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60 Jahre Spiegel

Fabian Gartmann4. Januar 2007

Er war lange Zeit der Inbegriff des investigativen Journalismus und deckte Polit-Affären auf. Auch heute noch bestimmt der "Spiegel" oft genug die politische Diskussion - auch wenn die Kritik an ihm lauter geworden ist.

Das Titelblatt der ersten Ausgabe des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vom 4. Januar 1947
Das Titelblatt der ersten Ausgabe des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vom 4. Januar 1947

Am 4. Januar 1947 lag "Der Spiegel" zum ersten Mal in den Auslagen der deutschen Kioske. Meinungsmacher, Leitmedium, Skandalblatt - für die deutsche Medienlandschaft war der "Spiegel" immer mehr als nur ein Nachrichten-Magazin. Zu seinen besten Zeiten nannte man ihn das unabhängige Gewissen der Politik, dem kein Skandal entgeht. Und Skandale deckte er reichlich auf: Zu den größten gehörten wohl die Flick-Affäre - Millionenzahlungen des Flick-Konzerns an Politiker- , die Bespitzelungen und Intrigen Uwe Barschels gegen seinen politischen Gegner Björn Engholm oder auch die Verwicklung des Bundesnachrichtendienstes in Plutoniumgeschäfte.

Herausgeber und Chefredakteur der ersten Stunde: Rudolf AugsteinBild: AP

Der "Spiegel" war das Nachfolgeblatt des Magazins "Diese Woche", das vom britischen Presseoffizier John Chaloner gegründet worden war. "Diese Woche" wurde allerdings nach einem Jahr eingestellt, kritische Berichte über die alliierten Besatzer waren diesen ein Dorn im Auge. Nur Wochen später erschien "Der Spiegel", mit dem damals 23-jährigen Rudolf Augstein als Herausgeber und Chefredakteur. Er war durch seinen frechen Schreibstil beim Hannoverschen Nachrichtenblatt aufgefallen. Und so blieb die Tradition der kritischen Berichterstattung und wurde weiter verfestigt.

Spiegel-Affäre bringt den Durchbruch

1962 stand der "Spiegel" selbst im Zentrum einer Affäre: Das Magazin hatte Passagen aus einem geheimen Bundeswehrbericht über das Nato-Manöver "Fallex 62" veröffentlicht. Und das Ergebnis des Spiegel-Artikels - die Bundeswehr sei nur "bedingt abwehrbereit", wie das Blatt titelte. Tage später ließ die Bundesanwaltschaft die Redaktionsräume des Spiegels in Hamburg durchsuchen. Einige Redakteure - und auch Rudolf Augstein - wurden verhaftet. Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte im Parlament: "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat in unserem Lande."

In diesem "Spiegel" vom 10.10.1962 erschien der Artikel, der die so genannte Spiegel-Affäre auslösteBild: DHM

Die Ermittlungsmaßnahmen riefen massive Proteste in der deutschen Bevölkerung hervor, man sprach von einem Angriff auf die Pressefreiheit. Später stellte sich heraus, dass der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß die Ermittlungen und Festnahmen maßgeblich vorangetrieben hatte. Der Verdacht gegen die "Spiegel"-Redakteure wurde nie bestätigt, das Verfahren wurde fallengelassen. Strauß musste sein Mandat als Minister niederlegen und Kanzler Adenauer ging geschwächt aus der Affäre hervor.

"Rufer in der Wüste"

Der "Spiegel" allerdings profitierte. Die New York Times schrieb 1965, knapp drei Jahre später, in einem Bericht über den "Spiegel": "Der Spiegel ist ein Rufer in der Wüste, der Aufmerksamkeit verlangt, wenn nicht gar Respekt. Er ist nicht weniger als des Teufels Advocat im öffentlichen Leben der Bonner Republik." Der "Spiegel" hatte den Ruf des investigativen Nachrichten-Magazins, das seinen Vorbildern - der amerikanischen "Time" und der britischen "News Review" - entsprach.

