1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Der Professor, der Merkel stürzen möchte

9. Oktober 2018

Der Bonner Völkerrechtler Herdegen fordert Merkel heraus. Er will der Kanzlerin wegen der Flüchtlingspolitik den CDU-Parteivorsitz streitig machen. Von allen Herausforderern gilt er als derjenige mit den besten Chancen.

Prof. Dr. Matthias Herdegen
Bild: Matthias Herdegen

Es ist eine deutliche Kampfansage an CDU-Chefin Angela Merkel. Er bewerbe sich um den Parteivorsitz, weil die "notwendige, inhaltliche und programmatische Erneuerung der CDU, nach der sich weite Teile der Partei und auch weite Teile ihrer Wählerschaft sehnen, nur mit einem Wechsel an der Spitze möglich ist", sagt der CDU-Politiker Matthias Herdegen im DW-Gespräch. Diesen Wechsel will der Bonner Jura-Professor auf dem Parteitag der Christdemokraten in Hamburg Anfang Dezember selbst möglich machen. Herdegen gehört zu drei Merkel-Kontrahenten, die ihr den Chefposten in der Partei streitig machen und so das Ende der Ära Merkel besiegeln wollen. Denn traditionell gilt in der CDU der Grundsatz: Nur wer Parteichef ist, kann Kanzler sein. Das sieht auch Merkel selbst so. Der Vorsitz wird alle zwei Jahre gewählt.

Neben dem Völkerrechtler und gebürtigen Oberfranken Herdegen wollen der 61-jährige Unternehmer Andreas Ritzenhoff und der 26-jährige Berliner Jura-Student Jan-Philipp Knoop Merkel vom Thron stoßen. Drei Männer, eine Meinung: Sie attestieren der Kanzlerin eine Politik des Stillstands, die das Land lähme und die Bürger an der Regierung zweifeln lasse. Von dem Herausforderer-Trio aus den hinteren Parteireihen werden Herdegen die größten Chancen eingeräumt, Merkel Delegiertenstimmen abzujagen. Der renommierte Professor von der Rheinischen Wilhelms-Universität in Bonn hat zwar kein Parteiamt inne, ist aber seit Jahrzehnten im politischen Geschehen präsent.

Die Schwäche Merkels als Chance

So war er Mitglied der Parlamentskommission für den Einsatz der Streitkräfte und vertrat die Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, etwa gegen eine Klage der Grünen für mehr Parlamentsrechte im Zusammenhang mit dem Libyen-Einsatz der Bundeswehr. Allein die Nähe des Verfassungsrechts zur Politik und die Leitfunktion, die sie habe, zeige seine Affinität zu politischen Grundfragen, die Deutschland derzeit bewegen, betont Herdegen.

Ein Bild aus Merkels erfolgreicher Zeit: Am 10. April 2000 wurde sie auf dem CDU-Bundesparteitag in Essen mit 897 von 935 gültigen Stimmen zur neuen CDU-Bundesvorsitzenden gewähltBild: picture-alliance/dpa/M. Jung

Der Jurist sieht nun den Punkt gekommen kommt, wo er die Verantwortung für die inhaltliche Weichenstellung der CDU übernehmen will. "Bevor der Eindruck entsteht, die Union versinkt in einem programmatischen Schweigen, in einem Verzicht auf einen inneren Kompass, stehe ich selbst zur Verfügung", erklärt er der DW. Der 61-Jährige rechnet auf dem Parteitag mit einem offenen Rennen, "in das die Amtsinhaberin natürlich mit einen ganz großen Amtsbonus reingehen wird." Herdegens Chance ist Merkels Schwäche.

Vom Sehnen nach Erneuerung

18 Jahre lang steht sie bereits an der Spitze der CDU – jedoch nicht mehr unangefochten. Seit dem Streit um die Ausrichtung der Flüchtlingspolitik ist ihre Beliebtheit angeknackst, es grummelt in ihrer Partei. Schon vorher hatten konservative Kräfte die von Merkel vorangetriebene Ausrichtung der CDU als Partei der politischen Mitte beklagt. Stammwähler würden vergrault, die nun zum Teil zur rechtspopulistischen AfD übergelaufen sind. Forderungen nach einem Wechsel werden immer vehementer geäußert. Nachdem Merkels langjähriger Vertrauter Volker Kauder Ende September als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion überraschend abgewählt wurde, hieß es, sie habe ihr Gespür für die Befindlichkeiten der Christdemokraten verloren; sie sei amtsmüde.

