Der Spagat der libanesischen Regierung
20. März 2013Eigentlich galt der Libanon bisher als relativ sicher - trotz des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien. Doch die letzten Tage bedeuteten für das kleine Land am Mittelmeer ein stetiges Auf und Ab. Erst wurden vier sunnitische Geistliche in Beirut von einer Gruppe schiitischer Männer zusammengeschlagen. Daraufhin blockierten wütende Demonstranten mit Müllbehältern und brennenden Autoreifen die Straßen von Beirut. Und dann hat Syrien nach Angaben libanesischer Sicherheitskräfte mit Kampfjets Raketen auf die nordlibanesische Stadt Arsal abgefeuert, deren Einwohner die Rebellen unterstützen sollen, die gegen Diktator Baschar al-Assad kämpfen. Einem Bewohner zufolge trafen die Raketen unbewohntes Gebiet.
Die USA haben diese Angaben bestätigt. Es handele sich um eine "signifikante Eskalation" des Syrien-Konflikts, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Washington, Victoria Nuland. Damit habe die syrische Führung die Souveränität des libanesischen Staates verletzt. Im Libanon kam so etwas wie eine Untergangsstimmung auf. Der libanesische Innenminister Marwan Charbel sprach von "dunklen Wolken am Horizont". Armeechef General Jean Kahwaji sagte: "Der Libanon hat in den letzten Tagen die gefährlichste Sicherheitslage seit der Ermordung Rafik Hariris 2005 ertragen."
Sorge vor weiterer Eskalation
Die Bevölkerung des Libanon hat seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien Sorge davor, dass der Konflikt auf ihr Land übergreift. Denn der seit zwei Jahren währende Krieg in Syrien war zuletzt immer wieder über die Grenzen des Landes getragen worden. Zu einem grenzüberschreitenden Schusswechsel ist es nicht zum ersten Mal gekommen, Raketen waren bisher allerdings noch nicht auf libanesischem Territorium eingeschlagen. "Die libanesische Regierung hat bislang mit ziemlich großem Erfolg die Lage im eigenen Land stabil gehalten", sagt Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im Gespräch mit der DW.
Dabei sind beide Länder eng miteinander verbunden. Hunderttausende Syrer lebten bereits vor Beginn des Krieges als Gastarbeiter im Zedernstaat. Seither sind Hunderttausende Flüchtlinge hinzugekommen. Die libanesische Regierung geht insgesamt von einer Millionen Syrern im Land aus. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR hat derzeit über 360.000 syrische Flüchtlinge im Libanon registriert. Erst kürzlich verkündete der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati, dass es zwischen dem Libanon und Syrien keine Probleme gebe.
Gespaltenes Verhältnis zwischen Syrien und Libanon
Doch die libanesische Gesellschaft ist, wie auch die Politik, in der Syrien-Frage gespalten. Seit dem Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon 2005 hat sich das Land in zwei politische Lager aufgeteilt: Auf der einen Seite steht die oppositionelle "Bewegung des 14. März" von Ex-Ministerpräsident Saad Hariri. Sie gilt als pro-westlich und ist besonders seit der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri ein Gegner des syrischen Regimes.
Ihr gegenüber steht die "Bewegung des 8. März", die vor allem von der schiitischen Hisbollah getragen wird und eng mit dem Assad-Regime verbunden ist. Sie stellt derzeit auch die Regierung. Seit Beginn der Proteste in Syrien ist Libanons Ministerpräsident Mikati, der lange Zeit als Syrien-nah galt, darum bemüht, sich neutral zu zeigen. Einerseits schickte er kürzlich den libanesischen Außenminister nach Syrien, um den Kontakt zum Land zu halten. Der Libanon stimmte auch dagegen, als die Arabische Liga der syrischen Opposition in Aussicht stellte, den Sitz ihres Landes in der Organisation zu übernehmen. Auf der anderen Seite finanziert er mit seinem Budget den libanesischen Beitrag zum internationalen Prozess um den Mord an Hariri, bei dem auch Hisbollah-Mitglieder angeklagt sind. "Mikati hält dadurch in gewisser Weise das Innere stabil und versucht durchzuhalten, bis der Krieg dann vielleicht vorbei ist", sagt Nahost-Experte Perthes.
Drahtseilakt der Hisbollah
Die Politik des Landes werde allerdings überwiegend von der Hisbollah bestimmt, die bis heute sehr enge Kontakte zum Iran und zur syrischen Regierung unterhalte und offenbar schon Kämpfer nach Syrien geschickt habe, um das Regime zu unterstützen. Besonders der Iran, aber auch Syrien erwarteten aber eine noch größere Unterstützung des syrischen Regimes von der Hisbollah, sagt Perthes. "Die Hisbollah tut aber gerade das, was an der untersten Schwelle der Solidarität liegt." Denn ihre Basis erwarte, dass sie auch das eigene Land stabil halte. Zudem habe sie als Regierungspartei bei einem Übergreifen des Konflikts auf den Libanon viel zu verlieren.
Die Regierung im Libanon manövriert sich durch eine schwierige Lage: Sie demonstriert einerseits Verbundenheit mit dem syrischen Regime und gewährt andererseits den oppositionellen Rebellen im eigenen Land Unterschlupf. Dabei ist sie stets bemüht, die Stabilität des Landes nicht zu gefährden. Das ist nicht ganz einfach, denn die ethnisch-religiösen Konfliktlinien im Libanon sind teilweise identisch mit denen in Syrien: Das zeigt der Angriff auf die sunnitischen Geistlichen durch schiitische Schläger. Nahost-Experte Volker Perthes glaubt, dass die libanesische Regierung es auch in Zukunft schaffen wird, den Libanon ruhig zu halten: "Vielleicht ist die Ironie der Geschichte, dass die Präsenz der Hisbollah in der Regierung im Libanon eine stabilisierende Wirkung hat."