Der Papst eckt an - die Ukraine ist empört
11. März 2024Dieser Papst ist ja ein ganz anderer Papst, mit einem anderen Stil als seine Vorgänger. Er sagt, was er denkt, und das alles andere als abgehoben. Und je älter er wird, desto häufiger gibt er einer Vielzahl kleinerer Sender Interviews. Doch nun sorgt er mit einer Äußerung zum russischen Angriff auf die Ukraine und dem nun über zweijährigen blutigen Krieg für Aufsehen und Widerspruch.
Der Papst hatte in einem Fernseh-Interview für den Schweizer Sender RSI die Ukraine zu Verhandlungen mit dem russischen Aggressor aufgefordert. "Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird", so Franziskus. Wahre Stärke beweise derjenige, "der die Situation betrachtet, an die Bevölkerung denkt und den Mut zur weißen Fahne und zu Verhandlungen hat".
Spätestens mit dem Bild der "weißen Fahne", die gemeinhin als Symbol einer Kapitulation gilt, wirkte die Aussage des Papstes so, als ob er die Regierung in Kiew zur Kapitulation ermuntere.
Härteste Kritik am Papst seit 15 Jahren
Die Äußerung sorgte für großen Widerspruch aus der internationalen Politik. Und es ist wohl die härteste Kritik an einer päpstlichen Äußerung oder einem päpstlichen Handeln seit 2009, als der damalige Papst Benedikt XVI. die bestehende Exkommunikation gegen einen reaktionären Geistlichen aufhob, der den Holocaust geleugnet hatte.
Nach einem Sturm der Empörung setzten der vatikanische Apparat und der aus Deutschland stammende Papst damals auf Treffen des Kirchenoberhaupts mit Delegationen aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Und auf Ansprachen, um seine Ablehnung jeder Holocaust-Leugnung zu betonen.
Auch jetzt erreicht die Kritik ein Maß, das den im Krisenfall eher klein aufgestellten vatikanischen Kommunikationsapparat überrollt. Von deutscher Seite erklärte zunächst der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, eine fundamental andere Sichtweise: Deutschland fordere "Moskau auf, den Krieg zu beenden, nicht Kiew", schrieb er auf der Plattform "X", dem früheren Twitter.
Dann kam die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock: "Ich frage mich wirklich, was er sich dabei gedacht hat", sagte die Grünen-Politikerin am Sonntagabend in der ARD. "Ich versteh's nicht."
Und am Montag wies auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der noch vor anderthalb Wochen bei Franziskus im Vatikan zu Gast war, dessen Äußerung zurück. Die Ukraine wehre sich im Rahmen des Völkerrechts gegen einen Aggressor und einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, erklärte dessen Sprecher Steffen Hebestreit.
Selenskyjs deutliche Zurückweisung
Am deutlichsten und sicher am schwierigsten für den Vatikan waren die Zurückweisungen aus der ukrainischen Führung. Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte am Sonntagabend in seiner täglichen Videoansprache allen Geistlichen, die an der Frontlinie die ukrainischen Streitkräfte mit Gebeten, Gesprächen und Taten unterstützten und das Leben und die Menschlichkeit schützten.
"Das ist, was die Kirche ist: zusammen mit den Menschen sein, nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich zerstören will."
Wen Selenskyj damit meinte, war vermutlich jedem klar. Weitere Mitglieder der ukrainischen Führung, wie Außenminister Dmytro Kuleba, wurden ähnlich deutlich: "Unsere Flagge ist gelb und blau", schrieb Kuleba auf "X". "Dies ist die Flagge, unter der wir leben, sterben und siegen. Wir werden niemals eine andere Flagge hissen."
Führende Politiker aus anderen mittel- und osteuropäischen Ländern, die sich von der russischen Aggression selbst bedroht sehen, stimmten in die Kritik ein. Und auch das Oberhaupt der ukrainischen katholischen Kirche, Erzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, wies die Äußerungen seines Papstes Franziskus in einer Erklärung zurück: "Glauben Sie mir, niemand denkt daran, sich zu ergeben."
Papst vermeidet Disput mit Kyrill
Man mag die Aussagen des 87-jährigen Kirchenoberhaupts als missglückte Formulierung abtun. Aber schon seit vielen Monaten sind viele kundige Beobachter irritiert über seinen Kurs im aktuellen Konflikt. Dieser vermeidet jede Kritik am russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill, einem engen Parteigänger des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Dieser spricht längst von einem "heiligen Krieg" gegen das Böse und beschwört geradezu einen metaphysischen Kampf gegen den woken Westen. Mit diesem Kyrill suchte Franziskus lange das Gespräch.
Und über viele Monate betete der oberste Katholik im Vatikan zwar immer mal wieder für die leidenden Ukrainer - er benannte aber eigentlich nie Russland als Aggressor, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Mittlerweile betet Franziskus fast an jedem Sonntag für die leidende oder "gemarterte" Ukraine, ohne dabei die Täter-Rolle anzusprechen.
Kritiker vermissen päpstlichen Appell an Putin
Regina Elsner, katholische Theologin und Professorin für Ostkirchenkunde an der Universität Münster, vermisst Appelle des Franziskus an Putin. Der Papst habe sich "seit zwei Jahren nicht ein einziges Mal mit einem ähnlich offenen Aufruf an die russische Seite gewandt oder diese auch nur als Aggressor anerkannt", sagt sie gegenüber der Deutschen Welle. Solange der Papst dies nicht laut aussprechen wolle, wäre es gut, "sich zu diesem Krieg nicht mehr mit Verhandlungsaufforderungen an die Ukraine zu äußern".
Das Interview zeigt nach Einschätzung Elsners, wie wenig der Papst und vermutlich auch der Vatikan das Wesen dieses Krieges und der russischen Ideologie verstünden. Angesichts des offenkundigen Vernichtungswillens der russischen Seite und der unprovozierten Aggression sei es höchst problematisch, "vom Opfer eine Einwilligung in die Vernichtung" zu verlangen.
Die konkrete Äußerung von Franziskus wie das gesamte Interview erzählen auch einiges über den Kommunikationsstil dieses Papstes und des Vatikans. Nicht selten werden solche Interviews - sei es mit Zeitungen, Radio- oder Fernsehsendern - jenseits der etablierten Strukturen vereinbart und durchgeführt. Im aktuellen Fall führte der Schweizer Sender RSI das Interview bereits im Februar und plant für den 20. März die Ausstrahlung. Aber mit der Veröffentlichung der nun so spektakulären Passage sorgte der Sender für weltweite Aufmerksamkeit.
Erklärungsversuche aus dem Umfeld des Papstes
Nun bemüht sich der ein oder andere Papst-Botschafter in aller Welt, das Gesprochene irgendwie zu erklären und ihm den Ruch des Skandalösen zu nehmen. So sah der Nuntius in Kiew, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, im Interview mit der italienischen Zeitung "La Repubblica" die Schuld für die Papst-Äußerung beim Fragesteller des Senders RSI. Dieser habe den Begriff "weiße Fahne" ins Gespräch eingeführt und danach gefragt.
Ernsthafter ist das Bemühen von Vatikan-Sprecher Matteo Bruni, die Äußerung einzuordnen und zurechtzurücken. Und manches lässt an den vatikanischen Umgang mit dem Skandal um den Holocaust-Leugner 2009 denken. Bruni erklärte, Franziskus habe das Bild von der "weißen Fahne" aufgegriffen, um zwei Punkte zu bezeichnen: "eine Einstellung der Feindseligkeiten" und "einen Waffenstillstand, der mit dem Mut zur Verhandlung erreicht wurde".
Der Papst wünsche sich vor allem eine "diplomatische Lösung für einen gerechten und dauerhaften Frieden". An anderer Stelle des Interviews habe der Papst klargemacht, dass eine Verhandlung "niemals eine Kapitulation" sei. Das passt zu der zusehends verzweifelt wirkenden Art, in der das Kirchenoberhaupt von der leidenden Bevölkerung erzählt. Gelegentlich spricht er vom "Dritten Weltkrieg", der längst im Gange sei. "Nein zum Krieg", erklärt er immer wieder und prangert die Rüstungsindustrie weltweit an.
Russland begrüßt die Worte des Papstes
Übrigens hat der Kreml die Worte von Franziskus positiv aufgenommen. Russland verstehe die Äußerungen des Papstes nicht als Aufruf an die Ukraine zur Kapitulation, sondern als Plädoyer für Verhandlungen, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Die Aufregung und Empörung seit der Veröffentlichung des TV-Zitats mag in Bälde abflachen. Aber die vatikanische Diplomatie, die sich eigentlich um Vermittlung, um den Austausch von Gefangenen und die Rückführung nach Russland verschleppter ukrainischer Kinder in ihre Heimat bemüht und dafür des Öfteren Dank von Selenskyj erfuhr, wird noch lange mit den Nachwirkungen der Franziskus-Äußerung zu tun haben.