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Politik

Boliviens alte neue Linke

11. November 2020

Nach einem Jahr der Übergangsregierung kehrt Boliviens Linke an die Macht zurück. Präsident Luis Arce ist ein Vertrauter des ins Exil geflohenen - und nun zurückgekehrten - Evo Morales. Wird wieder alles wie vorher?

Bolivien La Paz | Luis Arce, Amtseinführung als Präsident
Bild: Bolivian Presidency/REUTERS

Am Sonntag legte Boliviens neuer linksgerichteter Präsident Luis Arce in La Paz seinen Amtseid vor Abgeordneten, einfachen Bürgern und einem Dutzend internationaler Gäste ab. "Wir beginnen eine neue Etappe in unserer Geschichte, ohne Diskriminierung. Wir werden versuchen, unser Land wieder aufzubauen, um in Frieden zu leben", wird er von Medien zitiert. 

Sein Parteikollege und Ex-Staatschef Evo Morales war im November 2019 nach seiner Wiederwahl angesichts von Manipulationsvorwürfen und Massenprotesten und unter Druck des Militärs abgetreten und hatte sich ins Ausland abgesetzt. Es folgte ein Jahr der rechts-religiösen Übergangsregierung unter der Konservativen Jeanine Áñez.

Die teils von gewalttätigen Auseinandersetzungen begleiteten Neuwahlen im Oktober hat dann Luis Arce von Morales' Bewegung für den Sozialismus (MAS) mit 55 Prozent der Stimmen deutlich gewonnen. Nun kehrt also die Linke in dem südamerikanischen Land an die Macht zurück - und ihre Galionsfigur ist auch schon wieder aus dem argentinischen Exil eingereist.

Evo Morales wird bei seiner Rückkehr nach Bolivien von Anhängern umringtBild: Paolo Aguilar/Agencia EFE/imago images

Am Montag wurde Evo Morales von Tausenden Fans am argentinisch-bolivianischen Grenzübergang in Villazón in Empfang genommen. Eine Karawane des Ex-Präsidenten mit Hunderten Fahrzeugen zieht derzeit durch mehrere Regionen bis in Morales' Heimatdepartment Cochabamba.

Eine Justiz, die sich fügt

Der Weg für die Rückkehr des 61-Jährigen wurde just nach der Präsidentenwahl frei - Boliviens Justiz hob den Haftbefehl gegen ihn wegen Rebellion und Terrorismus auf. Laut diesem soll der Sozialist während der Proteste vor einem Jahr unter anderem dazu aufgerufen haben, Straßen zu blockieren. Morales bestreitet die Vorwürfe bis heute.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Boliviens Interimsregierung Missbrauch der Justiz für politische Zwecke vor. Die Politologin Aline-Sophia Hirseland spricht ebenfalls von einer starken "Politisierung der bolivianischen Justiz" - allerdings nicht nur einseitig zugunsten der Konservativen. Das zeige die Tatsache, "dass der Haftbefehl revidiert wurde, kaum dass eine neue Regierung an der Macht ist".

Dass der frühere Staatschef - und der erste Indigene an der Spitze Boliviens, obwohl Indigene mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen - wieder im Land ist, wirft Fragen auf: Welche Rolle spielt er künftig in der Politik und wie groß ist sein Einfluss auf die neue Regierung um Luis Arce? Letzterer wird oft als Morales' "Schützling" und "Vertrauter" bezeichnet, manche sehen ihn gar als Marionette des ehemaligen Langzeitpräsidenten.

Demonstrative Emanzipation vom Übervater

Arce und Morales sind tatsächlich langjährige Weggefährten. Während Morales' fast 14-jähriger Präsidentschaft war Arce nahezu durchgängig Finanz- und Wirtschaftsminister. Nur zwei Jahre lang setzte er aus - wegen gesundheitlicher Probleme. Arce war Morales' Wunsch-Präsidentschaftskandidat, dessen Wahlkampagne er dann leitete. 
"Zudem hat Evo Morales ja auch weiterhin den MAS-Parteivorsitz inne. Er wird also ein wichtiger politischer Kopf für die Sozialisten bleiben", ist Hirseland überzeugt, die unter anderem am Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien forscht.

