überprüfen müsse, sagte Brinkhaus weiter. Das Leben werde sich verändern. Es müsse aber niemand Angst davor haben, weil es Übergangszeiten zum Umdenken und zur Vorsorge geben werde.
Trotz Ferien: Fridays for Future geht weiter
Trotz der Ferienzeit gehen junge Demonstranten in Deutschland für mehr Klimaschutz auf die Straße. In Berlin kamen mehr als 2000 Menschen zusammen. Mit dabei: die schwedische Aktivistin Greta Thunberg.
Bild: Reuters/F. Bensch
Ferien? Ab in den Flieger
So hatten Skeptiker die Fridays-for-Future-Bewegung in den Ferien gesehen: Statt die Welt zu retten würden die jungen Demonstranten dann sicher lieber Urlaub machen, möglicherweise sogar mit dem klimaschädlichen Flugzeug. Das mag für einen Teil der Schüler zutreffen, die Berliner Demo übertraf jedoch die Erwartungen bei weitem.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stein
Keine Ermüdungserscheinungen
Die Veranstalter selbst hatten etwa tausend Teilnehmer erwartet. Es kamen aber gut zweitausend zum Invalidenpark in Berlin-Mitte. "Für uns junge Menschen reicht die Zeit nicht mehr, um erwachsen zu werden und die Verantwortung zu übernehmen, es muss jetzt sofort etwas passieren", rief die 16jährige Greta Thunberg ihnen, aber vor allem den Politikern zu.
Bild: Reuters/F. Bensch
Keine Scheu
Eine 16 Jahre alte Schülerin aus Schweden ohne Allüren, die keine Angst hat, vor tausenden von Menschen in Deutschland zu sprechen. Greta Thunberg geht es um die Sache. Und die ist ihrer Meinung nach so dringend, dass Personen dahinter zurückstehen müssen.
Bild: Reuters/F. Bensch
Merkel gibt sich beeindruckt
"Sie haben uns sicherlich zur Beschleunigung getrieben." Das sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz vor ihrem Sommerurlaub, während gleichzeitig die Schüler demonstrieren. Die jungen Leute hätten die Politik dazu gebracht, entschlossener an die Klimafrage heranzugehen, gibt Merkel zu. Aber man müsse auch "die Menschen mitnehmen", gibt sie zu bedenken.
Bild: Reuters/H. Hanschke
Kritik an den "Profis"
FDP-Chef Christian Lindner hatte einmal gesagt, die Schüler sollten Klimapolitik doch den "Profis" überlassen. Der Satz fällt ihm jetzt immer wieder auf die Füße. Die Demonstranten greifen ihn auf und wenden ihn gegen seinen Urheber.
Bild: Reuters/F. Bensch
Große Erwartungen
Ein Bauer im westfälischen Selm hat in sein Maisfeld die Umrisse von Greta Thunberg mit dem Fridays-for-Future-Zeichen gemäht. Das Luftbild entstand relativ klimaschonend mit einer Drohne, nicht etwa mit einem Hubschrauber oder gar vom Flugzeug aus.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Kirchner
6 Bilder1 | 6
Kritik von Umweltverbänden
Verschiedene Umweltverbände kritisierten, dass das Klimakabinett bislang keine Beschlüsse gefasst hat. "Wieder nur Reden und kein Handeln", sagte der stellvertretende BUND-Vorsitzende Ernst-Christoph Stolper der Deutschen Presse-Agentur. Die Klimakrise brauche beherztes Handeln, dafür liege "alles auf dem Tisch". Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser sagte der dpa: "Die Unfähigkeit von CDU, CSU und SPD, sich beim Klimaschutz zu einigen, wird die Klimabewegung in den kommenden Monaten immer breiter und größer werden lassen."
Ähnlich reagierte auch Vertreter der Fridays for Future-Bewegung. Auf Twitter kritisierten sie, dass die Bundesregierung nicht das "1,5-Grad-Ziel" des Pariser Klimaschutzabkommens einhalten werde. Deshalb müsse weiter gestreikt werden.
Unterdessen hat die Klimaaktivistin Greta Thunberg bei einer Fridays for Future Demo in Berlin gesprochen. Sie hat ihre Mitstreiter dazu aufgerufen, weiter für den Klimaschutz zu protestieren. "Wir werden nie aufhören", sagte die 16-Jährige in ihrer Rede. Es gebe ihr Hoffnung, dass so viele Menschen für das Klima auf die Straße gingen. "Ich werde nie aufgeben." Thunberg kam zum zweiten Mal zu einem Klimaprotest nach Berlin. Sie sprach mehrere Minuten zu den Schülern und Klimaaktivisten, die ihr laut applaudierten.
