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Politik

Der Norden hat die Wahl

7. Mai 2017

Im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein sind gut zwei Millionen Menschen zur Landtagswahl aufgerufen. Berlin blickt mit Spannung auf diese Wahl, denn man erwartet mögliche Trends für die Bundespolitik.

Leuchtturm Zehn Gründe für die Nordsee
Bild: picture alliance/dpa/D.Reinhardt

Torsten Albig konnte sich lange gemütlich zurücklehnen. Der 53 Jahre alte SPD-Ministerpräsident mit dem markanten kahlen Schädel schien auf einen neuen Sieg zuzusteuern. Seine Dreierkoalition zusammen mit den Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband, der Vertretung der dänischen Minderheit, arbeitete weitgehend geräusch- und skandallos.

Doch seit wenigen Wochen ist es aus mit den Gewissheiten. Da gab es ein Fernsehduell, in dem der bis dahin als blass geltende CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther einen überraschend starken Auftritt gegen seinen Konkurrenten hatte; dann hatte Albig in der Zeitschrift "Bunte" freimütig vom Ende seiner Ehe und neuen Heiratsplänen geplaudert: "Ich war beruflich ständig unterwegs, meine Frau war in der Rolle der Mutter und Managerin unseres Haushaltes gefangen", sprudelte es aus ihm heraus. Er habe sich kaum noch auf Augenhöhe mit ihr austauschen können. Viele sahen darin ein veraltetes Frauenbild des Regierungschefs; und schließlich distanzierte sich der SPD-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz in einem Punkt öffentlich von ihm: Albig lehnt Abschiebungen von Afghanen, auch wenn sie nicht asylberechtigt sind, grundsätzlich ab und stellt sich damit gegen die Bundespolitik.

Der Amtsinhaber: Torsten Albig gibt sich gelassenBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Inzwischen sehen die Umfragen ganz anders aus als noch zu Anfang des Jahres: Die CDU hat die SPD danach als stärkste Kraft knapp überholt. Ein Patt hatte es allerdings schon bei der Wahl vor fünf Jahren gegeben. Albig sieht darin sogar eine gewisse Tradition: "Es ist ein knappes Land", sagte er kürzlich in Reuters TV über Schleswig-Holstein. Wer glaube, seine SPD könne zehn Punkte vor der CDU liegen, kenne das Land einfach nicht.

Starke Grüne, schwache AfD

Interessant ist auch der Blick auf die kleineren Parteien. Denn Schleswig-Holstein ist hier in mancher Hinsicht ein Sonderfall. Entgegen dem schlechten Bundestrend schneiden zum Beispiel die schleswig-holsteinischen Grünen in den Umfragen immer noch gut ab. Sie können sich mit rund zwölf Prozent über doppelt so viel Unterstützung freuen wie die Grünen bundesweit. Grund ist vor allem der beliebte und pragmatische Landeschef Robert Habeck. Auch der Höhenflug der FDP - ihr wird ebenfalls ein zweistelliges Ergebnis zugetraut - hat viel mit dem Spitzenmann, in ihrem Fall mit Wolfgang Kubicki, zu tun. Und dann gibt es das Unikum des Südschleswigschen Wählerverbands. Der ist als Minderheitenvertretung von der Fünfprozentklausel ausgenommen und daher schon oft in der Landesgeschichte der entscheidende kleine Partner gewesen, der eine Koalition möglich macht.

Der Herausforderer: Daniel Günther hat sich im Wahlkampf gesteigertBild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Mit Spannung blickt ganz Deutschland auf das Abschneiden der AfD in Kiel. Sie erobert seit vielen Monaten ein Landesparlament nach dem anderen in Deutschland, im Osten mit bis zu 20 Prozent und mehr. Aber zuletzt scheint sie zu schwächeln, und möglicherweise scheitert sie in Schleswig-Holstein sogar an der Fünfprozentklausel. Die AfD war hier aber noch nie so stark wie anderswo. Auch die Linkspartei hat es im strukturkonservativen, eher ländlich geprägten Schleswig-Holstein traditionell schwer; sie muss ebenfalls um den Einzug in den Kieler Landtag bangen, kann sich aber in den Umfragen gegenüber den letzten Wahlen steigern. Die Piraten, die im Moment im Landesparlament sitzen und 2012 noch acht Prozent holten, dürften fast mit Sicherheit am Sonntag hinausfliegen.

Vor lauter Plakaten die Straße nicht gesehen: Die Bürger haben eine reiche AuswahlBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Was bleibt vom "Schulz-Effekt"?

Ein richtig heißer Wahlkampf mit politischen Schlammschlachten hat nie stattgefunden, was vielleicht am kühlen norddeutschen Wesen, aber auch am ausgeglichenen Naturell der beiden Hauptmatadoren liegt. Die Themen: CDU-Mann Günther will in der Bildungspolitik zurück zu G9, mehr Abstand zwischen neuen Windrädern und Wohnhäusern und einen schnellen Weiterbau der Autobahn 20. Albig verspricht längerfristig ein Ende der Kita-Gebühren für alle Eltern, mehr soziale Gerechtigkeit und - weiter so wie bisher, nach seinem "Plan A" mit den selben Koalitionspartnern. Plan B verrät er nicht. Neben einer großen Koalition, entweder unter SPD- oder CDU-Führung, scheinen eine ganze Reihe von Dreierbündnissen denkbar.

Ein eher lauer Wahlkampf lässt aber nicht auf eine geringe Wahlbeteiligung schließen. Die Auseinandersetzungen über das Flüchtlingsthema oder auch die Präsidentschaftswahl in Frankreich haben die Menschen aufgerüttelt, meint Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz: "Die Zeiten sind politischer geworden, zudem sind die Alternativen deutlicher", sagt er. Es sei den Bürgern wieder klarer als früher, "dass es nicht egal ist, wie eine Wahl ausgeht". Er erwartet deshalb eine höhere Wahlbeteiligung als beim letzten Mal, da waren es rund 60 Prozent. Übrigens dürfen erstmals in Schleswig-Holstein schon 16-Jährige wählen.

Ob's hilft? Martin Schulz probiert eine Kieler Sprotte als Wahlkampfhilfe für AlbigBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Wie immer bei Landtagswahlen, fragen sich Politiker und Politikwissenschaftler, was das Ergebnis am Sonntag - wenige Monate vor der Bundestagswahl - für die Bundespolitik bedeutet. Ein wenig bang wird sich das vor allem Martin Schulz fragen. Denn nach dem kurzen Höhenflug, den der neue SPD-Kanzlerkandidat Anfang des Jahres ausgelöst hatte, ist vom "Schulz-Effekt" wenig übrig geblieben. Schon bei der Saarland-Wahl im März hatte er sich verflüchtigt. Da sagte die SPD noch, das liege am Amtsbonus von CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, die die Wahl deutlich gewann.

Sollte der Amtsbonus von Torsten Albig in Schleswig-Holstein ausbleiben, wäre es der zweite Dämpfer für Schulz. Viel wichtiger für die Bundespolitik ist aber eine Woche später die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, das fast sechsmal so viele Einwohner hat wie Schleswig-Holstein und wo sich in den Umfragen ebenfalls eine SPD-geführte Landesregierung ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU-Opposition liefert. Spätestens Nordrhein-Westfalen gilt dann als entscheidender Stimmungstest für die Bundestagswahl im September.

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