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Der Schatten der Securitate

21. September 2010

Büchner-Preisträger Oskar Pastior hat in den 60er Jahren für den rumänischen Geheimdienst gearbeitet. Offenbar war er dort nur eine "marginale Erscheinung". Dennoch: ein Schock für die Literaturwelt.

Oskar Pastior im Jahr 2002 (Foto: dpa)
Bild: PA/dpa

Noch kurz vor seinem Tod im Jahr 2006 war ihm die höchste literarische Ehrung der Bundesrepublik, der Büchnerpreis, zugesprochen worden. Rund zwei Wochen vor der Verleihung aber starb Oskar Pastior. So ging der Preis posthum an den Lyriker und Sprachspieler, der von der Kritik gefeiert wurde für seine Wortakrobatik. Die Schriftstellerin Herta Müller machte Pastior weltberühmt, indem sie Teile seiner Lebensgeschichte für ihren mit dem Nobelpreis gekrönten Roman "Atemschaukel" verwendete. Nun aber liegt ein Schatten auf Pastiors Biographie. Von 1961 bis 1968 war er Informant des kommunistischen Geheimdienstes Securitate. Das entdeckte der Direktor des Instituts für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Stefan Sienerth

IM "Otto Stein"

Im Rahmen eines Projekts zur Aufarbeitung der Securitate-Akten ehemaliger rumäniendeutscher Autoren stieß Sienerth auf Pastiors Akte und schrieb einen Aufsatz über ihn wie über andere Autoren auch, erschienen in der neuesten Ausgabe der wissenschaftlichen Vierteljahresschrift "Spiegelungen". Dass daraufhin ein derartiges Medienecho entstehen würde, erstaunte Sienerth zunächst. Seine Verwunderung kann teilen, wer den Aufsatz liest. Dort ist die Rede davon, dass der spätere Büchnerpreisträger als IM "Otto Stein" für den rumänischen Geheimdienst tätig war. "Meinen Recherchen nach", so Sienerth, "hat er auch nichts unternommen, um die Zusammenarbeit zu kündigen." Allerdings war er nach jetzigem Erkenntnisstand - verglichen mit anderen Spitzeln – eine "marginale Erscheinung" bei der Securitate, "vorwiegend darauf bedacht, durch seine Berichte möglichst niemandem zu schaden".

Erst Wut, dann Trauer: Herta Müllers Reaktionen auf die Securitate-Mitarbeit ihres Freundes Oskar PastiorBild: WDR/Dirk Borm

Inkriminierendes habe er nur in einem einzigen Fall gefunden, sagt Sienerth, dem einer Bukarester Germanistin, die um Zustimmung zur atomaren Aufrüstung der Sowjetunion im Zusammenhang mit der Kuba-Krise gefragt worden sei. "Die hat diese Zustimmung verweigert, hat Pastior persönlich gesagt, dass sie gegen jede atomare Aufrüstung ist, ganz gleich ob in den USA oder der Sowjetunion. Das hat er weitergemeldet. Sie wurde dann aus dem Ministerium für Minderheiten, in dem sie tätig war, entfernt. Aber aus der Akte geht nicht hervor, dass das aufgrund der Anzeige von Pastior geschehen ist.“

Gefängnis oder Securitate

Warum Pastior damals den Anwerbungsversuchen der Securitate nicht zu widerstehen vermochte, mag sich aus seiner Lebensgeschichte erklären. 1949 kehrte er, gezeichnet von schwerer Zwangsarbeit, aus fünfjähriger Lagerhaft in der Sowjetunion nach Rumänien zurück. Er hatte über die Zeit im Lager Notizen als Gedächtnisstützen angefertigt - und einige Gedichte, die er im Freundeskreis vortrug. Auf diesem Wege muss die Securitate von ihnen Wind bekommen haben. Aber nicht nur diese "sowjetfeindlichen" Gedichte machten den jungen Pastior erpressbar, wie Sienerth erzählt: "Er war ja homosexuell, er war in Russland, er ist unter wahnsinnigen Druck geraten. Er stand vor der Alternative: entweder Gefängnis oder Mitarbeit bei der Securitate. Gefängnis hätte wahrscheinlich sieben Jahre bedeutet! Da war er so unter Druck, dass er wahrscheinlich zuletzt kapituliert hat.“

Rumänien: Späte Aufarbeitung der Geschichte

Pastiors Geschichte: Herta Müllers Roman 'Atemschaukel'

Erst im vergangenen Dezember hatte der renommierte rumäniendeutsche Lyriker und Übersetzer Werner Söllner zugegeben, in den 70er Jahren für die Securitate tätig gewesen zu sein. Ein spätes Bekenntnis, zwanzig Jahre nach der Revolution. In Rumänien aber hat die Aufarbeitung von Spitzel-Berichten viel später eingesetzt als dies mit den Stasi-Akten nach dem Untergang der DDR geschehen ist. Sienerth schätzt, dass sich die Aufarbeitung des Themas Securitate in der rumäniendeutschen Kulturszene etwa auf dem Stand befindet, auf dem die ehemalige DDR Anfang der 90er Jahre war: "Die Akten der Securitate sind sehr viel später zugänglich geworden, erst 2006. Pastior ist kurz danach gestorben, hatte also nicht mehr die Möglichkeit, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.“

Ekelkomplex Securitate

Oskar Pastior selbst hatte in privaten Aufzeichnungen die Securitate einen "ekelkomplex von einer institution" genannt, die nur darauf aus sei, "misstrauen und argwohn zu säen", "psychosomatisch angst und schrecken zu verursachen / kurzum uns nachträglich wieder einmal zu entmündigen". Genau das droht dem 2006 verstorbenen Poeten jetzt zu geschehen. in einem Interview sagte Oskar Pastior: "Wenn ich eine Botschaft hätte oder eine pädagogische Motivation, dann wäre es eben diese, die Leser, die Zuhörer hellhörig zu machen für Unterschiede. Eben damit sie nicht auf Schlagworte, Schlagzeilen, auf grobe, vorschnelle Verallgemeinerungen, die ihnen überall ringsherum angeboten werden, hereinfallen.“

Großes literarisches Werk

Worte, die wie gemünzt scheinen auf den "Fall Oskar Pastior", der keiner ist, so lange nicht wirklich Belastendes über ihn aus den Archiven zutage gefördert wird. Für Sienerth jedenfalls steht fest, dass Pastior einer der bedeutendsten und innovativsten deutschsprachigen Lyriker bleiben wird: "Andererseits gibt es jetzt diese Biographie, das gehört zu ihm, man sollte das nicht verschweigen. Aber man sollte doch daran denken, dass das eine Episode in seinem Leben war und er ein großes literarisches Werk geschaffen hat.“

Autor: Knut Cordsen

Redaktion: Aya Bach

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