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Der Nahe Osten 2013

Viktoria Kleber / Nils Naumann 28. Dezember 2013

Ein Militärputsch in Ägypten, Attentate in Tunesien, der Bürgerkrieg in Syrien: In vielen Ländern des Nahen Ostens wurde 2013 gewaltsam um die Macht gekämpft. Was ist aus dem Arabischen Frühling geworden?

Mursi steht mit weiteren Angeklagten im Käfig im Gerichtssal der Polizeiakademie in Kairo
Bild: picture-alliance/AP

Ägypten - Rückkehr der alten Garde

Mohammed Mursi ist wütend. Aufrecht steht er in seinem Käfig, fährt mit fester Stimme den Richter an. "Sie haben kein Recht, mich zu verurteilen, ich bin Ihr Präsident." Seit November steht Mursi vor Gericht. Anstiftung zum Mord wird ihm vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch droht ihm lebenslange Haft oder die Todesstrafe. Vom demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens zum Angeklagten: Mursi ist der politische Verlierer des Jahres in der Region.

Im Juli 2013 hatte das ägyptische Militär Mursi nach Massendemonstrationen abgesetzt. "Das alte Regime ist in Ägypten wieder an der Macht", sagt Guido Steinberg, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Organisation der Muslimbrüder, die bis vor einigen Monaten mit Mursi nicht nur den Präsidenten stellte, sondern auch die Mehrheit im Parlament, ist verboten. Ende Dezember wurde sie sogar als Terrororganisation eingestuft. Ihre gesamte Führungsriege wurde festgenommen, Tausende von Anhängern ermordet. "Das Militär-Regime versucht nun sehr entschlossen, die Muslimbrüder zu zerschlagen", sagt Guido Steinberg. "Entschlossener als es Mubarak je getan hat."

Doch nicht nur gegen die Muslimbruderschaft geht das herrschende Militär vor, auch gegen die liberalen Revolutionäre. Nur selten begehren sie noch gegen die Militärherrschaft auf. Sie sind müde und frustriert vom politischen Machtkampf.

Der neue Herrscher am Nil: Abdel Fattah al-SisiBild: picture-alliance/dpa

Auch wenn viele Beobachter daran zweifeln, die ägyptischen Militärs haben immer wieder versichert, dass sie nicht dauerhaft an der Macht bleiben wollen. Der Plan des Militärrats sieht vor, dass 2014 eine neue Verfassung verabschiedet wird. Dann sollen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen folgen. Solange wird Übergangspräsident Adli Mansur, den Armeechef Abdel Fattah al-Sisi im Juli eingesetzt hat, das Land regieren.

Tunesien - verhärtete Fronten

Der Arabische Frühling begann 2011 in Tunesien. Bei den ersten Wahlen kamen die gemäßigten Islamisten der Ennahda an die Macht. Die schauen mit Sorgen auf die Entwicklungen in Ägypten. Das Schicksal der Muslimbrüder ist der Albtraum von Tunesiens Islamisten.

Auch Tunesien steckt in der Krise. Ende Juli 2013 wurde der linke Oppositionelle Mohammed Brahmi ermordet. Angelastet wurde die Tat radikalen Salafisten. Die Opposition macht die Ennahda mitverantwortlich. Nach dem Mord gingen immer wieder zehntausende Tunesier gegen die Regierung auf die Straße. Um eine Eskalation zu vermeiden, willigte die Ennahda schließlich ein, die Regierungsverantwortung im Rahmen eines "Nationalen Dialogs" abzugeben. Geplant sind eine neue Verfassung, eine Reform des Wahlrechts und Neuwahlen. Die Umsetzung der Pläne lässt aber auf sich warten. Bisher konnten sich die Parteien nicht auf einen neuen Premierminister einigen.

Massenproteste in Tunesien: Demonstranten fordern den Rücktritt der Islamisten-RegierungBild: Reuters

Auch in Tunesien haben die Parteigänger des 2011 gestürzten Regimes vor allem bei den Sicherheitskräften noch immer großen Einfluss. "Die Ennahda", sagt Hamadi El-Aouni von der Freien Universität Berlin, "kooperiert mit den alten Mächten des Landes."

Libyen - Zentralregierung ohne Macht

Libyen zerfällt. Der Staat löst sich 2013 immer weiter auf. Die Autorität der Zentralregierung reicht nicht über die Grenzen der Hauptstadt Tripolis hinaus. Milizen kontrollieren das Land. Sie vertreten regionale Machthaber und unterschiedliche Ideologien, ringen untereinander gewaltsam um die Aufteilung der Macht. "Es ist ein Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Stämmen und Regionen", sagt Hamadi El-Aouni.

Die Zentralregierung ist gegen die Milizen machtlos. Das gestand selbst Übergangs-Ministerpräsident Ali Seidan ein. Im Oktober wurde Seidan für einige Stunden von einer Miliz entführt. Er und der Allgemeine Nationalkongress - das im Sommer 2012 demokratisch gewählte Parlament - stehen massiv in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, die Probleme des Landes nicht anzugehen. Seidans Amtszeit läuft im kommenden Februar aus. Seinen eigentlichen Auftrag, die Ausarbeitung einer Verfassung, hat er noch nicht einmal begonnen. Erst 2014 wird wohl eine 60-köpfige Verfassungskommission gewählt.

Libyens Ministerpräsident Ali Seidan hat kaum Macht im eigenen LandBild: picture-alliance/dpa

Dass in Libyen die alten Mächte zurückkommen, glaubt der Nahostexperte El-Aouni nicht. "Die gibt es nicht mehr, die sind weg", sagt er. "Neutralisiert oder im Ausland."

Syrien - der Bürgerkrieg hält an

In Syrien sitzt Machthaber Baschar al-Assad wieder fest im Sattel. 2013 konnte die syrische Armee einige Gebiete zurückerobern. "Die Armee kontrolliert das Territorium wieder zu rund 80 Prozent", sagt El-Aouni. Und auch politisch ist Assad nicht mehr isoliert, wie noch 2012. Wer einen Waffenstillstand in Syrien will, kommt nicht an Assad vorbei. Die Einigung über die Vernichtung der Chemiewaffen hat ihn auch für den Westen wieder zum Verhandlungspartner gemacht. Zudem scheint nach 2013 klar, dass es vorerst kein militärisches Eingreifen von außen geben wird. "Die Amerikaner haben keinen Krieg gewagt", sagt El-Aouni.

Die syrische Armee hat in diesem Jahr viele Gebiete zurückerobertBild: AFP/Getty Images

Die Opposition ist zersplitterter denn je, teilt sich in verschiedene Gruppierungen innerhalb und außerhalb des Landes ein. Teilweise bekriegen sich die Gruppen auch untereinander. Viele haben sich 2013 weiter radikalisiert.

Der Umbruch geht weiter

Militärputsch, Attentate, Bürgerkrieg - 2013 war ein gewaltvolles Jahr im Nahen Osten. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik überrascht das nicht. "Der Beginn des Arabischen Frühlings 2011 war nur der Auftakt zu einer Reihe von Jahren, in denen Veränderungen stattfinden, die uns natürlich nicht alle gefallen werden." Trotzdem sieht Steinberg keinen Grund für Resignation: "Ich bin immer noch der Meinung, dass wir es mit einer positiven Entwicklung zu tun haben." Er glaubt, dass der Nahe Osten trotz aller Gewalt langfristig von den Umbrüchen 2011 profitieren wird. Am Ende, so Steinberg, werde die Region demokratischer sein als je zuvor.

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