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Politik

Der letzte Kampf? Zum Angriff auf Daraa

28. Juni 2018

In aller Entschlossenheit lässt Assad eine der letzten Rebellen-Bastionen, die Stadt Daraa, bekämpfen. Sein Sieg dort ist absehbar, doch der dürfte weder Assads Herrschaft über Syrien sichern noch die Region beruhigen.

Syrien - Angriffe auf Daraa
Bild: picture-alliance/AP

Feldkrankenhäuser außer Betrieb, weitere Krankenhäuser auch im Umfeld nicht mehr arbeitsfähig. Nach Informationen der der syrischen Opposition nahestehende Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei den seit über einer Woche anhaltenden Angriffen auf Daraa zuletzt 22 Menschen getötet, insgesamt waren es in den vergangenen Tagen nahezu 100. Zudem sind rund 50.000 Menschen auf der Flucht.

Seit Montag dieser Woche hat das Militär seine Angriffe auf die Stadt, in der vor mehr als sieben Jahren der Protest gegen das Assad-Regime seinen Anfang nahm, noch einmal ausgeweitet und verstärkt, um mögliche Verbindungen der Rebellen zu nach Jordanien geflohenen Unterstützern zu unterbinden. An der Bombardierung sind nach Auskunft der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte auch russische Jets beteiligt.

Eine humanitäre Krise

Die Angriffe dürften die ohnehin kaum zu bewältigende humanitäre Krise in Syrien weiter verschärfen, erwartet Bente Scheller, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Die syrische Armee habe rund um Daraa eine Offensive erheblichen Ausmaßes gestartet. Diese werde zwar nicht das Ende des Krieges, wohl aber dessen erneute Transformation bewirken.

Das werde sich zunächst auf Jordanien auswirken, so Scheller. Das Land, das offiziellen Angaben zufolge knapp 700.000 Flüchtlinge versorgt, sei derzeit vor allem darum bemüht, die eigene politische Stabilität zu wahren. "Wenn sich die massive Militärkampagne auf Daraa nun aber fortsetzt, liegt es auf der Hand, dass auch mehr Flüchtlinge innerhalb Syriens sich auf den Weg in Richtung Grenze machen und in Jordanien zu einem politischen Problem werden." Noch halte Jordanien die Grenze zu Syrien zwar geschlossen, sagt Scheller: "Aber es ist durchaus zweifelhaft, ob sich das angesichts eines massiven Ansturms von Hilfsbedürftigen aufrechterhalten lässt."

Auf der Flucht. Zivilisten verlassen DaraaBild: picture-alliance/AP Photo/Nabaa Media

De-Eskalationszonen als taktische Finte?

Umso kritischer sieht Nahost-Experte Khattar Abu Dia vom Internationalen Institut für Geopolitik in Paris die vier so genannten De-Eskalationszonen, die während der vergangenen Monate in verschiedenen Regionen Syriens zum Schutz der Zivilisten eingerichtet worden waren. "Sie haben dem Assad-Regime nur dazu gedient, seine Truppen zusammenzuziehen und Zeit zu gewinnen, und die Regimegegner dann umso entschiedener zu bekämpfen", äußert er seine Vermutung im Gespräch mit der DW.

Seit Monaten wirkt sich der Krieg auch auf die Stabilität anderer Länder in der Region aus. Vor einigen Wochen hatte der syrische Präsident Bashar al-Assad erklärt, in Syrien finde ein "Weltkrieg" statt. "Vielleicht ist es kein mit aller Kraft betriebener Dritter Weltkrieg, aber es ist ein Weltkrieg. Es ist zwar kein Atomkrieg, aber es ist gewiss auch kein Kalter Krieg mehr."

Internationale Absprachen?

Die Auswirkungen dieses Krieges bekommt derzeit auch Israel massiv zu spüren, wenngleich in anderer Form als Jordanien: Die Kämpfe in Syrien haben zu einer massiven Präsenz der libanesischen Hisbollah an der syrisch-israelischen Grenze geführt. Israel fühlt sich durch die schiitische Miliz, mit der es 2006 in einen Krieg verwickelt war, in höchstem Maß bedroht. Wiederholt hat der jüdische Staat Einrichtungen der Hisbollah und ihrer Schutzmacht Iran auf syrischem Gebiet angegriffen.