Aber Merkel gibt sich weiter optimistisch. Sie konnte auf dem Deutschlandtag der Jungen Union am vergangenen Wochenende Stimmung für sich machen und ließ kürzlich durchblicken, dass sie beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg abermals kandidieren will. Das galt zuvor nicht unbedingt als gesetzt und ließ Raum für Spekulationen. Insofern werden Merkel-Kritiker bis zum Parteitag wohl nicht müde werden, vom Sehnen der CDU nach Erneuerung zu sprechen.

Spaltung der Gesellschaft

Wie angespannt die Lage ist, bezeugen auch Aussagen eines früheren engen Weggefährten Merkels, Norbert Röttgen. Im Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sprach der ehemalige Umweltminister und heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag von "der systemischen Müdigkeit der Demokratie" und machte deutlich, dass er allmählich ungeduldig wird: "Dass sich politisch etwas verändern muss, ist mit Händen zu greifen. Es passiert aber nichts."

Einen Schritt weiter geht Matthias Herdegen. Er spricht sogar von einer "Spaltung der Gesellschaft", die dringend überwunden werden müsse. "Wir haben die im Augenblick ungelöste Aufgabe, dass wir es nicht meistern, die Kräfte am rechten Rand des politischen Spektrums trockenzulegen." Die Folge sei, dass die AfD sich zur zweitstärksten Partei Deutschlands entwickele. Es gehe nun darum, einen politischen Kurs einzuschlagen, "der den Menschen den Eindruck gibt, dass man das ernst nimmt, was sie in ihrem täglichen Leben und in der langfristigen Perspektive auf ihre Zukunft bewegt."

Grenzen der Belastbarkeit überschritten

In diesem Zusammenhang kritisiert der Bonner Völkerrechtler eine Flüchtlingspolitik, in der nicht mehr zwischen Asylanspruch und Zuwanderungswunsch unterschieden, sondern eine Politik der offenen Grenzen praktiziert werde. "Unter den jetzigen Bedingungen einer planlosen Einwanderung haben wir die Grenzen der Belastbarkeit bereits überschritten." Herdegen sieht allerdings Potenzial für eine kluge, abgewogene Einwanderungspolitik und Einwanderungsgesetzgebung.

Im Umgang mit den Flüchtlingen ist Deutschland gespaltenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Voraussetzung sei ein Ende von Merkels "situativem Herumlavieren" und stattdessen die Entwicklung einer langfristigen Strategie, die grundsätzliche Fragen beantwortet, wie: "Wo wollen wir in der Einwanderungspolitik hin? Welche Gesellschaft haben wir? Wollen wir ein Modell wie die USA, wie Kanada oder wie die skandinavischen Länder haben? Was bedeutet das für die Leistungsfähigkeit unserer Sozialversicherungssysteme?" Mit diesen Fragen müsse man sich offensiv auseinandersetzen und die Einwanderungspolitik als eine Chance zur Politikgestaltung verstehen.

An Merkels Thron sägen

Herdegens Thesen und Forderungen werden das Herz von so manchen CDU-Delegierten höher schlagen lassen. Dass Merkel trotz ihrer Schwächephase der Parteivorsitz genommen werden kann, gilt nach derzeitiger Lage dennoch als ziemlich unwahrscheinlich. Dies dürfte sich klarer erst nach den Landtagswahlen in Bayern am 14. Oktober und zwei Wochen später in Hessen abzeichnen. Jüngste Umfragen bestätigen aber den Abwärtstrend der Union. Die CDU-Chefin blickt also in eine ungemütliche Zukunft.

Selbst bei einer Wiederwahl als Partei-Chefin würde sie jede Delegiertenstimme schmerzen, die an Herdegen und seine zwei Mitstreiter geht und so ihre Autorität bröckeln lässt. Eine Partei-Chefin auf Abruf, die zudem als Kanzlerin einer lahmenden und beim Wähler zunehmend ungeliebten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD vorsteht, das kann langfristig nicht gut gehen. Und so wird Herdegen Merkel zwar nicht vom Thron stoßen können - an ihrem Thron sägen aber allemal.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen