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Mehr Menschenhandel in EU

Günther Birkenstock16. April 2013

Sie werden als Arbeitskräfte ausgebeutet oder zur Prostitution gezwungen. Ein EU-Gesetz sollte Opfern von Menschenhandel helfen, aber viele Staaten haben es noch nicht umgesetzt. Nicht einmal verlässliche Zahlen gibt es.

Festgenommene Prostituierte auf einer Couch (Foto: BGNES)
Bild: BGNES

Europa kommt im Kampf gegen den Menschenhandel nicht voran. Die Zahl der Opfer von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Das belegt eine Studie, die nun von der Brüsseler EU-Kommission vorgestellt wurde. "Mehr als 23.600 Menschen waren im Zeitraum 2008 bis 2010 identifizierte oder vermutete Opfer von Menschenhandel in der EU", erklärte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Die meisten Betroffenen, rund 60 Prozent, stammten aus EU-Ländern, vor allem aus Rumänien und Bulgarien, gefolgt von Afrika und Südamerika.

Doch auch Malmström gibt zu: "Was wir wissen, ist nur die Spitze des Eisberges." Die Juristin Marian Benbow, die sich bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) um das Thema Menschenhandel kümmert, formuliert es noch schärfer: "Ein Vergleich der Situation von Opfern des Menschenhandels in verschiedenen EU-Ländern ist wegen unzureichender Daten unmöglich." Menschenhandel sei ein Kontrolldelikt. "Das heißt, nur dort, wo tatsächlich Untersuchungen stattfinden, werden Betroffene auch identifiziert", erklärt Benbow im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Der EU-Studie zufolge hat die Zahl der Opfer zugenommen, die Zahl der Verurteilungen von Menschenhändlern ging zurück. Genau das sollte die vor zwei Jahren verabschiedete EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels verhindern. Das EU-Gesetz wurde bisher jedoch nur von Tschechien, Lettland, Finnland, Ungarn, Polen und Schweden umgesetzt. Es sieht eine europaweite Definition des Tatbestands vor sowie eine schärfere Verfolgung der Täter und einen besseren Schutz der Opfer. Die Frist zur Übertragung der Richtlinie in nationales Recht ist am 5. April 2013 abgelaufen. Deutschland hat sie verstreichen lassen. Jetzt droht die EU-Kommission mit Sanktionen.

Kritik an deutschen Behörden

In Deutschland wird noch über die Umsetzung gestritten. Nach offiziellen Angaben sieht der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums eine Eins-zu-Eins-Umsetzung der Richtlinie vor.

Doch genau daran glaubt der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, nicht: "Das FDP-geführte Bundesjustizministerium plant lediglich, einige bestehende Straftatbestände auf die Fälle des Menschenhandels zu erweitern." Für den Abgeordneten geht dies nicht weit genug, denn eine notwendige Verschärfung des Strafrechts im Falle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sei nicht vorgesehen.

Hans-Peter Uhl fordert bessere GesetzeBild: picture-alliance/dpa

Auch Menschenrechtsorganisationen wie UNICEF bemängeln die unzureichende Härte der Strafmaßnahmen: "Wenn jemand eine Minderjährige nach Deutschland bringt und sie zur Prostitution zwingt, dann erfüllt das den Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs und der Ausbeutung, aber nicht den des Menschenhandels. Nach deutschem Recht würde Menschenhandel aber härter bestraft", sagt Rudi Tarneden, Sprecher von UNICEF Deutschland.

Dass ein Menschenhändler wegen Zwangsprostitution verurteilt werde, sei in Deutschland schwierig bis unmöglich, sagt Hans-Peter Uhl. Grund dafür sei, dass nach geltendem Recht die Beweislast beim Opfer liege. Oft verweigerten die Betroffenen allerdings die Aussage - aus Angst. "Und wenn das Opfer im letzten Augenblick eine Aussage gemacht hat, zieht es sie meistens zurück, weil es erpresst wird."

Schwierige Datenlage

Philipp Schwertmann vom "Berliner Bündnis gegen Menschenhandel" vermutet, dass Zwangsarbeit noch verbreiteter ist als Zwangsprostitution. Die Fälle von Arbeitsausbeutung seien jedoch oft weniger Aufsehen erregend. In der Studie der EU-Kommission steht, dass zwei von drei Opfern der Menschenhändler zur Prostitution gezwungen werden, etwa ein Viertel werde als Arbeitskräfte ausgebeutet. Schwertmann vermutet das umgekehrte Verhältnis und stützt sich dabei auf Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).

Auch Marian Benbow will eine allgemeine Annahme korrigieren. Sie stimmt zwar der Einschätzung zu, dass Opfer von Menschenhandel vor allem aus den neuen EU-Staaten Osteuropas stammen. Dem Bild der "typischen" Zwangsprostituierten aus Rumänien aber widerspricht sie. "Die Lagebilder des Bundeskriminalamtes (BKA) zum Menschenhandel sagen uns, dass dieses Bild schief ist." Opfer im Bereich der sexuellen Ausbeutung in Deutschland seien lange Zeit in erster Linie Deutsche gewesen. Erst ab 2011 seien dann mehr Opfer aus Rumänien gekommen. Überraschend, aber auf den öffentlich zugänglichen Lagebildern des BKA nachzulesen.

"Niemand fühlt sich zuständig"

Rudolf Gafner von Terre des HommesBild: TDH

Wie wichtig genauere Untersuchungen einzelner Schicksale sind, betont auch Rudolf Gafner, Pressesprecher vom Schweizer Zweig der Menschenrechtsorganisation Terre des Hommes in Lausanne. Das Problem des Menschenhandels sei sehr komplex. Jährlich verschwänden beispielsweise Tausende von Migrantenkindern ohne Begleiter aus Asylzentren und Jugendheimen, ohne dass jemand nach ihnen suche. "Man rechnet allein in Frankreich mit 5000 Kindern, die so spurlos 'abtauchen'. Dass solche Kinder natürlich auch Opfer von Menschenhändlern werden, liegt auf der Hand", so Gafner zur Deutschen Welle. Um dem Problem des Menschenhandels zu begegnen, müsste nachgeforscht und genau differenziert werden. Dafür aber fühle sich bisher niemand zuständig.

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