Der Präsidenten-Basar
2. Juni 2004Was sich am 1. Juni in Bagdad abspielte, glich einer Mischung aus griechischer Tragödie und arabischem Basar: Die USA und der Regierungsrat feilschten darüber, wer irakischer Präsident werden soll, die tragische Hauptrolle gab der frühere Außenminister Adnan el Padschadschi.
Die Amerikaner hätten Padschadschi gerne im höchsten Amt gesehen, doch wenige Minuten vor der geplanten Ernennung des neuen Präsidenten gab der 81-Jährige seinen Verzicht bekannt. Offiziell gab er "persönliche Gründe" an, inoffiziell war zu hören, seine Gegner hätten ihn als Lakaien der USA verunglimpft. Mit dieser Bürde wollte er das Amt anscheinend nicht antreten.
Kritischer Scheich setzt sich durch
Damit war der Weg frei für den sunnitischen Stammesscheich Ghasi el Jawar, momentan Vorsitzender des Regierungsrates. Er war von Anfang an Favorit des Gremiums, doch die USA hatten sich gegen seine Berufung gesträubt. Der 45-Jährige Ingenieur hatte sich in den vergangenen Tagen sehr kritisch über die von den USA und Großbritannien eingebrachte UN-Resolution zur Zukunft des Irak geäußert. Diese gebe den Irakern zu wenig Mitbestimmungsrechte über den Einsatz der 150.000 überwiegend amerikanischen Besatzungssoldaten.
Unmittelbar nach seiner Ernennung hat Jawar die volle Souveränität des Golfstaats nach der geplanten Machtübergabe am 30. Juni gefordert. "Wir Iraker freuen uns darauf, in einer Resolution des UN-Sicherheitsrats die volle Souveränität garantiert zu bekommen, die uns den Aufbau eines freien, unabhängigen, demokratischen und föderal vereinten Heimatlandes ermöglicht", sagte er auf seiner ersten Pressekonferenz.
US-Präsident George W. Bush machte gute Miene zum überraschenden Spiel begrüßte die Wahl el Jawars. Bush sagte in Washington, er sei an der Auswahl der Mitglieder der neuen Führung in Bagdad in keiner Weise beteiligt gewesen. "Die Ernennung der neuen Interimsregierung bringt uns der Erfüllung des Traum von Millionen Irakern einen Schritt näher", sagte Bush.
Weltoffener Versöhner
Sieht man von den kritischen Äußerungen zur UN-Resolution ab, scheint Jawar der perfekte Kandidat für das Amt. Der gemäßigte Sunnit hat eine Führungsrolle im mächtigen Stamm der El Schammar, dem Sunniten und Schiiten angehören, und hat sich wiederholt für die Aussöhnung der Bevölkerungsgruppen im Irak ausgesprochen. Er hat in den USA studiert, spricht hervorragend Englisch und kennt die westliche Welt.
Wie gut er sich wirklich auf den Dialog zwischen den Bevölkerungsgruppen versteht, wird Jawar bald als Präsident unter Beweis stellen können. Als Vizepräsidenten für die sechsmonatige Übergangszeit bis zur Wahl einer Regierung werden ihm Ibrahim el Dschafari von der schiitischen Dawa-Partei und Rusch Schawis von der Kurdischen Demokratischen Partei zur Seite stehen.
Regierungsrat schafft sich selbst ab
Als Ministerpräsident stand bereits Iyad Allawi fest. Er gehört zur schiitischen Bevölkerungsmehrheit, die unter Saddam Hussein lange Zeit unterdrückt wurde. Ebenfalls am 1. Juni stellte er die Namen der 32 Mitglieder seines Kabinetts vor. Ursprünglich hätten die 27 Männer und fünf Frauen noch bis Ende Juni frei haben sollen, doch der provisorische Regierungsrat machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Kurz nach der Ernennung der neuen Übergangsregierung löste sich das Gremium unerwartet auf. Allawi und seine Mannschaft sollen daher ab sofort die Aufgaben des Rates übernehmen. Am 30. Juni werden die Amerikaner die Macht formal an die neue Führung übergeben.
Vereidigung im Schatten des Terrors
Wie viel Macht die neue Regierung tatsächlich haben wird, muss sich noch zeigen. Zwar hat sich Scheich Jawar immer wieder für einen schnellen Abzug der US-Truppen ausgesprochen und der neue Ministerpräsident sieht es als seine Hauptaufgabe an, für Sicherheit zu sorgen, doch bislang scheint niemand in der Lage zu sein, die täglichen Anschläge zu stoppen.
Noch während der Benennung der irakischen Übergangsregierung explodierte vor den Büros der Patriotischen Union Kurdistans in Bagdad eine Bombe. Mindestens zehn Menschen wurden getötet. Und bei einem Autobombenanschlag auf einen US-Stützpunkt nördlich von Bagdad wurden elf weitere Iraker getötet. Es bleibt abzuwarten, ob die Übergangsregierung den Irak aus dem Griff der Gewalt lösen kann. (rle)