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Politik

Der Staat, der Ermittler und die Mafia

14. Dezember 2018

Seit dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak ist das Vertrauen der Slowaken in ihren Staatsapparat auf einem Tiefpunkt. Ein ehemaliger Kriminalkommissar berichtet erstmals von Verbindungen zwischen Polizei und Mafia.

Bratislava Gedenkmarsch nach Mord an Journalisten
Wut und Fragen: Gedenkmarsch nach Mord an Journalisten in BratislavaBild: picture-alliance/AP/B. Engler

Die Frau und der kleine Junge sind zur falschen Zeit im falschen Auto. Henrieta Brestovanska fährt den blauen VW Passat ihres Freundes Juraj Gál, hinten sitzt Richard, der Sohn von Gál. Eigentlich will der Mörder Juraj Gál exekutieren, einen ehemaligen Polizisten, es geht um Abrechnungen im Mafia-Milieu. Doch Gál ist nicht im Auto. Die Schüsse aus dem Maschinengewehr treffen seine Freundin Henrieta, 30, und seinen Sohn Richard, 9 - irrtümlich.

Most pri Bratislave, ein Vorort der slowakischen Hauptstadt, am 29. Dezember 2004: Der Mord an Henrieta Brestovanska und dem kleinen Richard ist als einer der berüchtigsten Fälle in die Geschichte des postkommunistischen organisierten Verbrechens in der Slowakei eingegangen. Vor allem, weil der Mörder die Falschen erschoss. Aber auch, weil es um staatliches Versagen und wohl auch um staatliche Verwicklung geht: Den Fall haben Ermittler zwar längst aufgeklärt. Doch das Urteil gegen den mutmaßlichen Mörder, der wegen anderer Morde bereits zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde, ist bis heute nicht gesprochen. Den mutmaßlichen Hauptauftraggeber des Mordes ließen slowakische Behörden entkommen. Er steht seit Jahren unter Anklage, hält sich aber seit 2012 in Belize auf, ohne ausgeliefert zu werden.

Verbindungen des Staates zur Mafia

Wenn Ivan Chovan heute über den Mord in Most pri Bratislave spricht, dann kommt er schnell zu einer Schlussfolgerung. "Dieser Fall illustriert", sagt der Kriminalkommissar a.D., "dass es zwischen der Polizei und dem organisierten Verbrechen, zwischen den staatlichen Institutionen und der Mafia Verbindungen gibt. Das ist in unserem Land kein Einzelfall, sondern bis heute verbreitet."

Die Polizei in der Slowakei genießt kein Vertrauen mehrBild: picture-alliance/dpa/J.Koller

Ivan Chovan, 47, war einer der leitenden Ermittler im Mordfall in Most pri Bratislave. Nach Schikanen und Versetzungen quittierte er 2012 den Polizeidienst. Es ist eine Ausnahme in der Slowakei, dass ehemalige oder noch tätige mittlere Beamte wie er offen über ihre Unzufriedenheit mit der Führung in Polizei, Justiz oder Staatsverwaltung reden. Chovan erzählt jetzt erstmals öffentlich seine Geschichte. Er spricht dabei nur aus, was die meisten Menschen im Land denken, einschließlich vieler seiner Kollegen: Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Staatsapparat ist äußerst niedrig und nach dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar dieses Jahres auf einen Tiefpunkt gesunken.

Darüber äußerte sich kürzlich zum wiederholten Mal kein Geringerer als der Staatspräsident Andrej Kiska: Nachdem die Polizei vier Tatverdächtige im Mordfall Kuciak verhaftet hatte, sagte Kiska, das sei zwar ein Erfolg, dennoch müsse die Polizei noch sehr viel tun, um verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Vor allem, so der Staatspräsident, müssten viele alte Fälle endlich zum Abschluss gebracht werden.