Nach der "Spiegel-Affäre" wird Rudolf Augstein verhaftet und am 9.1.1963 vor Gericht geführtBild: AP

Aber nicht nur das. Die "Spiegel"-Affäre brachte den Durchbruch, die Auflage stieg - um 500.000 Exemplare in den kommenden Jahren. Herausgeber Rudolf Augstein sicherte sich und seinen Redakteuren die Freiheit in ihrem journalistischen Handeln. Diese Freiheit war für Augstein der Kern seiner publizistischen Arbeit: "Ich erinnere mich des Tages im Bundeshaus, an dem Konrad Adenauer und Kurt Schumacher mir beide nicht mehr die Hand gaben. Es war derselbe Tag und es war dieselbe Ausgabe des 'Spiegel', über die sich die beiden Herren geärgert hatten."

Eigene Themensetzung

Augstein machte den "Spiegel" zu dem, was er seit den 60er Jahren ist, - zu einem Leitmedium. Bis zu seinem Tod 2002 war der Name Augstein untrennbar mit dem "Spiegel" verbunden, auch wenn sich Augstein ab 1996 aus dem Redaktionsalltag zurückzog.

Der "Spiegel" wollte nie alle Themen, die in Deutschland diskutiert werden, spiegelbildlich darstellen, er wollte selbst Themen setzen. Hieb- und stichfest recherchierte Berichte, ergänzt durch die Einschätzungen der Redakteure, geschrieben im typischen, manchmal schludrigen, schnellen "Spiegel"-Stil. Im "Spiegel" durfte man erkennen, auf welcher Seite das Magazin stand: Im Zweifel eher links, wie Augstein einmal sagte.

Die Arbeitsweise des "Spiegel" erklärt der derzeitige Chefredakteur Stefan Aust so: "Das, was der 'Spiegel' hat, ist sozusagen ein Name, eine Tradition und einen sehr guten Apparat. Und wenn ich sage Apparat, dann meine ich diejenigen, die für dieses Blatt arbeiten. Und das sind diejenigen, die die Kontakte haben und die an die Informationen rankommen. Das ist gar kein großes Geheimnis."

Der Spiegel gerät in die Kritik

In den zurückliegenden Jahren geriet das Magazin zunehmend in die Kritik, nicht zuletzt wegen der Person Stefan Aust, den Augstein 1994 vom Moderatorenpult bei "Spiegel-TV" direkt in die Chefradaktion hob. Die Redakteure wehrten sich damals gegen ihn als Chefredakteur. In seinem Buch "Der Spiegel-Komplex" widmet sich der Publizist und ehemalige "Spiegel"-Wirtschaftsredakteur Oliver Gehrs ausgiebig der Kritik an Aust und seiner Unternehmenspolitik. Aust würde eines der Prinzipien - nicht mit den Mächtigen fraternisieren - brechen, so einer der Vorwürfe.

Genau das sei aber eine der wichtigsten Eigenschaften für den journalistischen Erfolg des "Spiegels", erklärt Hans Leyendecker. Der Journalist gilt in Deutschland als Inbegriff des investigativen Journalismus und war früher auch Chefreporter beim "Spiegel": "Viele Journalisten wollen mit den Herrschenden an einem Tisch sitzen. Man will gut gelitten sein. Oder man möchte schöne Hintergrundgeschichten schreiben, die jedenfalls dann auch bei den Adressaten, von denen sie kommen, gut ankommen. Der 'Spiegel' hat es sich eigentlich zur Übung gemacht, dass er keinen Wert darauf legte, bei Tische mit dabei zu sein und gemocht zu werden, sondern er verstand sich immer so als Stachel. Und das hat den 'Spiegel' auch groß gemacht."

Schlüssellochjournalismus

Mittlerweile werfen ihm Kritiker Schlüssellochjournalismus vor, der sich in unwichtigen Fakten verstricke. Viele bemängeln zudem, dass es keinen für sich stehenden Kommentar mehr gibt. Bis 1996 hatte es sich Rudolf Augstein nicht nehmen lassen, jede Woche ein Thema seiner Wahl ausführlich zu kommentieren.

Auch 60 Jahre nach seiner Ersterscheinung polarisiert der "Spiegel". Doch die Marketingmaschine des "Spiegels" verkauft viele Artikel schon so geschickt im Voraus, dass man jeden Montag die "ganze Wahrheit" lesen möchte. Auch wenn die letzten größeren Skandale, die der "Spiegel" enthüllt hat, schon Jahre zurück liegen.

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