Für die Demonstration im Regierungsviertel haben die Veranstalter 1000 Teilnehmer angemeldet. Bundesweit sind Klima-Proteste in weiteren 25 Städten geplant. Zuletzt war Thunberg Ende März in der Bundeshauptstadt und hatte einen Demonstrationszug von mehr als 25.000 Menschen angeführt.
Die 16-Jährige hatte Fridays for Future initiiert, indem sie als erste regelmäßig jeden Freitag vor dem schwedischen Parlament in Stockholm für mehr Klimaschutz streikte.
lh/rb (dpa, afp)
Deutschlands Klimabewegung
In Deutschland gibt es inzwischen eine große Klimabewegung. Vor allem junge Menschen wehren sich gegen Umweltzerstörung und untätige Politik. Sie fordern umfassende Maßnahmen zur Einhaltung des Pariser 1,5-Grad-Ziels.
Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/P. Graf
Schulstreik für die Zukunft
Wozu noch Lernen wenn ihr unsere Zukunft zerstört? Das sagen immer mehr Schüler in Deutschland und demonstrieren jeden Freitag für den Klimaschutz. Inspiriert wurde die Bewegung von der schwedischen Schülerin Greta Thunberg. Weltweit gehen derzeit vor allem Schüler auf die Straße.
Bild: DW/G. Rueter
Fürs Zögern bleibt keine Zeit
Mit dem internationalen Klimaschutzabkommen von Paris verpflichten sich die Staaten zur Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad. So soll die Zahl und Zerstörungskraft von Klimakatastrophen eingedämmt werden. Immer mehr Menschen fordern jetzt entschlossenes Handeln. Der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas müsse schnell gelingen.
Bild: DW/G. Rueter
Jugend macht Druck
Klimawissenschaftler warnen schon sehr lange. Doch Politiker zögerten bisher beim Klimaschutz. Deutschland wird seine Klimaziele für 2020 deutlich verfehlen. Bei der Europawahl im Mai 2019 war Klimaschutz im Wahlkampf ein wichtiges Thema. Die Grünen bekamen über 20 Prozent der Stimmen, mehr als doppelt so viel wie bisher. Unter den 18-24 jährigen stimmten sogar 34 Prozent für die Umwelt-Partei.
Bild: DW/G. Rueter
Widerstand im Wald gegen Kohle
Die deutsche Klimabewegung ist inzwischen breit aufgestellt. Grosse Aufmerksamkeit bekamen in den letzten Jahren immer wieder junge Aktivisten im Hambacher Wald. Sie bauten dort Baumhäuser, um zu verhindern, dass der alten Wald für den Braunkohle-Abbau gerodet wird. Der Energiekonzern RWE geht juristisch gegen die Besetzer vor, die Polizei hat das Lager der Aktivisten bereits mehrfach geräumt.
Bild: DW/G. Rueter
Ende Gelände
Proteste von Gruppen wie "Ende Gelände" sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Tausende junge Aktivisten demonstrieren an Aktionstagen, blockieren etwa die Gleise der Kohlebahn zu den Kraftwerken bei Köln, oder versuchen die riesigen Kohlebagger zu besetzen, wie hier im ostdeutschen Tagebau Welzow, 2016.
Bild: picture-alliance/Zumapress/J. Grosse
50.000 feiern Etappensieg
Wenige Tage nach einer Räumung des Aktivistenlagers im September 2018 setzte das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodung des Hambacher Walds aus. Die Umweltorganisation BUND hatte aus Naturschutzgründen geklagt. RWE argumentiert, dass die Rodung des Waldes am Rande des Braunkohlereivers für Deutschlands Stromversorgung notwendig ist. 50.000 Umweltschützer feierten am Waldrand den Etappensieg.
Bild: picture-alliance/dpa/T.Hase
Kohleausstieg bis spätestens 2038
Januar 2019: Mit großer Spannung wurde der Bericht der Kohlekommission erwartet: Sieben Monate hatten Experten im Auftrag der Bundesregierung um Deutschlands Kohleausstieg gerungen. Das Ergebnis: Bis spätestens 2038 soll der Kohleabbau in Deutschland enden. Zur Einhaltung des Pariser Klimaziels von deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad reicht der Ausstiegspfad nicht.
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen
Kein Vertrauen in Deutschlands Klimapolitik
Eine wachsende Zahl junger Menschen in Deutschland fordert die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Die jungen Fridays for Future Aktivisten bekommen auch Unterstützung von älteren Umweltschützern, Lehrern, Eltern und der Wissenschaft. Sie fordern bis 2030 alle deutschen Kohlekraftwerke abzuschalten und erneuerbare Energien schneller auszubauen.