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Brennpunkt Naher Osten

Silke Bartlick16. Februar 2016

Dienstmädchen im bourgeoisen Libanon, Kämpfe auf den Straßen Aleppos, unfreie junge Menschen in Saudi-Arabien - Filme aus dem arabischen Raum bilden einen regionalen Schwerpunkt im Programm der diesjährigen Berlinale.

Film Akher ayam el madina
Bild: Zero Production

Die Architekten, die Beiruts mondäne Appartementhäuser entwerfen, planen nicht an den Bedürfnissen vorbei. In jeder Wohnung findet sich eine Kammer für ein Dienstmädchen. Denn wer im Libanon etwas auf sich hält – und das sind nicht wenige – leistet sich Personal. Vier Millionen Einwohner, 200.000 Dienstmädchen. Junge Frauen aus dem Sudan, aus Äthiopien, Bangladesch und von den Philippinen, die putzen, Kinder hüten und noch vieles mehr tun müssen. Hübsch sollen sie sein, fleißig und vor allem unsichtbar. Denn die besten Dienstmädchen sind die, die man gar nicht bemerkt, stellt eine gepflegte Dame gleich zu Beginn von Maher Abi Samras eindringlichem Dokumentarfilm" Makhdoumin" ("A maid for each) klar. Sie sagt es nicht auf Arabisch, sondern auf Französisch, in der Sprache der Bessergestellten.

Moderne Sklaverei

Eine moderne Form der Sklaverei ist das, ein durchorganisierter Handel mit staatlicher Beteiligung. In ihren Heimatländern werben Subagenten die Mädchen an, in Beirut werden sie per Katalog von Agenturen weiter vermittelt. Ihr Einkommen ist erbärmlich, Rechte haben sie kaum, und ein Retourticket ist nicht vorgesehen. Oft hat die Familie etwas Land verkauft, um die Reisekosten in den Libanon begleichen zu können. Maher Abi Samra erzählt, wie das alles funktioniert – sachlich, ohne zu moralisieren. Ein Agent und seine Mitarbeiterin erklären ihr Geschäft, geben Einblicke in ihren trägen Alltag: Kundengespräche, Kundenbeschwerden, Kundenwünsche. Die Mädchen sieht man nie. Obwohl viele gutbetuchte Libanesen sie beschäftigen, schämen sie sich irgendwie dafür, eine Dienstmagd zu haben. Selbst Freunde des Regisseurs. Bei einem hat sich einmal ein Mädchen umgebracht. Ein Therapeut hat ihm und seiner Frau dann das Schuldgefühl genommen: der Selbstmord hätte persönliche Gründe gehabt. Aber: Nahezu wöchentlich nimmt sich im Libanon ein Dienstmädchen das Leben.

Rendezvous in Saudi-Arabien: zur Not auch auf dem KinderspielplatzBild: El-Housh Productions

Zehn Tage Berlinale, das ist wie eine mehrfache Weltumrundung im Zeitraffer. Aber man macht keineswegs nur dort Halt, wo es schön ist und friedlich zugeht. Diverse Kurzbesuche sind dieses Jahr in der arabischen Welt und im Nahen Osten möglich. Die Einblicke, die man gewinnt, sind vielfältig, die cineastische Vielfalt ist erstaunlich. Zwischen Fiktion und Realität mäandert "Akher ayam el madina" (In the last days of the city) von Tamer El Said, die rastlose Suche eines Filmemachers nach sich selbst und seiner Geschichte in Kairo kurz vor dem Arabischen Frühling. Der israelische Filmemacher Udi Aloni ist immer auch ein Aktivist. Sein "Junction 48" ist ein im Rhythmus des Rap vibrierendes Werk, der die Diskriminierung der arabischen Israelis bildgewaltig anklagt. Und aus Saudi-Arabien, das nicht eben als Filmland bekannt ist, kommt eine abgefahrene Komödie im Bollywood-Stil, "Barakah meets Barakah" von Mahmoud Sabbagh. Der junge Regisseur erzählt mit leichter Hand von den absurden Schwierigkeiten, vor denen ein Mann und eine Frau stehen, die Gefallen aneinander gefunden haben und sich gerne sehen möchten. In der Öffentlichkeit geht so gut wie nichts, aber Not macht erfinderisch. Die junge Generation hat die Nase voll von all den Reglementierungen in Saudi-Arabien, lautet die Botschaft.

Träume und Traumata

Avo Kaprealian wurde 1986 in der syrischen Stadt Aleppo geboren, als Nachfahre von Überlebenden des Völkermords an den Armeniern. Vom Balkon der elterlichen Wohnung im Midan-Viertel hat er den Alltag auf der Straße und den näherrückenden Bürgerkrieg dokumentiert und sich, als die Kämpfe heftiger wurden, mit der Kamera ganz in die Wohnung zurückgezogen. Seine Bilder von der Familie, von ihrem Umgang mit Stromausfällen, Scharfschützen und Geschützfeue und ihre Furcht, flüchten und alles hinter sich lassen zu müssen, mischt er in seinem Film "Manazil bela Abwab" (Houses withour doors") mit Archivbildern und fiktionalen Tagträumen vom Völkermord an den Armeniern – und verdichtet das Familientrauma so zu einer cineastischen Anklage.

Verzweifelte Mutter, fundamentale Sinnsuche der TochterBild: 3B Productions

Und dann ist da noch dieser Film "Route d'Istanbul", der in Belgien beginnt und in einem Krankenhaus in Istanbul endet. Kein Dokumentar-, sondern ein Spielfilm über eine belgische Ärztin, der die Tochter abhanden kommt. Elodie, gerade volljährig, hat still und unbemerkt eine unerklärliche Wandlung durchgemacht, ist zum Islam konvertiert und Islamistin geworden. Eines Tages kommt sie einfach nicht mehr nach Hause, in dieses schöne Haus am Fluss. Die belgische Polizei kann Elodies Mutter nicht helfen. Doch sie will ihr Kind zurückholen und folgt ihr, anfangs begleitet von einer Freundin, dann alleine, bis an die syrische Grenze - und wird aus der belgischen Ordnung in das kriegsnahe Chaos katapultiert. "Sie hat es freiwillig getan, denk daran", sagt ihre Freundin. Warum, das versteht man nie in diesem aufwühlenden Film und bleibt mit Fragen zurück. Wie Elisabeth, die Mutter, die schließlich am Bett der schwer verletzten Tochter steht und diese sagen hört: "Ich habe meine Bestimmung gefunden."

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