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Politik

Der Sputnik-Spin

Thomas Brey
22. September 2021

Serbien ist in der Realität voll auf Westeuropa ausgerichtet - aber den meisten Serbinnen und Serben gilt Russland als engster Partner im Ausland. Dafür sorgen russische Staatsmedien wie das Nachrichtenportal Sputnik.

Russland Sputnik-Nachrichtenagentur
Blick in den Sputnik-Newsroom in MoskauBild: Getty Images/AFP/M. Antonov

Die Bevölkerungsmehrheit in Serbien meint, Russland und China seien die wichtigsten Wirtschaftspartner ihres Landes. Im wirklichen Leben aber wickelt Serbien mehr als zwei Drittel seines Außenhandels mit der Europäischen Union ab. Und auch die mit Abstand meisten ausländischen Investitionen stammen aus Westeuropa.

Obwohl hunderttausende Serben in EU-Ländern arbeiten, studieren und leben - in Russland oder China aber nur sehr wenige - sehen viele serbische Bürgerinnen und Bürger in Moskau und Peking die engsten Freunde ihrer Heimat, während sie von der EU oft nichts Gutes erwarten. Wie ist diese Kluft zwischen russophilen Gefühlen und der Realität möglich?

Die Antwort auf diese Frage liegt im Einfluss russischer Staatsmedien auf die serbische Medienlandschaft und die öffentliche Meinung nicht nur in Serbien, sondern in der gesamten Westbalkan-Region. Vor allem die serbische Ausgabe des russischen staatlichen Nachrichtenportals und Radiosenders Sputnik zeichnet tagtäglich ein Bild der internationalen Lage, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.

Laut Sputnik sind Westeuropa und die USA dem Untergang geweiht, während Länder wie Russland und China weltweit zu immer mehr Einfluss gelangen. Das liegt nach Überzeugung des russischen Medienproviders für das Ausland daran, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme in diesen Ländern denen im Westen haushoch überlegen sind.

Kostenloser "Content" aus Moskau

Diese Sicht der Welt wird jahrein-jahraus von Sputnik präsentiert - und von sehr vielen serbischen Redaktionen eins zu eins ohne jede Einordnung übernommen. Denn nicht nur in Serbien leiden die Medien an chronischem Geldmangel. So sind die kostenlosen Sputnik-Berichte in serbischer Sprache hochwillkommen. Allmählich lassen diese Berichte bei den Bürgern ein Bild der Welt entstehen, das eher virtuell als real ist.

Schild am Eingang zur deutschen RT-Redaktion in Berlin-AdlershofBild: Sascha Steinach/imago images

Viele Politiker auf dem Westbalkan sehen mit Wohlwollen auf das Material russischer Staatsmedien - neben Sputnik zum Beispiel auch RT (bis 2009 Russia Today). Denn das dort präsentierte gesellschaftspolitische Wertesystem entspricht den eigenen politischen Idealen: Der Staat, der von mächtigen Spitzenpolitikern geführt wird, spielt in allen Bereichen die dominante Rolle.

"System Putin" als Alternative zur Krise des Westens

Das "System Putin" diente und dient offensichtlich vielen Politikern in Südosteuropa als Vorbild, zum Beispiel Viktor Orban (Ungarn), Nikola Gruevski (Nordmazedonien), Bakir Izetbegovic und Milorad Dodik (Bosnien und Herzegowina), Janez Jansa (Slowenien) oder Aleksandar Vucic (Serbien) haben offen oder indirekt immer wieder ihre Bewunderung für Russlands Präsidenten ausgedrückt.

Russlands Präsident Wladimir PutinBild: Mikhail Voskresensky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Von den westlichen Ländern zeichnen die russischen Staatsmedien in den Balkanstaaten ein Bild in dunkelsten Farben: Der Kapitalismus stehe vor dem Zusammenbruch. Die Börsen würden auf einen Crash zusteuern. Breite Teile der Bevölkerung seien verarmt. Die Mehrheit habe das Vertrauen in das westliche System sowie in seine Politiker und Medien verloren. In Russland und China dagegen blühe die Wirtschaft, dort seien durch und durch zufriedene und wohlhabende Gesellschaften geschaffen worden, die ihrem politischen Spitzenpersonal daher dankbar sind.

Die Sputnik-Matrix

Die Dauerbeschallung hat dazu geführt, dass serbische Medien im vergangenen Jahr über die USA und die EU mit Abstand häufiger negativ als positiv berichtet haben. Russland und China dagegen werden mit positiven Beiträgen in den Himmel gehoben. Kritische oder gar negative Berichte gibt es kaum. Die Sputnik-Beiträge behaupten als Dauerthema, Serbien habe von der EU und den USA nur Schlechtes zu erwarten. In der Folge tauchen in den Boulevardzeitungen regelmäßig Titelgeschichten auf, die von angeblichen Bestrebungen des Westens berichten, den serbischen Staatspräsidenten Vucic zu entmachten.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic (r.) mit Angela Merkel in Belgrad am 13.09.2021Bild: Oliver Bunic/AFP/Getty Images

Warum aber sollte der Westen Vucic ablösen wollen, wo doch sowohl Brüssel als auch Washington in ihm den wichtigsten Partner für die angestrebten Reformen in Serbien und der Westbalkan-Region sehen? Die Sputnik-Matrix ist klar: Es gibt keine Trennung von Nachricht und Kommentar. Quellen werden sehr selektiv genutzt. Eine erschöpfende Information wird nicht angestrebt. Vielmehr soll die Berichterstattung dokumentieren und beweisen, dass Moskaus Auffassung von der Welt richtig ist.

Daneben werden die nationalen Streitigkeiten auf der Balkanhalbinsel befeuert, wobei Sputnik sich bedingungslos auf die serbische Seite stellt. Seit vielen Jahren bemüht sich Russland, die Integration des Balkans in euroatlantische Strukturen zu verhindern. Nachdem Moskau durch die NATO-Beitritte Montenegros und Nordmazedoniens Niederlagen einstecken musste, konzentriert sich sein Bemühen jetzt auf Serbien und die Serben in Bosnien und Herzegowina.

Obwohl die EU Serbien und die anderen Westbalkanländer mit vielen Milliarden Euro unterstützt und dort mit einem Heer an Diplomaten und Experten präsent ist, hat sie dem mächtigen russischen Propagandaapparat fast nichts entgegenzusetzen. Wenn Brüssel auch in Zukunft nichts unternimmt, die eigenen Leistungen stärker ins Bewusstsein der serbischen Bevölkerung zu transportieren und die Vorteile einer Westbindung herauszustreichen, kämpft die EU dort auf verlorenem Posten. Denn Moskau hat mit seinen medialen Soft-Power-Instrumenten die Herzen der Serben längst erobert.

 

Thomas Brey war lange Jahre Balkankorrespondent der Deutschen Presse-Agentur dpa und lehrt heute an deutschen Universitäten zu Problemen Südosteuropas. Im August 2021 erschien seine Studie "Russische Medien auf dem Balkan" auf Deutsch und Serbisch.

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