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Politik

Der Staat Israel gegen Benjamin Netanjahu

23. Mai 2020

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist angeklagt wegen Untreue, Betrug und Bestechlichkeit. Für ihn ist das kein Grund, sein Amt als Ministerpräsident infrage zu stellen. Aus Jerusalem Tania Krämer.

Israel | Vereidigung der neuen israelischen Regierung
Bild: Reuters/A. Valman

Erst vor knapp einer Woche ist Benjamin Netanjahu erneut als Ministerpräsident vereidigt worden - zum fünften Mal in seiner langen politischen Karriere. Ab Sonntag jedoch steht er vor Gericht: Es ist der Beginn eines viel diskutierten Prozesses, in dem sich Netanjahu wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit, Betrug und Untreue verantworten muss. Vorwürfe, die Netanjahu strikt zurückweist und als politisch motivierte Hetzjagd gegen sich und seine Familie bezeichnet.

Justizreporter Aviad Glickman wird am Sonntag dabei sein. "Ich kann mich noch gut daran erinnern, als vor drei Jahren das erste Mal die Polizei in der Residenz von Netanjahu vorfuhr", sagt Glickman, der den Fall für das israelische Fernsehen begleitet. "Und es ist das erste Mal in der Geschichte Israels, dass ein amtierender Ministerpräsident vor Gericht stehen wird."

Eigentlich hätte der Prozess bereits Mitte März beginnen sollen, wurde aber wegen der Corona-Krise verschoben. Der damalige Justizminister Amir Ohana (Likud-Mitglied wie Netanjahu) hatte kurzfristig einen "Notstand" verhängt, so dass Gerichte nur in Notfällen tätig werden durften. Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Nun steht der Termin trotz Corona-Krise. Einen Antrag von Netanjahus Anwälten, dass er nicht persönlich zur ersten Anhörung erscheinen muss, lehnte das Gericht ab.

Gewinner der Corona-Krise: Benjamin Netanjahu (2.v.r.), hier vor der Vereidigung seines KabinettsBild: picture-alliance/dpa/Pool Yedioth Ahronoth/A. Kolomiensky

Das heißt nicht, das Netanjahu nun bei jedem Gerichtstermin anwesend sein muss, sagen Juristen. Er kann, muss aber nicht - dennoch wird der Prozess eine zeitraubende Belastung für den Regierungschef. "Damit seine Anwälte ihren Job richtig gut machen können, müssen sie immer mit ihm im Kontakt bleiben, er muss über alles im Detail unterrichtet werden. Das ist vor allem in der Phase wichtig, wenn Zeugen vorgeladen werden", sagt Amir Fuchs, Rechtsexperte am Israel Democracy Institute.

Drei Aktenzeichen Netanjahu

Über drei Jahre dauerten die Ermittlungen der israelischen Polizei. In drei separaten Fällen wird Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit Netanjahu anklagen.

Im sogenannten Fall 1000 wird Netanjahu vorgeworfen, jahrelang teure Geschenke unter anderem von Hollywood-Produzent Arnon Milchan und dem australischem Milliardär James Packer angenommen zu haben. Auch seine Frau Sara und Sohn Jair sollen davon profitiert haben: Zigarren, Rosé-Champagner, Schmuck und Flugtickets im Wert von geschätzt einer Million Schekel (rund 230.000 EUR). Die Anklage lautet Verdacht auf Untreue und Betrug.

Im Fall 2000 geht es um vermeintliche Absprachen zwischen Netanjahu und Arnon Moses, dem Herausgeber der israelischen Tageszeitung "Jediot Achronot", zwecks Berichterstattung zugunsten Netanjahus. Dessen Verteidigung streitet ab, dass es diese Absicht gab. Die Staatsanwaltschaft sieht dagegen auch hier den Verdacht auf Untreue und Betrug gegeben.

Netanjahu spaltet Israel in Anhänger und Gegner - diese hier sind seine KritikerBild: picture-alliance/dpa/T. Abayov

Im Fall 4000 geht es um den Verdacht eines "Quid pro quo" - einer gegenseitigen Begünstigung - zwischen Netanjahu und Medienmogul Shaul Elovitch, damaliger Shareholder von Israels größtem Telekommunikationsunternehmen Bezeq. Netanjahu, seinerzeit gleichzeitig Kommunikationsminister, soll Bezeq rechtlich begünstigt haben. Im Gegenzug, so die Anklageschrift, hätten die Netanjahus wiederholt bei dem von Elovitch geführten Nachrichtenonlineportal "Walla" intervenieren dürfen, um die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Netanjahu ist in diesem Fall wegen Bestechlichkeit, Untreue und Betrug angeklagt.

Demos für und gegen Netanjahu

Die politische Personalie Netanjahu polarisiert wie keine andere in Israel. Rami Matan, Armee-Oberst im Ruhestand, geht regelmäßig demonstrieren - gegen Netanjahu. "Es ist moralisch nicht richtig, wenn ein Ministerpräsident morgens die Regierungsgeschäfte führt und sich am Nachmittag vor Gericht verteidigen muss", sagt Matan nach einer Protestaktion mit anderen Armeeveteranen vor der Residenz des Regierungschefs. "Er sollte sich darum kümmern, seine Unschuld zu beweisen, vom Amt zurücktreten, und uns und das Land in Ruhe lassen." Netanjahus Unterstützer und vor allem er selbst sehen dagegen eine Verschwörung der Linken, der Medien und der Justiz gegen ihn. "Im rechten Lager sieht man die Anschuldigungen als Fake News, im linken Lager will man ihn nur weghaben", sagt Uri Dromi, Leiter des Jerusalemer Presseclubs und früherer Regierungssprecher unter Jitzhak Rabin und Schimon Peres. "Und dann gibt es die Masse dazwischen die sagt, okay, es gibt ein Gerichtssystem, daran glauben wir und lasst uns sehen, was passiert."

Es ist auch nicht das erste Mal, das Israelis ihre Politiker vor Gericht oder gar im Gefängnis sitzen sehen - allerdings waren sie bisher bereits vor der Anklage von ihren Ämtern zurückgetreten, wie zum Beispiel der frühere Ministerpräsident Ehud Olmert, der wegen Bestechlichkeit verurteilt wurde. Während angeklagte Minister zurücktreten müssen, kann ein Ministerpräsident laut Gesetz jedoch solange im Amt bleiben, bis seine Schuld oder Unschuld festgestellt und ein mögliches Einspruchsverfahren abgeschlossen ist.

Einen Rücktritt hat Netanjahu immer abgelehnt. Nach drei Parlamentswahlen innerhalb eines Jahres und einem ebenso langen politischen Stillstand hat der Likud-Politiker es sogar geschafft, seine Position weiter zu stärken: Sein Handeln in der Corona-Krise hat seine Umfragewerte weiter steigen lassen und er bleibt Ministerpräsident - zunächst für 18 Monate als Doppelspitze einer nationalen "Notstandregierung" gemeinsam mit seinem früheren politischen Rivalen Benny Gantz. Der Chef des Bündnisses Blau-Weiß hatte dafür sein Wahlversprechen gebrochen, nicht mit einem angeklagten Ministerpräsidenten eine Regierung zu bilden.

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