"Der Protest geht weiter"
14. Juli 2009Seit einem Monat war sie nicht mehr zuhause: Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat Teheran den Rücken gekehrt. Nicht, weil sie den Iran unbedingt verlassen wollte - schließlich lebt und arbeitet sie dort. Sondern weil sie auf die Situation in ihrem Land aufmerksam machen will.
Seit der Präsidentschaftswahl im Iran hält sich Shirin Ebadi in Europa auf. Erst zufällig, mittlerweile aber absichtlich. Denn je weniger Menschen sich in Teheran auf die Straße trauen, um gegen den offiziell verkündeten Wahlsieg von Präsident Mahmud Ahmadinedschad zu demonstrieren, desto lauter erhebt Shirin Ebadi ihre Stimme: "Man sollte den Protest nicht als beendet betrachten", sagt sie. "Der Protest hat einfach seine Form gewechselt."
Gewalt gegen die eigene Bevölkerung
Abends ab 22 Uhr steigen die Menschen auf die Dächer ihrer Häuser und rufen "Gott ist groß", erzählt Ebadi. "Das ist so etwas wie das Symbol des Protests." Mütter, die um ihre verhafteten oder verschollenen Kinder trauern, treffen sich jeden Samstag schwarz bekleidet im Park und machen Sitzstreiks, berichtet die Friedensnobelpreisträgerin. "Das ist eine Art von Protest, die anhält."
Dass es in Teheran keine Massendemonstrationen mehr gibt - das liege an der Brutalität, mit der das herrschende Regime gegen die Bevölkerung vorgeht, sagt Ebadi. Sie ist überzeugt, dass die Zahl der Opfer der jüngsten Proteste weit höher ist als offiziell angegeben. Die Zahl der Verhafteten sei ebenfalls sehr hoch. Auch zwei von Ebadis Weggefährten wurden festgenommen - Anwälte, die zum Verein zur Verteidigung der Menschenrechte gehören, dem Ebadi vorsitzt.
Forderung nach politischen Sanktionen
Sie selbst hat die Gewalt des Regimes bislang nur indirekt zu spüren bekommen: Einen Tag vor der Präsidentschaftswahl am 12. Juni 2009 war Shirin Ebadi zu einer Konferenz nach Spanien gereist. Als ihre Landsleute in Teheran auf die Straße gingen, um gegen das offiziell verkündete Ergebnis der Präsidentschaftswahl zu protestieren, entschloss sie sich, vorerst in Europa zu bleiben - in der Hoffnung, hier Unterstützung zu finden.
"Die westlichen Länder sollten eine Warnung an den Iran abgeben, dass es so nicht weitergehen kann, was die Menschenrechte betrifft", forderte Shirin Ebadi bei einer Pressekonferenz der Deutschen Welle in Bonn. "Wenn die iranische Regierung nicht einlenkt, dann sollte man politische Sanktionen durchsetzen. Mit politischen Sanktionen meine ich, dass man die Botschafter zurückruft - die diplomatischen Beziehungen nicht beendet, aber sie auf die Konsularebene reduziert."
Einsatz für Menschenrechte
Wenn alle europäischen Staaten an einem Strang ziehen, könne das Regime im Iran diskreditiert werden, meint Ebadi. Von wirtschaftlichen Sanktionen oder einer militärischen Intervention dagegen hält sie nichts. Beides gehe nur auf Kosten der Bevölkerung, schaffe neue Fronten und führe dazu, dass sich die Menschen im Iran mit ihrer Regierung solidarisierten. Die 62-jährige Juristin plädiert dafür, dass sich die europäischen Länder für Menschenrechte im Iran engagieren.
"Die Opposition, denke ich, glaubt, dass die westlichen Länder nur an ihre eigenen Interessen denken - und nicht so sehr die Demokratie und die Menschenrechte im Iran unterstützen", sagt Ebadi, die selbst hartnäckig für mehr Menschenrechte in ihrem Land kämpft. "In den letzten zwei Jahren hat der Westen Verhandlungen mit dem Iran nur über den Atomkonflikt geführt. Nicht ein einziges Mal waren Menschenrechte ein Thema. Es wurde nicht einmal protestiert, als die Firmen Siemens und Nokia diese Software zur Kontrolle der Kommunikation der Bürger untereinander an das iranische Regime verkauft hat."
"Beleidigung der iranischen Bürger"
Vor diesem Hintergrund ist für Shirin Ebadi die Behautung der iranischen Regierung umso absurder, westliche Medien hätten die Proteste im Iran angestachelt. "Das ist natürlich eine reine Lüge", sagt sie. "Und es ist eine Beleidigung der iranischen Bürger, die von sich aus sehr motiviert gegen diese Missstände auf die Straße gegangen sind."
In den vergangenen Wochen in Europa hat sich Shirin Ebadi dafür eingesetzt, dass eine Delegation der Vereinten Nationen nach Teheran entsandt wird, um die Vorfälle seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl zu untersuchen. Wenn die iranische Führung diese Delegation nicht einreisen lässt, dann sei das der Beweis, dass die Vorwürfe der Protestierenden der Wahrheit entsprechen, meint Shirin Ebadi.
Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Diana Hodali