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Der Mann an Cristinas Seite

Marc Koch, Buenos Aires30. Juni 2014

Argentiniens Wirtschaftsminister Axel Kicillof ist die Hauptfigur bei den Verhandlungen mit zwei US-Hedgefonds um die Rückzahlung seiner Staatsschulden. Er kann das Land retten - oder in den Abgrund reißen.

Axel Kiciloff 21.01.2014 (Foto: Maxi Failla/AFP/Getty Images)
Bild: Maxi Failla/AFP/Getty Images

Die Fähre von Colonia, einem kleinen Touristenort in Uruguay, nach Buenos Aires am gegenüberliegenden Ufer des Rio de la Plata, ist vollbesetzt an diesem heißen Sommertag im Februar 2013. An Bord viele Argentinier, die sich an uruguayischen Geldautomaten US-Dollars besorgt haben. Wegen der absurden Regeln zu Hause gibt es kaum eine andere Möglichkeit, an die harte amerikanische Währung zu kommen.

Plötzlich wird es unruhig auf dem Schiff: Schreie und Beleidigungen hallen durch die Kabine. Sie gelten einem jungen Ehepaar mit zwei kleinen Kindern: Argentiniens stellvertretender Wirtschaftsminister Axel Kicillof ist mit seiner Familie unterwegs. "Runter vom Boot! Runter vom Boot!", grölt ihnen die Menge entgegen - mitten auf dem Fluss. Schließlich muss der Kapitän die Familie auf seiner Brücke in Sicherheit bringen.

Brillanter Akademiker und polemischer Politiker

Kaum ein Politiker in Argentinien emotionalisiert so sehr wie der 42-jährige Kicillof: Er wird gehasst oder verehrt. Gleichgültig lässt er niemanden. "Schönling, Supervater, Streber" hat ihn die Lifestyle-Zeitschrift "Vanity Fair" genannt. Der Mann, der heute die argentinische Wirtschaftspolitik bestimmt, hat eine steile Karriere hinter sich: Absolvent des Elitegymnasiums Colegio Nacional de Buenos Aires, Wirtschaftsstudium an der Universidad de Buenos Aires, Promotion mit Bestnote mit einer Arbeit über den britischen Ökonomen John Maynard Keynes.

Schon damals, im Studentenparlament, hantiert er mit extrem linken Positionen. Allerdings bestreitet er, Marxist zu sein. Um "Das Kapital" im Original lesen zu können, lernt er extra Deutsch. Doch der brillante Akademiker interessiert sich nicht nur für den universitären Elfenbeinturm. Politik und Macht faszinieren ihn mindestens genauso. Spätestens als die Ära des Kirchnerismo beginnt, ist Kicillof in der Politik angekommen. Schon unter dem ehemaligen, inzwischen verstorbenen Präsidenten Nestor Kirchner beginnt sein Aufstieg. Unter dessen Nachfolgerin und Gattin Cristina Fernández de Kirchner wird er endgültig zum Superstar.

Steile Karriere

Die Präsidentin macht ihn zum Finanzchef der staatlichen Fluglinie Aerolineas Argentinas. Die Verluste von 2 Millionen US-Dollar am Tag kann er zwar nicht verhindern. Aber er arbeitet an seinem Ruf als Pedant: Ständig verlangt er nach neuen Tabellen, bis er hinter vorgehaltener Hand "Excel" genannt wird - nach der bekannten Windows-Anwendung mit Tabellenkalkulation.

Trotzdem steigt er erst zum stellvertretenden und im November 2013 zum Wirtschaftsminister auf. "Ich habe sie verzaubert", sagt er vor Freunden über seine Chefin. Kicillof gilt als selbstbewusst - zuweilen als arrogant. "Er war schon immer ein exzellenter Student, er ist hyperintelligent", sagt ein ehemaliger Professor, "aber was ihm einmal das Genick brechen wird, ist der kleine Napoleon, den er im Kopf hat."

Argentiniens Wirtschaftsminister Kicilloff (r.) ist einer wenigen Vertrauten von Präsidentin Fernández de KirchnerBild: Leo La Valle/AFP/Getty Images

Der mächtigste Mann im Kabinett

Bis jetzt allerdings hat er es weit gebracht: Auf kein anderes Mitglied ihres Kabinetts hört Präsidentin Kirchner so sehr wie auf Kicillof: "Er gehört zu den ganz wenigen, die direkten Zugang zur Präsidentin haben", erklärt die Publizistin Laura di Marco, die mehrere Bücher über den Kirchnerismo geschrieben hat. "Er geht sogar zum Mittagessen in ihre Privatresidenz - ein Privileg, das nur ganz wenige Beamte genießen. Und er hat diesen linken Diskurs d'rauf - auch wenn seine Politik dem nicht immer entspricht. Aber ich sage immer: 'Er ist der Sohn, den Cristina gerne gehabt hätte.'."

Ihrem politischen Ziehsohn lässt die Präsidentin alle Freiheiten: Kicillof ist der Mann hinter der überraschenden Verstaatlichung des Ölkonzerns YPF und der Enteignung der spanischen Muttergesellschaft Repsol im Frühjahr 2012. Der Regierung verschaffte der Coup einen dringend notwendigen Popularitätssprung bei ihren Anhängern. Ausländische Investoren allerdings sind geschockt. "Wir können uns nicht erlauben, dass ein multinationaler Konzern uns sagt, was mit unserem Gas und Öl geschieht", keilt Kicillof zurück.

Richtungswechsel oder Ratlosigkeit?

In den letzten Monaten allerdings hat der Wirtschaftsminister mit Repsol über eine Entschädigung verhandelt und mit dem Pariser Club gesprochen, einem informellen Gremium, bei dem zwischen Gläubigern und Schuldnerländer in Zahlungsschwierigkeiten vermittelt wird. Für Analysten wie Marina dal Poggetto aus Buenos Aires durchaus ein Zeichen: "Er hat sich ganz klar den Märkten zugewandt, damit das Land wieder kreditwürdig wird. Er glaubt wohl nicht mehr daran, dass die Devisenbewirtschaftung eine Lösung sein könnte, sondern dass wir frisches Kapital brauchen, um eine geordnete Finanzierung aufzubauen."

Kicillofs Kritiker haben da ihre Zweifel: Sie verweisen auf all die Maßnahmen, mit denen der Minister die Wirtschaft ans Gängelband nimmt: Energiepreise werden diktiert, Lebensmittelpreise eingefroren, Exporte hoch besteuert, Milliarden für populistische Sozialprogramme ausgegeben - Planwirtschaft wie aus dem Lehrbuch.

Die größte Herausforderung

Jetzt steht er vor der größten Herausforderung seines politischen Lebens: Er muss auf dem Verhandlungsweg verhindern, dass Argentinien die Inhaber von Schuldscheinen aus der Staatspleite von 2001 auszahlen muss. Dazu ist das Land von einem Gericht in New York verurteilt worden. Wird das Urteil vollstreckt, droht Argentinien die Zahlung einer astronomischen Summe und die erneute Staatspleite. Millionen Menschen könnten in Armut stürzen.

Dass Kicillof versucht hat, das Urteil mit dem billigen Taschenspielertrick einer vorgezogenen Überweisung auszuhebeln, war kein guter Start. Der Minister mag mit Zahlen umgehen können. Diplomatie und Zurückhaltung allerdings waren noch nie seine Stärke.

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