Der Staat öffnet wegen Corona die Kassen
25. März 2020Die Bundeskanzlerin zuhause in Quarantäne, das Parlament auf ein Mindestmaß reduziert und mit Sicherheitsabstand auf das gesamte Plenum verteilt, Wasser aus Einwegbechern für die Redner, die Desinfektion des Pultes bei jedem Rednerwechsel, Ein- und Ausgangstüren zum Plenum, die nur in einer Richtung benutzt werden durften - so vieles war anders im Deutschen Bundestag an diesem wohl als historisch zu bezeichnenden 25. März 2020. "Wir sind uns fraktionsübergreifend einig, die Handlungsfähigkeit des Verfassungsorgans unter allen Umständen zu wahren und gleichzeitig das Infektionsrisiko so weit wie möglich zu minimieren", so Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Beginn der auf einen Tag reduzierten Sitzungswoche.
Ein ähnliches Bild bot zeitgleich der Bundesrat, das Plenum der Bundesländer, das ein paar Straßen weiter in einer Sondersitzung grünes Licht geben musste, damit der Bundestag überhaupt Änderungen im Haushalt vornehmen konnte. Aus jedem Bundesland war nur ein Vertreter nach Berlin gekommen, das war das rechtlich zwingende Minimum. Zwei Minuten nur dauerte die Abstimmung, dann wurde auf eine zweite Sondersitzung am Freitag vertagt. Ohne die könnte das Geld gar nicht fließen, das der Bund zur Bekämpfung der Corona-Krise zur Verfügung stellen will.
Gigantische Summen
600 Milliarden Euro soll ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds umfassen, der als Schutzschirm für größere Firmen wirken soll. Der Staat will in großem Umfang Garantien geben und notfalls wichtige Unternehmen ganz oder zum Teil verstaatlichen. Wenn die Krise vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert werden. Für kleinere Unternehmen mit nur fünf, zehn oder fünfzehn Mitarbeitern sind Finanzzuschüsse vorgesehen, die später nicht zurückgezahlt werden müssen.
Da die notwendigen Summen nicht aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden können, muss der Bund einen Kredit aufnehmen. 156 Milliarden Euro neue Schulden sieht Bundesfinanzminister Olaf Scholz zunächst vor. "Das ist eine gigantische Summe, fast die Hälfte unseres normalen Haushalts." Rechtlich ist das wegen der seit ein paar Jahren geltenden Schuldenbremse eigentlich gar nicht möglich. Deshalb musste der Bundestag die Schuldenbremse erst einmal aussetzen.
Viele haben ein mulmiges Gefühl
Die Bundesregierung habe in den letzten Jahren gut gewirtschaftet, so Scholz, deswegen sei ein finanzielles Polster vorhanden. "Wir können uns das leisten, außerdem besitzt Deutschland höchste Bonität an den Finanzmärkten." Das Geld werde in dieser außergewöhnlichen Notsituation gebraucht, um sich "mit aller Kraft gegen die Folgen der Krise stemmen zu können". Eine Meinung, die im Parlament eine deutliche Mehrheit fand, und doch haben viele Abgeordnete auch ein mulmiges Gefühl. Denn sie wissen, dass die Ausgabenflut Folgen haben wird.
Nach der Krise wird gespart werden müssen, so viel ist klar. "Wir werden diese Schulden zurückzahlen, wenn diese Krise vorbei ist", verspricht der stellvertretende Fraktionsvorsitze der Unionsfraktion, Andreas Jung. "Der Verantwortung für morgen müssen wir gerecht werden." Die Politiker müssten ehrlich zugeben, dass sie jetzt auch Fehler machen würden, fordert die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. "Machen wir alles richtig? Wir wissen es nicht, weil wir noch nicht alle Antworten haben."
Wie lange kann der Stillstand dauern
Damit sind auch die Eingriffe in die Freiheits- und Eigentumsrechte der Bürger gemeint. Wie lange kann man ein Land zum Stillstand bringen, ohne dass es völlig zusammenbricht? 300 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Monat könne "der Staat nicht mal eben so ersetzen", kritisierte der AfD-Abgeordnete Peter Boehringer im Bundestag. "Was ist das Gesamtkonzept? Über welchen Zeitraum reden wir?" Der Shutdown wirke wie Morphium, das bei zu langer Gabe den Patienten schwer schädigen werde.
Eine "Exit-Strategie" fordert auch FDP-Chef Christian Lindner, der aber gleichzeitig betont, dass seine Partei alle getroffenen Maßnahmen mittrage. Regierung und Opposition trügen in diesen Zeiten eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung, nämlich, Schaden vom deutschen Volk und der Bevölkerung abzuwenden. "Ich denke momentan eher an meine Oma als an Statistiken", so Lindner.
Abwarten und die Lage beobachten
Aus dem Bundesgesundheitsministerium hieß es, man werde, wie geplant nach Ostern die Lage neu bewerten. "Wir erleben eine leichte Abflachung der Infektionskurve", sagte ein Ministeriumssprecher. Dies sei jedoch noch kein Grund, Entwarnung zu geben. Deutschland stehe noch am Anfang der Epidemie. Niemand könne sagen, wie sich die Lage entwickle.
Im Parlament wurden derweil im Eiltempo die zusätzlich zum Wirtschaftsstabilisierungsfonds und zur Neuverschuldung geplanten Gesetzesvorhaben verabschiedet. Änderungen im Mietrecht sollen bewirken, dass niemandem gekündigt werden kann, wenn er durch die Corona-Krise seine Miete nicht mehr bezahlen kann. Die Grundsicherung für Bedürftige wird ausgeweitet, Steuern und Sozialabgaben können vorübergehend gestundet werden. "Niemand soll sich Sorgen um seine Wohnung und seine Gesundheit machen müssen", verspricht der Bundesfinanzminister.
Schnell und unbürokratisch helfen
Im Wirtschaftsministerium arbeitet man unterdessen daran, dass alle versprochenen Finanzhilfen nun schnell ihre Adressaten finden. "Jeder soll bis Ende der Woche wissen, an wen er sich wenden muss, um Hilfen zu beantragen", kündigt Wirtschaftsminister Peter Altmaier an. Die Bundesländer hätten bereits damit begonnen, Gelder an kleine und mittlere Unternehmen auszuzahlen. Auf diesem Weg würden auch die Bundesgelder in ein paar Tagen fließen.
Am späten Nachmittag machten sich die Parlamentarier auf den Weg zurück nach Hause. Zuvor wurden noch Vorkehrungen getroffen, um den Bundestag in den nächsten Monaten beschlussfähig zu halten. Normalerweise muss dafür die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein, nun soll vorübergehend ein Viertel ausreichen. Reduziert wurde auch die Besetzung in den Ausschüssen, in denen außerdem Videoschalten möglich sein sollen. Diese Vereinbarungen, die auch dem Infektionsschutz dienen sollen, sind bis Ende September gültig, können aber, wenn das möglich sein wird, vorher aufgehoben werden.