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Politik

Der Ost-West-Graben vertieft sich

23. Juni 2017

Während Angela Merkel und Emmanuel Macron beim EU-Gipfel deutsch-französische Gemeinsamkeit zelebrieren, nimmt die Spaltung zwischen ihnen und den Osteuropäern zu. Aus Brüssel berichtet Christoph Hasselbach.

Belgien EU-Gipfel in Brüseel |
Bild: Reuters/E Dunand

Dieser Gipfel sollte Optimismus verbreiten. Die Brexit-Verhandlungen werden jetzt den Profis überlassen und die Briten machen ein Angebot für die Rechte von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich nach dem Ausstieg. Das wird zwar inzwischen als nicht ausreichend und vage kritisiert, gilt aber als Fortschritt. Jetzt wollten sich die übrigen 27 Mitglieder mit Schwung an neue Projekte machen.

Entsprechend symbolisch war die gemeinsame Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Merkel nannte den Gipfel dabei "einen Rat der Zuversicht und der Tatkraft". Solche Worte fallen umso leichter, als das Wirtschaftswachstum in praktisch allen Mitgliedsstaaten, auch in den bisher schwachen, wieder anspringt. Die Eurozone hat sogar gerade ihr bestes Quartal seit sechs Jahren hinter sich, was allerdings wegen der jahrelangen Krise nicht viel heißt.

Die im Juli beginnende estnische Ratspräsidentschaft will sich damit aber nicht zufriedengeben. Estland gilt als digitales Musterland Europas. Der estnische Regierungschef Jüri Ratas mahnte in Brüssel: "Daten sind die Kohle- und Stahlindustrie der Zukunft. Deshalb müssen wir Weltmarktführer in der Digitalwirtschaft sein." Bei Merkel rennt er damit offene Türen ein. Sie ist voll des Lobes, "weil Estland ein Beispiel dafür ist, wie Digitalisierung schon gelebt wird".

Entspannung: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zieht schon das Jackett ausBild: picture allianceBELGA/dpa/T. Roge

Führend will die EU auch bei der Erhaltung eines freien Welthandels sein. Den sieht sie durch protektionistische Tendenzen von US-Präsident Donald Trump bedroht. Andererseits ist die EU aber auch nicht "naiv", wie Macron sagte. Offenheit verlange auch Fairness. Als unfair empfinden es die europäischen Regierungen, wenn etwa Länder mit Dumpingpreisen den europäischen Markt überschwemmen oder wenn Unternehmen aus Drittstaaten europäische Firmen aufkaufen, diese Länder sich aber umgekehrt gegen Aufkäufe abschotten. Am Pranger steht hier vor allem China.

Flüchtlinge verteilen? Aussichtslos.

Die insgesamt gute Stimmung nach der Brexit-Depression will sich aber nicht auf allen Gebieten einstellen. Da ist das leidige Thema Migration. Gerade der neue Hoffnungsträger Macron hat da gleich zu Beginn die Osteuropäer verärgert, die sich weigern, den Hauptankunftsländern Italien und Griechenland Migranten abzunehmen. Macron hatte geklagt, man sei hier nicht im "Supermarkt" und es gehe in der EU nicht nur darum, "Geld zu verteilen, ohne europäische Werte zu achten".

Er hatte zwar keine Namen genannt, aber die Gemeinten fühlen sich auch so angesprochen, zum Beispiel Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban giftete zurück, das sei ein "Tritt" gewesen, Macron sei ein "Frischling" und "sein Einstand wenig ermutigend". Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern pflichtete dagegen Macron bei: "Ich kann nicht immer nur fordern und mich dann den Verpflichtungen entziehen."

Auf der Suche nach einer Zukunft: Migranten aus AfrikaBild: picture-alliance/dpa/M. Amoruso/Pacific Press via ZUMA Wire

Um die Wogen zu glätten, hatte sich Macron am Rande des Gipfels mit den Regierungschefs Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei getroffen, die zusammen die sogenannte Visegrad-Gruppe bilden. Heraus kam dabei allerdings nichts. Merkel sagte nach dem Gipfel, bei der Frage der Bekämpfung der Fluchtursachen und der Frage der Kontrolle der Außengrenzen "sind wir uns sehr, sehr einig". Man habe "leider keinen Fortschritt bei der Frage der Verteilung" erzielt, aber auch von vornherein kaum Zeit darauf verwandt, fügte sie resigniert hinzu, "weil klar war, dass wir da keinen Fortschritt würden erreichen können".

Macron fügte in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel hinzu: "Die gegenwärtige Flüchtlingskrise ist nicht vorübergehend, sondern eine langfristige Herausforderung, die ihre Antwort in einer langfristigen Stabilisierung in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten und in einer ehrgeizigen europäischen Entwicklungspolitik finden muss."

Konkurrenz aus Osteuropa

Das Gespräch zwischen Macron und den Visegrad-Ländern war aber noch aus einem anderen Grund heikel. Macron befürchtet, das gesamte europäische Projekt stehe auf dem Spiel, weil Arbeitnehmer in den reichen westeuropäischen Ländern Angst vor osteuropäischer Konkurrenz hätten. Macron hat damit vor kurzem sogar den Brexit erklärt, als er sagte: "Wie konnte es zum Brexit kommen? Weil Arbeitnehmer aus Osteuropa britische Arbeitsplätze übernahmen."  Macron fordert deswegen eine Änderung der sogenannten Entsenderichtlinie. Nach seinen Vorstellungen sollten aus Osteuropa entsandte Arbeitnehmer die ortsüblichen, also zum Beispiel französischen Löhne gezahlt bekommen. Er hat damit einige Unterstützung auch in anderen Hochlohnländern wie Deutschland und Österreich. Doch die Osteuropäer lehnen es strikt ab, sich ihren Wettbewerbsvorteil nehmen zu lassen.

Viele Westeuropäer befürchten osteuropäische Konkurrenz, zum Beispiel auf dem BauBild: picture alliance / dpa

Dieser Gipfel hat gezeigt, dass das deutsch-französische Duo mit der Wahl von Emmanuel Macron neue Energie bekommen hat und damit vielleicht auch neue europäische Projekte vorantreiben könnte. Doch gleichzeitig droht die Kluft zwischen West und Ost, zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern, noch tiefer zu werden. 

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