1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Glaube

Der Sämann

20. Oktober 2017

„Was treibt mich an in meinem Wirken?“ Das Bild des Sämanns regt Dr. Ute Stenert von der katholischen Kirche zum Nachdenken über das eigene Tun und Unterlassen an: „Was ist mir ein Herzensanliegen?“

Kreuz Grabstein Sämann
Kreuz Grabstein Sämann
Grabstein auf dem Friedhof von Kloster Marienthal bei Hamminkeln. Foto: Ute StenertBild: Ute Stenert

Der Wind pfeift, hier und da sind ein paar Krähen zu hören. Der Himmel ist klar, nur vereinzelt zeigen sich ein paar Wolken am Firmament. Herrlich, diese Stille hier. Langsamen Schrittes nähere ich mich der Klosterkirche Marienthal. Das Karmeliterkloster liegt am rechten Niederrhein, unweit der Stadt Wesel. Wälder und Wiesen prägen diese Landschaft, dazu einige alte Bauernhäuser.

Die kleine Klosterkirche ist umgeben von einem beeindruckenden Friedhof. Die Grabmäler hier verkünden mit zahlreichen Symbolen der Auferstehung die Botschaft der Hoffnung. Gedankenvoll verweile ich an einem Grabstein: er zeigt einen aus einem Steinkreuz heraus gemeißelten Sämann.

Behutsam, achtsam und gezielt

Mir imponiert die Haltung des Sämanns. Er geht nicht aufrecht und hastend über den Acker. Er streut nicht wahllos das Saatgut. Im Gegenteil: Mit behutsamen Schritt neigt er sich zur Erde, die rechte Hand zeigt dabei halbschräg nach unten. Achtsam und gezielt streut er das Korn aus seiner Hand auf den Boden. Er krümmt sich, macht sich klein. Er beugt seinen Rücken, dienend, ja ehrfürchtig. 

Das Saatgut hält er mit der linken Hand sicher und geborgen. Fest an seinen Körper, dicht an sein Herz hat er es gedrückt. Kein Korn soll verloren gehen. Das Saatgut ist ganz nahe bei ihm. Es ist von ihm umschlungen. Mit allen Sinnen konzentriert sich der Sämann auf die Saat. So ist auch sein Ohr auf das fruchtbringende Gut gerichtet, als ob er genau hinhört. Was der Sämann ausstreut, kommt aus ihm, ist ein Stück von ihm. Oder anders gesagt: was er aussät, liegt ihm am Herzen. 

Das Bild vom Sämann ist auch ein Gleichnis für unser Leben. Was ist mir wichtig? Was ist mir ein Herzensanliegen? Für wen setze ich mich ein? Auf wen habe ich ein wachsames Auge?

Bild: picture-alliance/blickwinkel/A. Jagel

Mit unserem Tun oder Unterlassen, säen auch wir etwas aus. Wir streuen etwas von unserem Wirken in das Leben unserer Mitmenschen. Einiges geht dabei auf, längst aber nicht alles, was wir gegeben haben. Jeder von uns kennt das. Manches von dem, was wir säen – bei anderen, auch bei uns selbst – will einfach nicht aufgeben. Nicht alles ist eben bester Weizen. Auch Spreu ist dabei. Manchmal ist der Boden zugepflastert, überwuchert oder spröde: was auch immer wir tun, es will einfach nicht fruchten. Das macht uns bisweilen ratlos, vielleicht auch wütend. Oftmals sind wir dann geneigt, rasch aufzugeben. Warum sollen wir auch weiter machen, es hat ja doch keinen Sinn?

Ein Blick auf den Sämann, der in sich ruhend vorangeht, zeigt uns aber: Nein, eben nicht aufgeben! Unbeirrt seinen Weg fortsetzen! Weiter seine Saat verteilen. Aber nicht irgendwie, nicht aus einer Verpflichtung heraus, sondern mit Freude.

Mitten durchs Kreuz

Zufall, so sagt es Karmeliterpater Martin Segers1, ist es gewiss nicht: Der Sämann auf dem Grabstein geht mitten durch das Kreuz. Es ist das Symbol der Zuwendung, der Hingabe, des Aufopferns. Auch dies ist ein Appell an uns: großzügig mit Gesten, Worten und Taten säen. Ja, richtig ist das gewiss. Aber auch nicht immer so leicht, denke ich.

Und doch: letztlich überzeugt mich das Bild des Sämanns. Er freut sich über das, was aufgeht und Früchte trägt. Wie ist es eigentlich bei mir? Was treibt mich an in meinem Wirken? Was macht mich hoffnungsvoll und zuversichtlich? Vielleicht auch über das irdische Leben hinaus?

Bei längerer Betrachtung des Sämanns wird mir eines bewusst: die Figur verweist auch auf eine höhere Ebene. Im Bild des Sämanns lautet die zentrale Botschaft: „Hier wird gesät – zum letzten Mal. Was hier gesät wird, stirbt; seine gegenwärtige Gestalt löst sich auf. Aber sie verwandelt sich in ein neues, verklärtes Leben“2, schreibt Pater Martin. So verheißt es auch das Gleichnis vom Weizenkorn (Joh 12,24).

Jeden Tag werden wir ins ewige Leben als Saat gestreut – mit alldem, was unseren Alltag ausmacht, Gutes und Schlechtes. Dabei vertrauen wir, dass Gott, der Herr der Ernte ist – ein Sämann, dem wir uns hoffnungsvoll zuwenden: „In deine Hände lege ich mein Leben“ (Ps 31).

1 Vgl. Martin Segers: Der Friedhof an der Klosterkirche Marienthal. Regensburg 2003, S.80 f.
2 Ebd., S. 81.

 

Bild: Ute Stenert

Zur Autorin: Dr. Ute Stenert, Jahrgang 1971, ist Rundfunkbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Seit über 20 Jahren ist sie freie Autorin für unterschiedliche Medien tätig.