Der politische Priester
31. August 2009Dem rundlichen Mann Mitte 50 machen die 30 Grad zu schaffen, die ihm der Sommer in Krakau beschert. Doch er steht lächelnd am Bahnhof, dunkle Haare, dunkles Jackett. Um ihn herum warten 200 junge Menschen mit ihrem Reisegepäck. Sie kommen aus der ganzen Welt, Deutschland und Russland, Bulgarien und Amerika. Und er hat sie nach Polen geholt, in seine Heimat, für eine ungewöhnliche Reise.
"Wir Polen beschweren uns oft, dass man in anderen Ländern falsche Vorstellungen über uns hat", sagt der Mann, der Maciej Zięba heißt. "Wir sollten nicht jammern, sondern etwas dagegen tun." Und so hat Maciej Zięba diese Reise organisiert. Eine Zugfahrt mit dem so genannten "Solidarnosc-Express", einmal quer durch Polen, immer entlang der polnischen Geschichte. Es ist auch seine eigene Geschichte.
Zuflucht im Kloster
Maciej Zięba ist in der Nachkriegszeit geboren, als in Polen noch die Wunden der deutschen Besatzung offen liegen und die sowjetische Besatzung schon die nächsten Wunden schlägt. Ende der 70er Jahre schließt er sich der Opposition gegen den Kommunismus an. Als 1980 die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc entsteht, berät er ihre Anführer im Kampf um mehr Freiheit. "Das war die aufregendste Zeit in meinem Leben, für uns alle, die wir damals gegen das Regime aufgestanden sind." Seine dunklen Augen leuchten. "Alles war in Bewegung damals und es herrschte eine unglaubliche Solidarität zwischen den Menschen, ein besonderer Zusammenhalt."
Wegen der Arbeit in der Opposition verliert Maciej Zięba 1980 seine Stelle an der Universität in Breslau. Vielleicht hätte er sonst eine wissenschaftliche Karriere als Physiker gemacht. So aber wird er ein Mönch. Kurz bevor die Kommunisten im Dezember 1981 das Kriegsrecht ausrufen und die Anführer der Solidarnosc-Opposition verhaften, tritt er dem Dominikanerorden bei. "Sie wollten auch mich verhaften", sagt Zięba verschmitzt, "aber mein Ordensvater hat ihnen gesagt: Ihr braucht ihn nicht mitnehmen, er ist hier ja auch so gut wie im Gefängnis." Bis zur Wende bleibt Zięba im Kloster und macht dort auch die Ausbildung zum Priester.
Danach sieht er, wie Polen sich zu einer funktionierenden Demokratie entwickelt. Doch eine Demokratie ohne Rückgrat, ohne lebendige Zivilgesellschaft. Das zu ändern wird zu seinem Ziel. 1995 gründet er in Krakau die Jugendorganisation Tertio Millennio, mit der er junge Polen zu mehr Engagement motivieren will. Auch aus einer tiefen Religiosität heraus, aber weltoffen und tolerant. "Aus den alten Konflikten zwischen Deutschen und Polen, zwischen Polen und Russen, müssen wir lernen. Besser machen können es nur die jungen Leute, die neue Generation."
Reise im Geiste der Verständigung
Mit dieser neuen Generation sitzt Maciej Zięba nun, im Jahr 2009, in eben jenem Zug, der sie einmal durch Polen bringt. Sie beginnen in Auschwitz, fahren über Krakau nach Warschau und enden in Danzig. Eine Reise mit Stationen, die von Krieg, Holocaust, Widerstand und dem Ende des Kommunismus zeugen – im Geiste der Verständigung. Organisiert hat die Reise das Europäische Solidarnosc-Zentrum, ein staatlich gefördertes Institut, das Maciej Zięba in den letzten zwei Jahren aufgebaut hat. "Ich hätte nie gedacht, dass sich die Welt so schnell ändert. Damals waren wir überzeugt: Der Kommunismus wird ewig bestehen. Und jetzt kommen all diese jungen Leute von überall her, und treffen sich hier. In Polen!"
Autoren: Linda Vierecke / Arne Hell
Redaktion: Andreas Ziemons