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Politik

Der Partner der Kurden geht

Kersten Knipp | Ouchtou Siham | Gökhan Yivciger
20. Dezember 2018

Der Rückzug der USA aus Syrien kommt für die dortigen Kurden überraschend. Lange hatten sie mit den USA zusammengearbeitet. Auch war die US-Präsenz ein Schutz in vielerlei Richtung. Nun diskutieren sie andere Optionen.

US Truppen im Arabischen Golf
Bild: Imago/ZUMA Press/USMC/Cpl. D. Morgan

US-Präsident Trump hat es nun offiziell erklärt: Der wichtigste Grund für die Präsenz amerikanischer Truppen sei entfallen. Das "territoriale Kalifat" der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) sei besiegt. Der Abzug der verbleibenden US-Truppen sei in 60 bis 100 Tagen abgeschlossen.

Mit seiner Entscheidung setzt sich Trump über sämtliche Stimmen hinweg, die vor einem Rückzug der Amerikaner aus Syrien warnen. Der IS sei keineswegs besiegt, erklärte in einem Tweet der republikanischer Senator von South Carolina, Lindsey Graham. Ein Abzug der US-Truppen sei ein großer Fehler und helfe dem IS bei seinem Bestreben, sich in der Region wieder auszubreiten.

Trumps Rückzugsankündigung vom März sorgte bereits in den vergangenen Monaten für Unsicherheit. Der Einsatz der US-Truppen in der Region sei von grundlegender Bedeutung, heißt es in einer Studie der "International Crisis Group" vom September dieses Jahres. "Er sorgt für Stabilität, denn er garantiert in einer vom IS wieder befreiten Gegend grundlegende Dienste. Zugleich hält er die Türkei und das Assad-Regime von militärischen Aktionen ab. Er sorgt aber auch für eine gewisse Unsicherheit, da die aus Washington kommenden Signale so vieldeutig sind. Je nach Tag und nach der jeweils sich äußernden Person heißt es aus der Trump-Administration einmal, die USA würden Syrien bald verlassen und ein anderes Mal, sie würden auf alle Zeiten dort bleiben, es sei denn, der Iran würde seine regionale Hegemonialpläne deutlich reduzieren. Oder es kommt eine Botschaft, die irgendwo zwischen diesen beiden liegt."

US-Streitkräfte errichten eine neue Basis in Manbidsch im Norden Syriens, Mai 2018Bild: Reuters/R. Said

Destabilisierende Wirkung des Rückzugs

Mit dieser Ambivalenz ist nun Schluss. Die Dinge, vermutet Mehmet Tanriverdi, stellvertretender Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, werden sich in Nordsyrien zum Schlechteren wenden. Der Abzug werde die Lage weiter destabilisieren. Zum einen sei der IS nicht endgültig zerschlagen. Zum anderen werde der Abzug der US-Truppen den Weg für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan freimachen. "In Nordsyrien dürften weitere kurdische Gebiete besetzt werden - so wie es in Afrin im Frühjahr dieses Jahres geschehen ist. Das würde die Flucht vieler tausend Kurden bedeuten."

Das nördliche Syrien ist eine in dem durch viele Fronten zerrissenen Land eine besonders umkämpfte Region. In den Wirren des Krieges haben die Kurden dort eine vergleichsweise autonome Region geschaffen. In ihr fanden und finden Angehörige unterschiedlicher Konfessionen Schutz - Christen ebenso wie Jesiden. Diese Region ist nun bedroht, sagt der Nahost-Experte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: "Die Amerikaner geben hier möglicherweise einen ganz wichtigen Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadisten zum Abschuss frei. Das wird dafür sorgen, dass die Bekämpfung des IS in den nächsten Jahren sehr viel schwieriger wird."

Der "Islamische Staat" ist weiterhin präsent

Der IS hat zwar zahlreiche Niederlagen hinnehmen müssen. Aber noch ist er nicht besiegt. Allein in den kurdischen Gefängnissen befänden sich rund 3200 IS-Kämpfer, sagt Mehmet Tanriverdi. Viele andere hätten sich unter die Bevölkerung gemischt. Sie stellten nun eine enorme Herausforderung dar. "Ich fürchte, die Kurden allein werden mit dem IS nicht fertig. Das haben wir bereits im Kampf um die Stadt Kobane im Jahr 2014 gesehen. Ohne Aufklärungsflugzeuge, ohne Bombardement aus der Luft durch die Amerikaner hätten die Kurden allein die Stadt nicht befreien und den IS nicht bekämpfen können."

Warnung vor dem "Islamischen Staat": Mehmet Tanriverdi, stellvertretender Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde DeutschlandBild: BAGIV

Hinzu kommt, dass die Amerikaner nun auch als Schutzmacht der Kurden gegenüber der Türkei ausfallen. Der größte Nutznießer dieser Entscheidung sei darum der türkische Staatspräsident Erdogan, sagt Rami Abdel Rahman, Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London. Die Vereinigten Staaten hätten sich entschlossen, der Türkei eine Freude zu machen, so Abdel Rahman mit sarkastischem Unterton im DW-Interview. Die Türken hätten zuletzt einige Karten zu ihren Gunsten ausspielen können - so etwa den Fall des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Auch der Umstand, dass sich in Syrien weiterhin dschihadistische Gruppen aufhalten, spiele ihnen zu.

Hinzu kämen die ethnischen Spannungen innerhalb Syriens, so Abdel Rahman. "Der Rückzug der Amerikaner wird das Land nicht nur weiter ins Chaos stürzen, sondern auch die ethnischen Spannungen zwischen Arabern und Kurden anheizen."

Dem Feind ins Auge blicken: Kämpferinnen der YPG nahe der Stadt Kobane, 2015Bild: Getty Images/A. Sik

Politische Optionen

In dieser Situation, so die Politologin Arzu Yılmaz, bis vor Kurzem an der Kurdisch-Amerikanischen Universität im irakischen Erbil lehrend, hätten sich die Kurden einen Dialog mit der syrischen Regierung auch bislang schon offen gehalten. "Sie haben zwar ihren Joker, die Verbindung zu den USA, nie aus der Hand gegeben. Die Präsenz der USA im syrischen Kurdistan war für sie auch eine Art Abschreckung gegenüber Türkei. Aber jetzt gibt es einen Dialog zu einer politischen Lösung in Syrien."

Dennoch sei die Lage in Nordsyrien schwer zu überblicken, sagt Mehmet Tanrifverdi. Deswegen plädiert er für ein stärkeres  politisches Engagement der EU. "Ganz wichtig wäre jetzt, dass man sich wirklich ernsthaft überlegt - das war auch ein Vorschlag aus Frankreich -, eine Flugverbotszone über Nordsyrien einzurichten." Vorbild könnte etwas das Flugverbot über dem Nord-Irak in den 90er Jahren sein. Das derzeitige Ziel wäre es, Truppenbewegungen und Flüge auf der türkischen Seite ebenso wie auch aus der Richtung Damaskus zu überwachen. "Es kommt aber auch darauf an, den Iran zu stoppen. Das würde ein Stück Sicherheit für die Kurden in der Region bringen, ebenso aber auch für Israel."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika