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Politik

Tunesiens Ex-Präsident Ben Ali ist tot

Nils Naumann | Julia Elvers-Guyot
19. September 2019

Diktator, Menschenrechtsverletzter, Freund des Westens: Mehr als 20 Jahre stand Ben Ali an der Spitze Tunesiens. Dann kam der Arabische Frühling. Ben Ali war der erste arabische Potentat der abtreten musste.

Tunesien Ex-Präsident Zine El Abidine Ben Ali gestorben
Bild: Reuters/Z. Souissi

Der 17. Dezember 2010: Der Gemüseverkäufer Mohamed Bouazizi ist verzweifelt. Wie vielen Tunesiern geht es ihm wirtschaftlich schlecht. Die Behörden haben seine Waren beschlagnahmt. Bouazizi weiß nicht mehr weiter. Aus Protest zündet er sich selbst an. Bouazizis Schicksal treibt die Menschen in seiner Heimatstadt Sidi Bouzid auf die Straße. Die Polizei reagiert mit Repression. Vergeblich. Schnell breiten sich die Demonstrationen auf das ganze Land aus.

Zine el-Abidine Ben Ali, seit 1987 Präsident Tunesiens, weigert sich zunächst, auf die Demonstranten zuzugehen. "Diese Leute haben Regierungsgebäude angegriffen, staatliche Einrichtungen und auch unschuldige Bürger. Das sind Kriminelle und die können wir nicht tolerieren", erklärt Ben Ali bei einer Fernsehansprache am 10. Januar 2011. "Hinter diesen Unruhen stecken Leute, die unsere Jugend aufwiegeln und Lügen über die Regierung verbreiten."

Doch die Demonstranten lassen sich nicht einschüchtern. Am 13. Januar 2011 gibt sich Ben Ali schließlich verhandlungsbereit, stellt Reformen in Aussicht: "Ich habe eure politischen Forderungen verstanden. Deshalb verspreche ich uneingeschränkte Pressefreiheit, und auch das Internet wird nicht mehr blockiert." Außerdem kündigt Ben Ali an, nicht mehr als Präsident zu kandidieren. Doch es ist bereits zu spät. Ben Ali kann sich nicht mehr halten. Einen Tag später flieht er nach Saudi-Arabien. Mehr als 300 Menschen sollen beim Aufstand gegen Ben Ali getötet worden sein, die meisten von Sicherheitskräften des Regimes.

Tunesische Demonstranten tragen ein Foto von Mohamed BouaziziBild: picture-alliance/AP Photo/Salah Habibi

Dauerdiktator Ben Ali

Jahrzehnte hatte Ben Ali das politische Leben des Landes dominiert. Der Präsident war allgegenwärtig: Sein Foto hing in Amtsstuben, Cafes und Restaurants. Eine besonders wichtige Rolle im Ben-Ali-Kult spielte die Zahl 7. Ben Ali hatte die Macht an einem 7. November übernommen. Straßen, Plätze und der staatliche TV-Sender wurden nach diesem Datum benannt, die 0 am Beginn der tunesischen Telefonvorwahlen durch eine 7 ersetzt. "Ben à vie" - "lebenslänglich" - nannten die Tunesier ihren Dauer-Präsidenten spöttisch. Allerdings lange nur hinter vorgehaltener Hand.

Ben Ali wurde 1936 im tunesischen Hammam Susa geboren. Schon in jungen Jahren schloss er sich dem Unabhängigkeitskampf unter Führung von Habib Bourguiba an. Mehrmals wurde Ben Ali verhaftet und verbüßte Gefängnisstrafen. 1956 entließ Frankreich Tunesien in die Unabhängigkeit. Habib Bourguiba wurde erster Präsident des neuen Staates.

Ben Ali besuchte eine französische Militärakademie, erhielt eine Geheimdienstausbildung in den USA, machte eine steile Karriere. Von 1964 bis 1974 war er Chef des militärischen Sicherheitsdienstes, knüpfte enge Kontakte zur CIA. 1985 wurde er zum Minister für Innere Sicherheit ernannt, 1986 zum Innenminister, 1987 zum Regierungschef. Noch im selben Jahr putschte er - unblutig - Habib Bourguiba aus dem Präsidentenpalast.

Danach kündigte Ben Ali neue demokratische Freiheiten und eine Verfassungsreform an. Doch es blieb bei Lippenbekenntnissen. Eine ernsthafte Opposition ließ Ben Ali nie wirklich zu. Wahlen wurden manipuliert. 1989 erreichte Ben Ali bei der Präsidentschaftswahl 99,3 Prozent der Stimmen, 1994 sogar 99,9 Prozent, 1999 99,4 Prozent. Politische Gegner, vor allem die Islamisten, aber auch Demokratieaktivisten, wurden unterdrückt, verhaftet, gefoltert oder ins Exil getrieben. Die Presse zensiert. Den Westen hat es nie wirklich gestört - noch 2008 erklärte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, Tunesien mache Fortschritte bei der Beachtung der Menschenrechte.

Tunesier feiern den Jahrestag des UmsturzesBild: picture-alliance/dpa

Wirtschaftliche Modernisierung und Selbstbedienungsmentalität

In den 1990er Jahren versuchte Ben Ali, Tunesien wirtschaftlich zu modernisieren. Dabei folgte er den neoliberalen Modellen von Weltbank und Internationalem Währungsfond: Vorschriften für die Unternehmen wurden gelockert, Staatsbetriebe privatisiert. Manchen Beobachtern im Westen galt Tunesien deswegen gar als Musterland. Ben Ali förderte unter anderem die auf den Export ausgerichtete Textilindustrie und den Tourismus.

Bei den vom IWF geforderten Privatisierungen bediente sich allerdings vor allem der Clan von Ben Ali und seiner zweiten Frau Leila Trabelsi. Die Familie bekam günstige Kredite von staatlichen Banken. Damit kaufte sie Hotels, Immobilien, Telefonnetze und Fluglinien. Wer in Tunesien Geschäfte machen wollte, musste den Präsidenten-Clan mit zehn bis zwanzig Prozent beteiligen. Einmal kaufte Leila Trabelsi bei Dior in Paris einen Mantel für 30.000 Euro. Dior schickte die Rechnung an die tunesische Botschaft. Die aber reagierte nicht. Als Trabelsi und ihr Mann schließlich 2011 aus Tunesien flohen, sollen sie eineinhalb Tonnen Gold der Staatsbank mitgenommen haben.

Nach seiner Flucht wurde Ben Ali in Tunesien mehrmals in Abwesenheit verurteilt, unter anderem zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen des Todes von Demonstranten während der Revolution. Saudi-Arabien aber reagierte nicht auf die Auslieferungsgesuche der tunesischen Justiz. Und Ben Ali selbst wies die Verantwortung für die Toten der tunesischen Revolution immer zurück. Ben Ali starb in seinem Exil in Saudi-Arabien, geschützt vor der tunesischen Justiz. Er wurde 83 Jahre alt.