Zankapfel
16. April 2010Die ägyptische Sinai-Halbinsel ist mit ihren 61.000 Quadratkilometern etwa dreimal so groß wie Israel und stellt eine Art geografischen Puffer dar zwischen diesem und dem Zentralgebiet Ägyptens. Seit über 50 Jahren ist der Sinai aber auch auf schicksalhafte Weise verstrickt in die wechselhafte Geschichte der israelisch-ägyptischen Beziehungen: Zweimal von Israel erobert (1956 und 1967) kehrte die Halbinsel immer wieder unter ägyptische Herrschaft zurück und sollte nach dem israelisch-ägyptischen Frieden von Camp David sogar zum Symbol des Friedens in Nahost werden. Ägypter, Israelis und internationale Touristen begannen, die Strände an ihrer Ostküste zu genießen und der Ort Sharm-el Sheikh – einst im Zentrum des Streits, der den Sechstagekrieg von 1967 auslöste – entwickelte sich zu einem Konferenzort, an dem wiederholt Friedenskonferenzen veranstaltet wurden.
Konferenzen allerdings, die ebenso wenig Erfolg hatten wie andere Konferenzen anderswo. Aber sie unterstrichen die erneute Führungsrolle Ägyptens in der Region, sie brachten internationale und auch israelische Politiker nach Sharm-el-Sheikh und erweckten den Eindruck, dass die Lage sich für die Region weitgehend entspannt und normalisiert hatte.
Normalisierung soll verhindert werden
Genau dieser Eindruck aber rief diejenigen auf den Plan, die an einer solchen Normalisierung nicht interessiert waren und sind. Zunächst einmal Beduinen des Sinai, die mit der Regierung in Kairo zerstritten waren und die mit – meist kleineren – Anschlägen versuchten, die "heile Welt" des Sinai zu zerstören, Touristen zu verschrecken und Kairo damit unter Druck zu setzen. Radikalere unter ihnen fanden bald Verbündete unter Palästinensern des Gazastreifens, der im Nordosten der Halbinsel angrenzt. Und mit der Zeit entdeckten auch Andere den strategischen Wert des Sinai: War diese schwer kontrollierbare Gegend immer schon ein Paradies für Schmuggler von Konsumgütern nach Ägypten gewesen, so entwickelte sie sich nun zum Schmuggelpfad für Waffen, Munition und Nachschub jeder Art für die Palästinenser im Gazastreifen. Das Schmuggelgut wurde oft bereits im Sudan an Land gebracht und dann von dort mit Karawanen durch den Sinai nach Gaza transportiert. Erst im Jahr 2009 nahmen ägyptische Sicherheitskräfte 50 Mitglieder einer der libanesischen Hisbollah nahestehenden Gruppe fest, die versucht hatte, Waffen nach Gaza zu bringen. Die Dunkelziffer der geglückten Lieferungen ist unbekannt.
Eine wichtige Rolle aber spielte immer schon der Sinai-Tourismus: Badegäste, Sporttaucher und Wüstenfahrer waren radikalen Gruppen ein Dorn um Auge. Besonders, wenn diese Touristen aus Israel kamen. Und sie kamen zu Zig-Tausenden. Denn während der langen israelischen Besatzung auf dem Sinai (von 1967 bis 1982) war die Gegend zum Lieblings-Urlaubsziel der Israelis geworden. Obwohl juristisch Ausland, war sie mit dem Auto zu erreichen und das ohne Reisesteuer und ohne Passkontrollen. Und es wurde fester Bestandteil des Friedens von Camp David, dass Israelis auch nach der Rückgabe des Sinai dort würden hinreisen können.
Trügerische Ruhe?
Lange schien alles gut zu gehen und das Konzept der Normalisierung sich zu bewähren. Im Jahr 2004 aber griffen plötzlich Selbstmord-Bomber ein Luxus-Hotel unweit des Haupt-Grenzübergangs nach Israel an und legten es in Schutt und Asche. 34 Menschen kamen dabei um, Hunderte wurden verletzt. 2005 folgte ein Anschlag in Sharm-el-Sheikh, bei dem 88 Menschen umkamen, wieder ein Jahr später folgte der Anschlag von Dahab, dem 20 Menschen zum Opfer fielen.
Die ägyptischen Sicherheitsvorkehrungen sind längst erheblich verschärft worden und wieder einmal schien es ruhig geworden auf dem Sinai. Auch die Israelis, die in der Folge der Anschläge weggeblieben waren, kehrten langsam wieder zurück. Zum jüdischern Osterfest in diesem Jahr in neuer Rekordzahl: 69.000 Israelis waren im Sinai – fast 40 Prozent mehr als im Vorjahr.
Touristenboom zu Pessach
Die meisten waren zum Ende der Feiertage bereits nach Hause zurückgekehrt, als am Dienstagabend plötzlich eine in dieser Art nie gehörte Warnung in Israel verbreitet wurde: Es gebe Anzeichen, dass militante Gruppen vor hätten, einen oder mehrere Israelis zu entführen und in den Gazastreifen zu verschleppen (wo seit Jahren der entführte Soldat Gilad Shalit auf seine Befreiung wartet). Von den noch rund 600 im Sinai verbliebenen Israelis reisten zwei Drittel sofort ab, der Rest störte sich nicht an der Warnung oder er hatte sie nicht gehört.
Schon nach Stunden wurde es still in Israel zu dem Thema, während ägyptische Stellen dementierten, dass es eine konkrete Gefährdung gegeben habe. Wie auch immer: Die Normalisierung auf der Sinai-Halbinsel hat wieder einmal einen Rückschlag erlitten.
Autor: Peter Philipp
Redaktion: Ina Rottscheidt