Morales (l) und Arce bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Buenos Aires im JanuarBild: Julieta Ferrario/Zuma/imago images

Regierungsämter wird der ehemalige Präsident allerdings nicht übernehmen, das hat Luis Arce schon im Vorfeld der Wahlen mehrfach klargestellt. In einem Interview gestand der 57-Jährige zudem, es sei im vergangenen Jahr "der größte Fehler" gewesen, Morales trotz eines negativen Plebiszits über eine Verfassungsänderung für eine vierte Amtszeit aufzustellen. Das habe "Kamerad Evo" auch selbst eingeräumt. 

Aline-Sophia Hirseland sieht in dieser Distanzierung der Führungsriege der MAS von Morales eine bewusste Strategie. "Viele Bolivianer haben es Morales übel genommen, dass er sich über das Verfassungsreferendum hinwegsetzte und dann mutmaßlich das Wahlergebnis manipulierte. Die aus dieser Unzufriedenheit resultierenden Massenproteste haben ja dann letztlich auch zu seinem Rücktritt geführt. Ich glaube, der MAS und auch ihm selbst ist sehr bewusst, dass sie sich darüber nicht hinwegsetzen können."

Es scheint also Konsens zwischen der Partei und Morales zu sein, dass er sich fortan auf eine Rolle im Hintergrund beschränkt. Dazu passt auch, dass Morales erst nach Arces Amtseinführung nach Bolivien zurückkehrte, also bei der Zeremonie nicht anwesend war. Und dass umgekehrt bei seinem Grenzübertritt die MAS-Führungsriege nicht aufkreuzte.

Das Versprechen: Stabilität und Einheit 

Wenn Arce tatsächlich, wie er verspricht, vieles anders macht als sein Vorgänger, und die Forderungen der Bürger nach mehr Demokratie, weniger Korruption und Klientelpolitik ernst nimmt, könnte das Comeback der Linken in Bolivien nachhaltig sein -  und dem Land nach turbulenten Zeiten wieder eine Phase der Stabilität bescheren. 

Profitierte bei der Wahl auch von der Schwäche der konservativen Interimsregierung: Luis ArceBild: Juan Karita/AP Photo/picture alliance

Genau dafür haben die urbane Mittelschicht und Indigene den weltgewandten Ökonomen mit einer großen Mehrheit ins Amt gewählt. Arce hatte sich im Wahlkampf als moderater Versöhner gegeben, nachdem die enorme politische Polarisierung der Gesellschaft sich in den vergangenen zwölf Monaten entgegen der Hoffnung vieler noch verschärft hatte. 

Insgesamt, urteilt Politikwissenschaftlerin Hirseland, habe die Übergangsregierung wenig überzeugen können, die ihre Kompetenzen überschritt und sich in der Coronavirus-Pandemie einen Skandal um überteuerte Beatmungsgeräte leistete.

Dagegen erscheine nun Arce - unter dessen Mandat als Wirtschaftsminister Bolivien eine der längsten Wachstumsphasen in Lateinamerika erlebte - als kompetente Alternative, "um das schwer von der Corona-Krise getroffene Land auch ökonomisch wieder zu konsolidieren".

Ein Mann besucht in La Paz das Grab eines an COVID-19 verstorbenen AngehörigenBild: Agencia EFE/imago images/Stringer

Auch dass Arce anders als sein Vize Aymara Choquehuanca kein Indigener, sondern Nachkomme sowohl Weißer als auch Indigener und zudem aus einem urbanen Umfeld sei, habe geholfen, verschiedene gesellschaftliche Gruppen anzusprechen, glaubt Hirseland.

Ein erstes schlechtes Omen?

Für Kritik sorgte allerdings bereits, dass das Parlament kurz vor Beginn der neuen Legislaturperiode die bis dahin geltende Zwei-Drittel-Regelung für wichtige Entscheidungen gekippt hat. Bei den Wahlen hatte MAS zwar die Präsidentschaft gewonnen, die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament aber verloren. Davon, dass künftig für einige Beschlüsse nur eine einfache Mehrheit notwendig ist, könnte Arces Partei also profitieren.

Während MAS-Abgeordnete den Vorstoß mit einer verbesserten Korruptionsbekämpfung begründeten, sagte der Vorsitzende der Bolivianischen Bischofskonferenz, Ricardo Centellas, dies sei keine Entscheidung, die Hoffnung mache. 

Ob die Parlamentsabstimmung ein schlechtes Omen ist oder die MAS ihr Erneuerungsversprechen einhält, muss sich noch zeigen. Klar ist, die Erwartungen an Arces Regierung sind riesig - und die Bedingungen im zerrissenen und wirtschaftlich geschwächten Bolivien nicht gerade einfach.

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