Hilft Singen gegen Stottern?
22. Oktober 2018Deutsche Welle: Frau Beckmann, Sie therapieren Stotterer. Wie können Sie ihnen denn helfen?
Dorothea Beckmann: Dazu gehört immer eine Desensibilisierung. Das heißt, sich gegen das unangenehme Gefühl des Stotterns abzuhärten, und das Stottern erst einmal zuzulassen.
Welche Schritte muss ein Stotterer dazu machen?
Der Stotternde spricht erst mal so wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wenn er spürt, dass er bei einem bestimmten Wort stottern muss, wendet er eine lokale Sprechtechnik an: Er versucht, das Wort mit wenig Druck, weich und leise zu beginnen. Das nennt man Pullout: Ich ziehe das Wort aus der Blockade heraus! Das muss man ziemlich lange üben. Dann gibt es noch das sogenannte Fluency Shaping. Dabei versucht der Stotternde, sein gesamtes Sprechen zu verändern. Er spricht langsamer und mit weicher Stimme, sodass jedes Wort ein bisschen länger wird.
Ähnlich flüssig wird der Redefluss ja auch beim Singen. Warum stottert man da nicht?
Singen hat immer einen bestimmten Rhythmus und auch Betonungen. Beim Singen halten Sie die Stimme durchgängig in Schwingung. Beim Sprechen dagegen machen wir immer ganz kurze Pausen zwischen den Wörtern. Beim Singen hat man diese Pausen nicht. Da fließen die Wörter ineinander. Diese durchgängige Schwingung der Stimmbänder trägt dazu bei, dass man nicht stottert.
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Was passiert beim Stottern im Gehirn?
In dem Moment, in dem man stottert, sendet das Gehirn falsche Impulse an die Sprechorgane, an die Stimmbänder oder an die Zunge oder die Lippen. Durch die falschen Signale verheddert sich die Sprechmotorik kurzzeitig oder blockiert. Derjenige kann dann für einen kurzen Moment gar nicht sprechen. Die Lippen sind fest aufeinander gepresst und geben das Wort nicht frei. Es entsteht eine kurze Pause. Man hat eine Art Spasmus in den Lippen. Die Sprechorgane verkrampfen sich kurzzeitig.
Gibt es bildgebende Verfahren, die das Stottern sichtbar machen können?
Mittels Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) konnte man feststellen, dass im Moment des Stotterns andere Hirnareale aktiv sind als bei flüssig sprechenden Menschen. Im Moment des Stotterns sind im MRT in der rechten Gehirnhälfte Aktivitäten sichtbar, die da eigentlich nicht hingehören. Unsere Sprachzentren liegen in der linken Gehirnhälfte.
Es gibt berühmte Persönlichkeiten, die stottern. Bruce Willis zum Beispiel. Aber man merkt es ihm nicht an?
Als Schauspieler muss ich mich ja immer ein bisschen verstellen. Das ist es für Stotternde eher leicht. Sie kommen in einen besseren Fluss, wenn sie nicht als sie selbst sprechen. Es gibt einige stotternde Schauspieler, beispielsweise Marilyn Monroe oder Rowan Atkinson, der allerdings in seinen Rollen fast nie spricht. Aber er ist Stotterer.
In welchem Alter beginnt das Stottern?
Stotternde kommen quasi schon als Stotterer zur Welt, mit der Veranlagung, dass sie stottern werden. Es ist genetisch bedingt. Oftmals finden sich in der Familie von stotternden Menschen auch weitere Stotternde. Es hat also eine genetische Komponente, die im Gehirn verankert ist. Dazu kommen dann manchmal auch noch psychogene Faktoren oder psychische Auslöser, die das Ganze noch verstärken.
Welche Ratschläge können Sie Betroffenen geben?
Es ist wirklich wichtig, sich nicht zu schämen, sich nicht zu verstecken, über das Stottern zu sprechen, es nicht zu tabuisieren. Sie sollten auf Leute zugehen und zu sagen "Hey, ich stottere, aber es macht mir nichts, und dir sollte das auch nichts ausmachen." Das ist ähnlich wie wenn ich sage: "Ich bin kurzsichtig, und ich brauche eine Brille." Das ist nichts, wofür ich mich schämen muss. Es ist wichtig, sich abzuhärten und zu sagen: "Na, und? Macht doch nix. Ich stottere halt. Du hast rote Haare und du schielst, und ich stottere. Basta."
Dorothea Beckmann ist Logopädin in Münster und selbst Stotterin.
Das Interview führte Gudrun Heise.