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Politik

Der Nahe Osten bleibt ein Unruheherd

Moncef Slimi kk
25. Dezember 2017

Die Niederlage des sogenannten "Islamischen Staates" ist im Nahen Osten das wohl erfreulichste Ereignis 2017. Sicherer und friedlicher dürfte es in der Region dennoch kaum werden. Denn alte Konflikte schwelen weiter.

Donald Trump zu Besuch in Riad
US-Präsident Trump zu Besuch in RiadBild: picture-alliance/dpa/AP/E. Vucci

Die Menschen in der Golfregion brauchten auf den Ruf der Muezzine aus den Moscheen der saudischen Hauptstadt Riad nicht zu warten, um zu wissen, dass der "Heilige Krieg" zwischen der sunnitischen Führungsmacht Saudi-Arabien und Iran, dem Zentrum der schiitischen Welt, in vollem Gange und gerade um eine Episode reicher geworden war: nämlich den Abschuss einer von den aufständischen Huthis im Jemen gezündeten Rakete. Die saudische Luftabwehr hatte sie vom Himmel geholt, noch bevor sie in Riad größeren Schaden anrichten konnte. Um die Bevölkerung zu beruhigen, klang aus den Moscheen der Stadt umgehend das muslimische Glaubensbekenntnis: "Es gibt keinen Gott außer Gott."

Eines legt das Ereignis nahe: Während die Niederlage der Dschihad-Organisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und im Irak im nun ablaufenden Jahr der wohl größte Fortschritt in der politischen Entwicklung des Nahen Ostens ist, weisen einige Anzeichen darauf hin, dass die Region noch lange nicht zum Frieden findet. Im Gegenteil: Die Spannungen vor allem in der Golfregion lassen erwarten, dass das Jahr 2018 ein eher dunkles, konfliktreiches Jahr wird, das sogar neue Kriege sehen könnte.

Die Tragödie in Syrien wie auch der Kampf im Jemen sind nur einige der vielschichtigen Konflikte in der Region, die sich auch als "Stellvertreterkriege" bezeichnen lassen. An ihnen sind neben regionalen Akteuren wie Saudi-Arabien und Iran auch Großmächte wie die USA und Russland beteiligt. Hinzu kommen nationale Spannungen wie die zwischen Bagdad und der Kurdenregion im Irak oder in Libyen, einem Land, das mehr und mehr in Anarchie zu kippen droht.

Hoch gerüstet: die aufständischen Huthis im Jemen, hier einer ihrer Kämpfer Bild: Getty Images/AFP/M. Huwais

Die neue Rolle des Iran

Die USA haben sich mit Blick auf die Region klar positioniert. Es sei "Zeit, der iranischen Bedrohung entgegenzutreten", hatte die amerikanische US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, nach dem Raketenangriff auf Saudi-Arabien erklärt. Dieser habe eine "iranische Handschrift". Damit artikulierte sie ein Bedrohungsgefühl, das man in Saudi-Arabien immer stärker empfindet.

Dort beobachtet man mit Sorge, dass der Einfluss Irans vom Jemen über den Irak und Syrien inzwischen bis zum Libanon ausgreift. Der zweite aus dem Jemen gestartete Angriff auf Riad innerhalb weniger Wochen setzt den saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman, der den Feldzug in das kleine Nachbarland politisch verantwortet, enorm unter Druck. Für ihn wird er auch international stark kritisiert. Hilfsorganisationen fordern immer dringlicher ein Ende des Krieges.

Militärische Konfrontation nicht auszuschließen

In Riad hat man den vielfältigen Herausforderungen wenig entgegenzusetzen. Vor allem kann das Land militärisch kaum angemessen reagieren. Nach Einschätzung des ehemaligen US-Diplomaten Nabil al-Khoury vom Chicago Council on Global Affairs wird die Stärke Saudi-Arabiens überschätzt, gerade auch mit Blick auf den Iran.

