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Der lange Weg zur Demokratie

Rodion Ebbighausen8. August 2013

Kaum ein Land der Welt hat in den letzten Jahren einen so großen Wandel durchgemacht wie Myanmar. Der einstige Pariastaat wurde zum Vorbild der Demokratisierung. Angefangen hat alles 1988 mit einem Volksaufstand.

Symbolbild Volksaufstand "8888" (Foto: DW/Tun Lynn)
Bild: DW/Tun Lynn

Wendepunkt, Krise oder Markstein sind Begriffe, die Zeitzeugen bei Interviews zum Volksaufstand von 1988 wählen. Damals war es in Birma, dem heutigen Myanmar, zu heftigen Protesten gekommen, die das Militär nach sieben Monaten mit einem Putsch beendete. Auf den 8. August 1988 fiel ein Generalstreik, der das Land lahmlegte. Bis heute symbolisiert das Datum (8.8.88) den gesamten Volksaufstand. Für viele Menschen haben die vier Achten eine fast magische Bedeutung. Die sieben Monate haben das Land nachhaltig verändert und prägen es bis heute.

Die landesweit respektierte Autorin Ma Thida sagt: "Ohne 1988 wären sich die Menschen des Potentials gemeinsamer politischer Aktion niemals bewusst geworden. Es wurde ihnen klar, dass sie mit der Macht der Machtlosen etwas erreichen können." Der Journalist Thiha Saw zieht eine direkte Linie von 1988 bis in die Gegenwart: "Es gibt eine enge Verbindung zwischen den heutigen Reformen und den Ereignissen von 1988."

Auf den Spuren der Demokratiebewegung

Um dieser Verbindung bis in die Gegenwart nachzuspüren, bin ich im Mai 2013 nach Myanmar gereist. Dort habe ich ehemalige Demonstranten, politische Aktivisten, Mitglieder der damaligen Regierungspartei, Studenten, Journalisten und Künstler getroffen. Zwei Dinge sind dabei schnell klar geworden: Zum einen, wie entscheidend "1988" für den gegenwärtigen Öffnungsprozess des Landes tatsächlich ist, und zum anderen, dass die Ereignisse von 1988 im Leben vieler Menschen bis heute Spuren hinterlassen haben.

An einem der ersten Tage fahre ich zu einem Kloster im Thingangyun Township, einem Stadtteil der Millionenmetropole Yangon. Dort möchte ich einen Mönch treffen, der 1988 an den Protesten gegen die Militärdiktatur teilgenommen hat. Statt des Mönches treffe ich auf eine ungewöhnliche Hochzeit.

Es ist unmöglich, sich der herzlichen Einladung zu entziehen. Eine Gruppe von Gästen geleitet mich in einen schattigen Raum. Ein junger Mann bringt zwei verschiedene Curries, das nordindische Fladenbrot Chapati und zwei kirschrote Eiskugeln, die in der Hitze schnell schmelzen. In der Ecke des Raumes lächelt milde eine Buddhafigur, umgeben von einem blinkenden Kranz aus bunten Leuchtdioden.

Das frisch vermählte PaarBild: DW/R.Ebbighausen

Das Brautpaar tritt zu mir an den Tisch. Ich wundere mich über das Alter des Bräutigams, den ich auf Anfang 40 schätze. Die Frau ist vermutlich jünger. Ich bedanke mich. Da wir keine gemeinsame Sprache haben, bleibt alles ein wenig steif. Schließlich wendet sich das Brautpaar anderen Gästen zu. Ein ungewöhnliches Alter für eine Hochzeit in Myanmar, wo die meisten Menschen mit Mitte 20 heiraten.

Die Gegenwart der Vergangenheit

Ein junger Mann setzt sich zu mir an den Tisch. Er spricht Englisch und ist Mitarbeiter der "88-Generation", einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die von Studentenführern der Aufstände von 1988 gegründet wurde. Er erklärt: Der Bräutigam sei ein ehemaliger politischer Gefangener und erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden. Die meiste Zeit seit 1988 sei er inhaftiert gewesen, so dass er nie die Gelegenheit gehabt habe, eine eigene Familie zu gründen. Der junge Mann zeigt mir die Einladungskarte der Hochzeit. Von vorne besehen handelt es sich um ein Haus. Dreht man die Karte jedoch um, so sieht man die Mauern eines Gefängnisses. Er erläutert: "Heiraten heißt im Burmesischen ein htaung. Wörtlich übersetzt bedeutet das: 'einen Haushalt gründen'. Htaung heißt aber auch Gefängnis. Es ist ein Wortspiel."

Als ich die Feier verlasse, mache ich noch ein Foto des Brautpaares. Sie blicken ernst, fast streng in die Kamera. Ihre Gesichter zeigen, welchen Preis einige der Demonstranten von 1988 bezahlt haben. Für ihre Ideale und Hoffnungen haben viele auf Familie und Kinder verzichten müssen.

Der Preis der Freiheit

Im Laufe meiner Recherchen treffe ich noch fünf andere ehemalige politische Gefangene, von denen zwei weitere vor kurzem geheiratet haben. Ich frage sie, ob der Preis, den sie bezahlt haben, es wert gewesen sei. Alle weichen der Frage aus. Nur die Autorin Ma Thida, die ebenfalls mehere Jahre in Gefangenschaft saß, gibt eine Antwort: "Ich habe meine persönliche Entscheidung niemals bereut. Ich weiß, dass die autoritäre Regierung niemals so leicht über Reformen nachgedacht hätte, wenn es nicht Menschen wie uns gegeben hätte, die diese Art der Entscheidung getroffen oder dieses Opfer gebracht hätten. Alles, was wir erlitten haben, war notwendig."

Die Ärztin und Autorin Ma Thida war selbst mehrfach im GefängnisBild: DW/R.Ebbighausen
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