Der Matthäus-Effekt
11. Juni 2012
Von Matthew S. Bothner
Bei gleicher Qualität werden Mitarbeiter mit einem höheren Status besser bezahlt als ihre weniger hoch eingeschätzten Kollegen. Dieses Phänomen wird "Matthäus-Effekt" genannt, nach einem Vers aus dem Evangelium nach Matthäus: "Denn dem, der hat, wird gegeben und er wird im Überfluss haben, und dem, der nicht hat, wird auch das wenige, was er noch hat, genommen."
Warum bekommen die mit dem höheren Status nur immer noch mehr davon? Wie funktioniert das Matthäus-Prinzip?
Der Matthäus-Effekt unterliegt grundlegenden Einschränkungen, wie Mangel an Ressourcen und situative Beschränkungen. Ein Ressourcen-Mangel könnte darin bestehen, dass es für die Mitglieder einer Eilte zu wenig Führungspositionen gibt oder dass die Verteilung von Ressourcen mangelhaft organisiert ist. Oder dass die Forderung nach Mobilität und kurzfristiges Profitdenken einen gemeinsamen, dauerhaften Erfolg behindern. Status-Zuwachs entsteht besonders in Netzwerken, in denen auf einer gemeinsamen Basis mit spezialisiertem Wissen gearbeitet wird. In einem solchen System ist Status und Statuszuwachs auf natürliche Weise situativen Einschränkungen unterworfen.
Über die Wirkung des Matthäus-Effekts
Ob der Matthäus-Effekt dominiert oder nur begrenzt wirksam ist, liegt vor allem daran, ob der Status durch soziale Verbindungen hindurch "diffundieren" kann. Wenn der Status einer Person stark beeinflusst wird vom Status jener, die ihn oder sie beurteilen, dann wird der Status des Protégés sich dem des Mentors annähern – hier kann Status diffundieren. Das Gegenteil ist der Fall, wenn der Status einer Person vom Status jener, die ihn oder sie beurteilen, nicht beeinflusst wird. In diesem Fall diffundiert Status nicht: Das ganze Ansehen wird der Führungsperson zugesprochen. Eliten können so unbeabsichtigt und auf paradoxe Weise ihren kumulativen Erfolg zerstören bis zu einem Punkt, an dem sie die Leistungen anderer höher bewerten. In der Konsequenz müssen wir feststellen, dass der Matthäus-Effekt unter bestimmten sozialen Voraussetzungen sich selbst genug ist – abhängig davon, ob Status durch soziale Schichten hindurch diffundieren kann.
Das Beispiel Jobs vs Sculley
Das wird beim Blick in die amerikanische Wirtschaftsgeschichte deutlich. Betrachten sie den Machtkampf zwischen Steve Jobs und John Sculley bei Apple: Jobs, sehr charismatisch und auf der Suche nach einem Partner, konnte John Sculley überzeugen, seine vielversprechende Karriere bei Pepsi aufzugeben und zu Apple zu wechseln. Jobs außergewöhnlicher Status bei Apple färbte auf Sculley ab und stärkte diesen. Doch Jobs musste bald feststellen, dass Sculley ihn zu überholen begann - spätestens als Sculley in einer Krisensituation angeblich die Apple-Direktoren überzeugen wollte, Jobs zu entmachten. So war Jobs, wenigstens für einige Jahre, im Status überholt worden von dem, den er einst geholt hatte.
Andere Firmenchefs hatten nur scheinbar sorgfältiger kalkuliert, als sie offensichtliche Thronfolger entließen, bevor sie von ihnen überholt werden konnten. Bekannte Beispiele sind James Robinson, der Sandy Weills Aufstieg zum Chef bei American Express verhinderte und Weill selbst, der Jamie Dimon feuerte, seinen langjährigen Schützling und offensichtlichen Nachfolger bei Citigroup. Oder Michael Eisner, der bei Disney Jeffrey Katzenberg und Michael Ovitz vor die Tür setzte. Diese Fälle beleuchten dasselbe Thema: Ein Zuwachs an Status kann sich durch sich selbst zerstören - wegen seiner Fähigkeit, durch soziale Verbindungen hindurch diffundieren zu können.
Matthew Bothner ist seit März 2011 Full Professor der ESMT und Inhaber des Deutsche-Telekom-Lehrstuhls für Leadership und Personalentwicklung. Er forscht vor allem zur Bemessung und Auswirkung von sozialem Status in Bezug auf Faktoren wie Hochschulbildung, Risikokapital oder professionellem Sport. Zuvor war Matthew Bothner Gastdozent an der Cornell University, zudem lehrte er an der University of Chicago Booth School of Business.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dirk Kaufmann