Umso mehr komme es für das Königreich deshalb darauf an, den Konflikt im Jemen zu beenden, ergänzt der in den Vereinigten Arabischen Emiraten forschende Politikwissenschaftler Abdul Khaliq Abdullah. Dies gelte umso mehr, als die aufständischen Huthis nach dem Mord an dem früheren jemenitischen Präsidenten Ali Saleh politisch immer stärker isoliert seien und es schwieriger für sie werde, den Krieg in die von ihnen gewünschte Richtung zu treiben. Darum sei es denkbar, dass die nun einsetzende Blockade der Huthis zu Wasser und zu Land bis Ende des kommenden Jahres durchaus politische Ergebnisse bringen könnten.

Eben das könnte aber auch dazu beitragen, dass die Spannungen im Jemen weiter steigen - und mit ihnen auch die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und Iran. Lag diese Gefahr im Jahr 2017 bei rund 20 Prozent, dürfte sie sich 2018 verdoppeln, schätzt Abdul Khaliq Abdullah.

Potentielle Bündnispartner? Israels Premier Netanjahu und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman

Die Sorgen Israels

Die neue Dominanz Irans macht aber nicht nur Saudi-Arabien Sorgen, sondern auch Israel. Schon ist von einer israelisch-saudischen Annäherung die Rede. Doch hat diese wirklich gute Chancen? Abdul Khaliq bezweifelt das. Entsprechende Erwartungen seien übertrieben - in Wirklichkeit beruhten sie vor allem auf israelischen Wunschvorstellungen.

Zurückhaltend zeigt sich allerdings auch Israel selbst. Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte vor einiger Zeit, es sei unwahrscheinlich, dass sich Israel zugunsten Saudi-Arabiens auf einen Stellvertreterkrieg mit Iran einlasse. Allerdings verbergen israelische Politiker und Militärs ihre Sorge angesichts des iranischen Vordringens in das benachbarte Syrien nicht. Sie sehen darin eine Bedrohung der nationalen Sicherheit - zusätzlich zu jener, die von der libanesischen Hisbollah ausgeht.

Experten sehen in den gelegentlichen Luftschlägen Israels gegen militärische Ziele in Syrien einen Gradmesser für die Bereitschaft des jüdischen Staates, auch gegen den Einfluss Irans vorzugehen. Begrenzte Schläge direkt gegen iranische Militäreinrichtungen in Syrien und im Libanon schließen sie nicht aus.

Auch ein anderes, jüngst als "Jahrhundert-Deal" bekannt gewordenes Projekt - die Umsiedlung der Palästinenser aus der Westbank und dem Gaza-Streifen in den nördlichen Sinai - sehen die beiden Experten als wenig realistisch an. Der von US-Präsident Trump eingebrachte Vorschlag spiegle vor allem dessen "Ignoranz hinsichtlich der politischen Realitäten in der Region", sagt Nabil al-Khoury. In erster Linie stecke dahinter der Wunsch amerikanischer Konservativer, Trump zu unterstützen. Die aktuelle Diskussion um den Status von Jerusalem als israelischer Hauptstadt bestätigt diese These.

Politische Gewinner 2017: Irans geistliches Oberhaupt Chamenei, der russische Präsident Putin und Syriens Präsident AssadBild: picture-alliance/dpa/Y. Badawi/dpa

Amerikanische Begriffsstutzigkeit

Neben dem Iran ist aus dem nahöstlichen Kräftemessen des abgelaufenen Jahres ein weiterer Sieger hervorgegangen: Russland. Die Allianz zwischen Moskau und Teheran dürfte auch im kommenden Jahr Bestand haben, sind sich beide Experten einig.

Unruhig könnte hingegen der Kurs der türkischen Außenpolitik werden, die die Kurdenfrage in Syrien in ihrem Sinne zu beeinflussen sucht. Seitdem sich die Türkei im Streit zwischen einer internationalen, von Saudi-Arabien und Ägypten geführten Koalition und Katar auf die Seite des kleinen Emirats gestellt hat, ist auch das Verhältnis zu Saudi-Arabien belastet.

Die Experten sind sich ebenfalls einig: In die gesamte Entwicklung des Nahen Osten haben die USA vergleichsweise wenig effektiv eingegriffen. Ihre gesamte Politik erwecke den Eindruck, die Trump-Administration habe von der Politik im Nahen Osten nur ein unzureichendes Bild. Dem Anspruch einer Weltmacht werde sie nicht gerecht.