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KonflikteIsrael

Der Libanon, die Hisbollah und die Angst vor einem Krieg

29. Juli 2024

Die große Mehrheit der Menschen im Libanon ist gegen einen Krieg mit Israel. Die Entscheidung darüber wird indes von der Hisbollah und der israelischen Regierung getroffen. Ein Krieg würde das Land hart treffen.

Brennendes Gebäude in der Region Schebaa im Süden des Libanon
Israelischer Luftschlag: Brennendes Gebäude in der Region Schebaa im Süden des LibanonBild: Ramiz Dallah/Anadolu/picture alliance

Das israelische Sicherheitskabinett hat sich entschieden. Es habe Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant ermächtigt, "über die Art und Weise und den Zeitpunkt des Vorgehens gegen die Terrororganisation Hisbollah zu entscheiden", teilte das Büro des Ministerpräsidenten am späten Sonntagabend mit. Netanjahu hatte der proiranischen Miliz zuvor gedroht, sie werde einen "hohen Preis" bezahlen.

Damit reagiert Israel auf den mutmaßlich von der Hisbollah zu verantwortenden Raketenangriff auf einen Fußballplatz auf den Golanhöhen. Dem Angriff fielen zwölf junge Menschen zum Opfer.

Die Hisbollah ihrerseits erklärt, sie habe die Raketen nicht abgefeuert. Die Organisation wird von den USA, Deutschland und anderen westlichen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Sie wird vom Iran unterstützt. Die EU listet den bewaffneten Flügel der Hisbollah als Terrorgruppe.

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Israel selbst erklärte am Montagnachmittag, man wolle die Hisbollah zwar treffen, nicht aber den gesamten Nahen Osten in einen Krieg stürzen. Dies erklärten mehrere namentlich nicht genannte israelische Beamte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

"Die Einschätzung ist, dass die Reaktion nicht zu einem totalen Krieg führen wird", zitiert Reuters eine der Quellen. "Das wäre zu diesem Zeitpunkt nicht in unserem Interesse."

Nächte sicherheitshalber außer Haus verbringen

Tatsächlich herrschten im Süden des Libanon an der Grenze zu Israel bereits jetzt kriegsähnliche Zustände, sagt Michael Bauer, Leiter des Beiruter Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, der sich derzeit in Jordanien aufhält.

Auch in anderen Landesteilen greife die israelische Armee immer wieder Ziele der Hisbollah an. "Die große Befürchtung der Libanesen ist jetzt natürlich, dass sie in eine neue Phase dieser Auseinandersetzungen eintreten könnten."

Sie hätten Angst, dass die israelische Armee weitere Ziele auswähle und andere Waffensysteme einsetze. Eine junge Libanesin, die anonym bleiben möchte, erklärte gegenüber der DW, sie habe die zweite Nacht außerhalb ihres Stadtviertels Dahieh verbracht, weil es von der Hisbollah beherrscht werde.

Zwar sei die Gefahr einer Eskalation derzeit noch nicht unkalkulierbar hoch. Doch sie bevorzuge es, sich schon jetzt in Sicherheit zu bringen.

Unregelmäßiger Verkehr: Flüge zum Flughafen von Beirut werden gestrichenBild: Mohamed Azakir/REUTERS

Sie selbst sei nicht besorgt, sagt eine andere Libanesin. Noch halte sie das Risiko für überschaubar. Wohl aber mache sie sich Sorgen um einen Teil der Familie, der im Süden des Landes lebe.

Schwacher Staat, geschwächte Gesellschaft

Sollte der Konflikt sich ausweiten, träfe er einen ohnehin schon schwachen Staat. Dieser ist laut einem Report der Weltbank zufolge massiv verschuldet. Die Verbindlichkeiten liegen bei 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2023: 201 Prozent).

Die Armutsrate hat sich einem weiteren Report der Weltbank zufolge im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht. Im Jahr 2024 leben demnach 44 Prozent der Libanesen unterhalb der Armutsgrenze.

Immerhin die Inflation könnte in diesem Jahr zurückgehen, nämlich von 221 Prozent im vergangenen auf 83 Prozent im laufenden Jahr 2024. 

Seit Jahren erweist sich der libanesische Staat als nicht oder nur wenig handlungsfähig. Seine Schwäche zeigte sich etwa im August 2020 bei der gewaltigen Explosion von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat in einem Lagerraum im Hafen von Beirut, die weite Teile der Stadt zerstörte. Mehr als 200 Menschen wurden bei dem Unglück getötet, über 6500 verletzt.

Über 30.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Über Jahre hinweg hatten die libanesischen Behörden zuvor verschlampt, die als gefährlich geltenden Chemikalien an einen sicheren Ort zu transportieren.

Weitere Belastungen kommen aus den Nachbarländern. So haben rund 1,5 Millionen Syrer im Libanon Schutz vor dem Krieg in ihrer Heimat gesucht. In dem Zedernstaat leben bereits eine Viertelmillion palästinensischer Flüchtlinge, zum Teil seit Jahrzehnten in Lagern. 

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Dass die Konfrontation zwischen Israel und Hisbollah nun weiter eskalieren könnte, wirkt sich bereits auf den Libanon aus. Internationale Airlines haben ihre Flugverbindungen nach Beirut ausgesetzt oder ganz eingestellt.

"Hinzu kommen Verschärfungen internationaler Reisewarnungen oder nachdrückliche Wiederholungen bereits bestehender Reisewarnungen." Am Montag forderte auch das Auswärtige Amt in Berlin alle Deutschen auf, den Libanon zu verlassen.

Gefahr für die letzte funktionierende Infrastruktur

Bereits vor Monaten hatte der ehemalige Wirtschaftsminister und Vizegouverneur der libanesischen Zentralbank, Nasser Saidi, vor einem Ausstrahlen des Israel-Hamas-Krieges auf den ganzen Libanon gewarnt. "Die wirtschaftliche Lage würde sich rasch verschlechtern", sagte er der Zeitung "The National" in Abu Dhabi.

Wenn die Lage eskaliere, würde womöglich die verbleibende Infrastruktur inklusive der Häfen und des Flughafens zerstört. "Diese sind angesichts der hohen Abhängigkeit des Landes von der libanesischen Diaspora die wirtschaftliche Lebensader des Landes."

Sollte sich der Konflikt ausweiten, dürfte dies katastrophale Folgen haben, heißt es auch in einer Analyse des Washingtoner Thinktanks Atlantic Council vom Juli dieses Jahres. Das könnte eine Rückkehr zu den "dauernden Kriegen" bedeuten. Auch könnten sich vom Iran unterstützte Kämpfer aus der gesamten Region der Hisbollah anschließen, was den Konflikt noch komplexer und riskanter machen würde.

Im Zentrum dieser Spannungen stünde der Libanon. Und der sei ganz sicher nicht in der Lage, eine weitere Krise oder gar einen Krieg mit Israel zu verkraften, sagt Michael Bauer.

Mitarbeit: Rola Farhat, Beirut.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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