Könnte es darum vor den Angriffen auf Daraa zu Absprachen zwischen Israel und Russland, der Schutzmacht Baschar al-Assads, gekommen sein - mit dem Ziel, unter der Hand zu einer Einigung zu kommen? Der libanesische Journalist Tony Abu Najm schloss das im arabischen TV-Programm der Deutschen Welle nicht aus. Das Assad-Regime habe nicht nur von Russland, sondern auch von Israel ein OK für die Angriffe auf Daraa erhalten, sagte Abu Najm in der Sendung "Massaiya". Im Gegenzug sei garantiert worden, dass die iranischen Truppen - und in ihrem Gefolge die Milizen der Hisbollah - zur israelischen Grenze einen Mindestabstand von 30 bis 40 Kilometern zu halten hätten. Damit solle den israelischen Sicherheitsbedenken entsprochen werden.

Verzweifelte Lage. Kämpfer der oppositionellen Freien Syrischen Armee in DaraaBild: Reuters/A. Al-Faqir

Ähnlich sieht es auch Nahost-Experte Khattar Abu Dia. Auch er hält es für möglich, dass es vor dem Angriff auf Daraa Gespräche zwischen Russland und Israel gegeben habe. Russland könnte sich in Teheran dafür eingesetzt haben, dass sich Iran zumindest in Teilen aus Syrien zurückziehe, sagte Abu Dia der DW. Offen sei allerdings, inwieweit sich Iran auf dieses Anliegen eingelassen habe. "Bislang gibt es keine entsprechende Verpflichtungserklärung Irans. Russland hält den Iran zwar auf Distanz, bombt dafür aber seinerseits."

Dem widersprach die syrische Abgeordnete Ashwaq Abbas entschieden. Es habe keinerlei Absprachen gegeben, erklärte sie in der DW-Sendung "Massaiya". Das syrische Militär habe bereits mehrere Städte von den Rebellen zurückerobert. Nun sei eben Daraa an der Reihe.

"Bewaffneter Widerstand ist an sein Ende gekommen"

Zudem hätten sich Teile der Rebellen mit der syrischen Armee zusammengeschlossen, so Abbas. Nun bekämpften sie gemeinsam die dschihadistischen Truppen, allen voran die Dschabhat Fath asch-Scham, ehemals bekannt als al-Nusra-Front. Ausgeschlossen ist ein solcher Zusammenschluss nicht. Die Lage der nach sieben Kriegsjahren ohnehin zermürbten, womöglich demoralisierten und in verschiedene, teils miteinander konkurrierende Gruppen zersplitterten Rebellen ist durch die Angriffe noch verzweifelter geworden. Wäre es tatsächlich zu einem Zusammenschluss mit den einstigen Gegnern gekommen, könnte dies auch dem schlichten Bedürfnis entsprungen sein, zumindest das eigene Leben zu retten.

Es liege aber auf der Hand, dass die Rebellen durch die jüngste Offensive ans Ende ihrer Kräfte gekommen sind, sagt Bente Scheller. "Die Aufständischen waren schon lange in der Defensive. Zudem haben sie ihre internationalen Unterstützer nach und nach verloren. Lange Zeit hatten die USA die Rebellen an deren Süd-Front unterstützt. Nun haben sie diese sich selbst überlassen."

Der starke Mann und sein Schützling: Der russische Präsident Wladimir Putin (li.) mit Baschar al-Assad (re.)Bild: picture-alliance/dpa/Sputnik/M. Klimentyev

Die bewaffnete Opposition könne nun kaum mehr effektiv kämpfen, so die Nahost-Expertin: "Der bewaffnete Widerstand ist an sein Ende gekommen - und damit auch der politische Widerstand." Zwar existiere die Auslandsopposition weiterhin. "Aber innerhalb Syriens hat das Regime in weiten Teilen gewonnen."

Mafiöse Strukturen

Fraglich ist allerdings, ob das Assad-Regime seine Macht im Land vollständig wiederherstellen oder die Staatsgewalt aufrechterhalten kann. Beispiel Aleppo: Nach der Rückeroberung des von Rebellen besetzten Ostteils der Stadt 2016 seien nicht viele Menschen dorthin zurückgekehrt, so Scheller. In der Folge hätten sich dort mafiöse Strukturen etabliert, und das Regime sei offenbar weder willens noch in der Lage, sie hinreichend zu bekämpfen. Viele Binnenflüchtlinge hätten sich darum entschieden, nach West-Aleppo zu gehen.

Angesichts dieser Umstände sei es zweifelhaft, dass das Assad-Regime absehbar sich selbst und damit auch das Land stabilisiere. Im Gegenteil: "Wir hatten vorher schon ein sehr korruptes Regime, bei dem gewisse Zeichen mafiöser Umtriebe bereits existierten", so Scheller. "Das dürfte sich weiter verstärken."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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