Der modernste Tenno der Geschichte
22. Oktober 2019Mit einer aufwendigen Zeremonie hat Japan im Beisein von 2000 Würdenträgern unter anderem aus Deutschland die Inthronisierung des neuen Kaisers Naruhito begangen. Der Kaiser versprach, im Einklang mit der Verfassung zu handeln und die Einheit des japanischen Volkes zu verkörpern.
Japans älteste Institution tritt damit in eine neue Zeit ein: Als erster Kaiser wurde Naruhito nicht von einer Amme gestillt und wuchs unter dem Dach seiner Eltern auf. Als erster Kaiser studierte Naruhito auch im Ausland, schloss ein höheres Studium in England ab und heiratete eine berufstätige Frau. Der 59-Jährige joggt, klettert auf Berge, spricht fließend Englisch und spielt Bratsche. Noch nie war das Kaiserhaus so modern wie heute.
Belastetes historisches Erbe
Jedoch lastet die lange Geschichte der Institution Tenno ("himmlischer Herrscher") auf seinen Schultern. Der offiziellen Zählung nach wird Naruhito der 126. Regent einer Erblinie sein, die den Legenden zufolge bis ins siebte Jahrhundert vor Christus zurückreicht. Die Dynastie führt ihren Ursprung auf den Urururenkel Jimmu der Sonnengöttin Amaterasu zurück. Daher geht bei der Inthronisierung auch ein Spiegel im Shinto-Schrein des Kaiserhauses als Emblem von Amaterasu durch das rituelle Gebet eines Gesandten in den Besitz von Naruhito über.
Wie sein Vater Akihito besuchte der neue Kaiser die frühere Adeligenschule Gakushuin und absolvierte ein Bachelor-Studium an der Gakushuin-Universität, allerdings in Geschichte. Anschließend studierte er zwei Jahre am Merton-College im englischen Oxford Wirtschaftsgeschichte und beschäftigte sich besonders mit Wasserwegen. Die ungewohnte Freiheit im Ausland fernab der höfischen Zwänge bezeichnete er als "großen Schatz". So hängte sich Naruhito ein Poster der US-Schauspielerin Brooke Shields an die Wand, ein Tutor organisierte ein Treffen mit ihr. "In England habe ich gelernt, selbst zu denken, selbst zu entscheiden und selbst Dinge in die Tat umzusetzen", berichtete Naruhito nach seiner Rückkehr.
Kriegsschuld Japans
Der neue Kaiser will den volksnahen Stil seines Vaters fortsetzen, der sich durch persönliche Begegnungen mit Katastrophenopfern und sozial Benachteiligten als Tröster der Nation profilierte und dadurch seine Verfassungsrolle als "Symbol der nationalen Einheit" auf neue Weise ausfüllte. "Bezüglich des Kaiserwesens lautet der Grundsatz, dass wir Freude und Schmerzen mit dem Volk von Herz zu Herz teilen", betonte Naruhito bei seinem Geburtstag im Februar 2019.
Wie sein Vater dürfte er auch die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wachhalten und weiter das Gewissen der Nation verkörpern. Akihito hatte sich nie für den Krieg entschuldigt, den sein Vater Hirohito in Asien entfacht hatte, weil das Kaisergesetz ihm politische Aussagen verbietet. Aber er hatte beim Gedenken auf früheren Schlachtfeldern "tiefe Reue und Schmerzen" geäußert und für alle Kriegsopfer gebetet. Schon als Kronprinz habe Naruhito eine kritische Haltung gegenüber Tendenzen zur Beschönigung von Japans Kriegsvergangenheit eingenommen, sagt der deutsche Historiker Sven Saaler von der Sophia-Universität in Tokio. Als Kaiser könne er seine Ansichten noch öffentlichkeitswirksamer ausdrücken.
Jedoch will Naruhito auch eigene Akzente setzen. Das Kaiserhaus müsse seine Aufgaben an den Wandel der Zeiten anpassen und gesellschaftliche Erwartungen erfüllen, argumentierte er im Vorjahr 2018. "Für solche neu verlangten Aufgaben möchte ich aufrichtig stehen", sagte der damalige Kronprinz. Als mögliche Themen nannte er Wasserversorgung, Armutsbekämpfung, Bedürfnisse von Kindern und Alten. "Auf der Basis seiner Erfahrungen wird Naruhito eine eigene Vorstellung vom Kaisertum entwickeln", sagt Issei Nomura vorher, einer seiner Ex-Hofmeister im Kronprinzenpalast. Der deutsche Kaiserexperte Ernst Lokowandt äußert sich vorsichtiger: Nach einer Eingewöhnung werde sich Naruhito um das Thema Umwelt kümmern, aber in seinem privaten Umfeld erst einmal nichts ändern. "Dazu ist der Monarch zu traditionsgebunden", meint Lokowandt.
Welche Rolle wird Kaiserin Masako spielen?
Der unbekannte Faktor seiner Amtszeit ist seine Frau Masako. Die frühere Karrierebeamtin im Außenministerium und Absolventin der Universitäten Harvard und Oxford unterscheidet sich in Herkunft, Ausbildung und Weltläufigkeit deutlich von ihrer Vorgängerin Michiko, die eher das traditionelle Bild einer Japanerin verkörperte. Auf dem diplomatischen Parkett könnte sich eine Kaiserin Masako für Japan so engagieren, wie es ihr beim Eintritt in das Kaiserhaus vor 26 Jahren versprochen wurde. "Es wird mein lebenslanges Thema bleiben, welche Rolle ich als Mitglied der Kaiserfamilie für die Gesellschaft spiele", sagte sie nach der Hochzeit mit Naruhito.
Aber ihre angeschlagene Gesundheit könnte seine Amtszeit belasten. Vor allem wegen des Drucks aus der Kaiserfamilie und dem Hofamt, einen männlichen Thronerben zu gebären, entwickelte sie eine "stressbedingte Anpassungsstörung", so die offizielle Beschreibung ihrer Erkrankung. Nach Angaben ihres Ehemanns schwankt ihre körperliche Verfassung immer noch. Er wolle ihr helfen und sie unterstützen, bekräftigte Naruhito, der das Herz von Masako mit dem Versprechen gewann, sie lebenslang zu beschützen. Daher ist unklar, wie oft Masako an seiner Seite auftreten wird. Doch dies sei entscheidend, um die Volksnähe des Kaisers aufrechtzuerhalten, meint Historiker Saaler. Schließlich schreibe man den Erfolg des volksnahen Stils von Akihito zum großen Teil seiner Frau Michiko zu.
Der Beitrag ist eine aktualisierte Fassung eines DW-Artikels vom April 2019.