Hinauszögern, vertuschen

So wie der Mordfall von Most pri Bratislave. Ivan Chovan und seine Mitarbeiter in der Mordkommission ermittelten mehr als zwei Jahre. Sie konnten Branislav Adamco als Mörder dingfest machen, einen für seine besondere Brutalität bekannten Anführer einer Gruppe von Schwerkriminellen aus der Südostslowakei. Adamco ist wegen mehrfachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Doch ein rechtskräftiges Urteil im Prozess um die Morde in Most pri Bratislave ist nach 14 Jahren noch immer nicht gesprochen.

Mutmaßlicher Hauptauftraggeber soll Karol Mello sein, ebenfalls eine seit mehr als zwei Jahrzehnten berüchtigte Figur der slowakischen Unterwelt, dem vier Morde und zahlreiche andere Straftaten zur Last gelegt werden. Mello wurde 2010 nach einer mehrjährigen Flucht verhaftet, im Jahr darauf jedoch überraschend freigelassen. Kurze Zeit später flüchtete er in den mittelamerikanischen Staat Belize und lebt seitdem dort.

Auslieferungsgesuche der Slowakei scheiterten bisher. Die Mutter des ermordeten Richard, Jana Heldová und ihr jetziger Mann, Maros Held, vermutet gegenüber der Deutschen Welle, es bestehe offenbar kein Interesse an Mellos Auslieferung, da er womöglich zuviel über hohe slowakische Beamte und Politiker wisse.

Unverholene Drohungen

Beweisen lässt sich das bisher nicht, wie auch Heldová und ihr Mann zugeben. Doch es gäbe Indizien. Und die führen unter anderem zu einem Mann namens Boris Drevenák. Er war lange Zeit Spitzenbeamter in einer Polizei-Sondereinheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und während der Ermittlungen zum Mordfall Most pri Bratislave auch Vorgesetzter von Ivan Chovan. Der ehemalige Kriminalkommissar berichtet, dass sein Chef ihm mehrfach angedeutet habe, nicht weiter zu ermitteln. Als er sich widersetzt habe, so Chovan, seien ihm Disziplinarverfahren angehängt worden. Auch seiner Frau, die in einem Textilbetrieb arbeitete, sei signalisiert worden, es wäre besser für ihren Mann, wenn er aufhöre, im Mordfall Most pri Bratislave zu ermitteln.

Eine Anfrage der Deutschen Welle dazu lässt die slowakische Polizei auch nach mehreren Wochen unbeantwortet. Fest steht: Drevenák wurde im August 2016 verhaftet, derzeit läuft gegen ihn ein Prozess wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Mafia. Der schwerste Anklagepunkt: Er soll einen unter Polizeischutz stehenden Kronzeugen in einem Mafia-Verfahren verraten haben - der Zeuge wurde ermordet.

Andrej Kiska: Das Ansehen der Staatsorgane ist an einem Tiefpunkt angelangtBild: DW/A. de Loore

Noch ein langer Weg zum Rechtsstaat

Ivan Chovan ließ sich wegen der Schikanen von Drevenák bald nach dem Abschluss der Ermittlungen im Mordfall Most pri Bratislave versetzen - er leitete die Polizeiabteilung für Drogenbekämpfung. 2012 schied er freiwillig aus dem Polizeidienst aus, nachdem seine Einheit reorganisiert und er auf einen untergeordneten Posten versetzt werden sollte. Heute arbeitet er beim Technischen Überwachungsdienst der Slowakei als Jurist. "Es wird noch sehr lange dauern, bis die Bürger wieder Vertrauen in die Polizei haben können und vielleicht ein oder zwei Generationen, bis die Slowakei ein echter demokratischer Rechtsstaat ist", sagt er mit großer Ernüchterung.

Seit dem Mord an ihrem Sohn ist auch Jana Heldovás Leben zerstört. "Herr Chovan und andere Ermittler haben in ihrer Arbeit mehr als hundert Prozent gegeben", sagen sie und ihr Mann Maros. "Trotzdem gibt es nach vierzehn Jahren noch immer keine Gerechtigkeit. Das ist erschütternd."

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