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Politik

Premier, Präsident, alles

30. März 2017

Am Sonntag wählen die Serben einen neuen Präsidenten. Es wird wahrscheinlich der Mann gewinnen, der ohnehin die absolute Macht hat. Premier Vučić in die Stichwahl zu treiben, wäre für die Opposition schon ein Erfolg.

Serbien Wahlen Aleksandar Vucic
Bild: Reuters/M. Djurica

Er ist allgegenwärtig, inszeniert sich als Politiker, der unermüdlich für das Wohl des Landes kämpft. Regierungschef Aleksandar Vučić möchte Präsident werden, am liebsten noch im ersten Wahlgang. Fast täglich weiht er neue Fabriken und Autobahnabschnitte ein, selbst eine Turnhalle in einer Dorfschule durfte kein geringerer als Vučić festlich übergeben. Immer dabei sind zahllose Journalisten, von denen sich nur wenige trauen, dem starken Mann kritische Fragen zu stellen. Begleitet wird Vučić auf der Tour durch das Land von seinem Parteivolk, das ihm in Bus-Kolonnen folgt. Seine Anhänger, sofern sie im öffentlichen Dienst arbeiten, werden freigestellt. Für Verpflegung ist gesorgt: Vucić's Fortschrittspartei hat an alles gedacht.

"Muss es immer ein Funktionär sein, der eine Schule oder einen Straßenabschnitt einweiht?", fragt Zlatko Minić von Transparency Serbia. "Berichten die Medien über das Ereignis, oder wird stattdessen nur ein langes Loblied auf den Amtsinhaber gesungen?"

Vuk Jeremić (links) tritt gegen Vučić anBild: DW/I. Petrović

Die Statistiken liefern die Antwort - außer ein einigen auflagenschwachen Zeitungen und einem Kabelsender stimmen alle Medien nur Lobeshymnen an. Das Büro für Gesellschaftsforschung, ein Belgrader Think-Tank, hat ausgerechnet, dass auf Vučić's Präsenz in den TV-Nachrichten mehr Sendezeit entfällt, als auf alle anderen zehn Kandidaten zusammen. Selbstverständlich wird er ausschließlich positiv dargestellt.

Die Macht wandert mit Vučić

Wer die Gepflogenheiten der balkanischen Politik nicht kennt, mag verwirrt sein: warum sollte ein vergleichsweise junger Politiker (47) der von sich selbst behauptet, der erfolgreichste Premier "in der jüngsten Geschichte" zu sein, das wichtigste Amt im Lande gegen das des Präsidenten tauschen? Denn, ähnlich wie in Deutschland, hat der Präsident in Belgrad nur symbolische Befugnisse.

"In Serbien ist die Verfassung sowieso wenig wert. Die Macht wird in der Funktion gelagert sein, die Vučić gerade innehat", sagt Jovo Bakić von der Belgrader Philosophischen Fakultät. Die gewaltige Mehrheit im Parlament ist stabil, ein Dutzend Koalitionspartner unterstützen Vučić auch im Rennen um den Präsidentenpalast.

Das Amt des Präsidenten hatte schon immer eine starke psychologische Wirkung - der Autokrat Slobodan Milošević, als auch der Demokrat Boris Tadić regierten zu ihrer Zeit lieber aus dem präsidialen Amt heraus. Die Regierungsführung wird dann einer Marionette übertragen. Von solchen hat auch Vučić genügend unter seinen Ministern.

Dem Zufall wird nichts überlassen: Vučić's Helfer von der Fortschrittspartei machen Bürgervisiten, bringen Nahrungsmittel mit, bieten kostenlose medizinische Vorsorgeuntersuchungen, offerieren Gratis-Haarschnitte oder Mitfahrgelegenheiten zum Wahllokal. "Wir haben eine autoritäre Garnitur an der Macht. Eine Niederlage würden sie als eine einzige Katastrophe betrachten", so Philosoph Bakić.

Vučić wird vorgeworfen, den Staat als seinen Privatbesitz zu betrachten: Jobs und öffentliche Aufträge werden durch Parteignade verteilt, Medien als Propagandawaffe eingesetzt, während die Renten gekürzt werden und zigtausende junge Menschen auswandern. Nach außen präsentiert sich Vučić hingegen pragmatisch, als einer, der Reformen voranbringt und Stabilität garantiert. Beobachter sehen auch die Reisen nach Berlin und Moskau mitten im Wahlkampf kritisch: Vučić wolle nur schöne Fotos mit mächtigen Politikführern liefern, so der Vorwurf. Wenn er auch nur eine leichte Kritik im Ausland erntet - Angela Merkel hatte die Medienfreiheiten und die Bürgerrechte in Serbien thematisiert - wird das von den heimischen Medien ignoriert.

Kampf für die Stichwahl

Demoskopen sehen Vučić zwischen 50 und 56 Prozent der Stimmen. Ein zweiter Wahlgang wäre ein kleines Wunder, schon deswegen, weil die Konkurrenz kaum Zugang zu den Medien hat und zu Guerilla-Kampagnen in Sozialnetzwerken gezwungen ist.

Die engsten Verfolger dürften zwei Parteilose sein: Der ehemalige Ombudsmann Saša Janković, der in den letzten fünf Jahren zahlreiche Affären der Regierenden dokumentierte und somit ein Dorn im Auge der Konkurrenz ist. Und Vuk Jeremić, der ehemalige Außenminister, der im Rennen um den Posten des UNO-Generalsekretärs auf Platz zwei hinter António Guterres landete. Auf "Pflichtfragen" der serbischen Politik antworten sie wie Vučić: ja zu EU und Zusammenarbeit mit Russland, nein zu Unabhängigkeit von Kosovo.

Der ehemalige Ombudsmann Janković macht sich Hoffnung auf die StichwahlBild: DW/N. Rujević

Die Opposition beharrt darauf, dass es hier weniger um Politik und schon gar nicht um die Geopolitik gehe. "Wir entscheiden, ob unsere - zugegeben schwache - Demokratie überlebt, oder ob wir unser ganzes Leben in die Hände dieses Mannes übergeben", schreibt Jovana Gligorijević, die Redakteurin der Wochenzeitung Vreme.

Die Machthaber sehen in Janković und Jeremić eine Gefahr. Die regierungsnahen Boulevardblätter bezeichnen sie als "Psychopaten", "Fremdagenten" und "Kandidaten der NATO". Die schmutzige Kampagne gipfelte in der haltlosen Behauptung der Regierungspartei, die Frau von Jeremić - eine frühere Nachrichtenmoderatorin - sei "Anführerin des Drogenkartells" in Serbien.

Die weiße Botschaft

Zwei weitere Kandidaten spekulieren auf den magischen zweiten Platz für die Stichwahl: der radikale Nationalist Vojislav Šešelj, einstiger politischer Ziehvater von Vučić, der in der ersten Instanz vom Haager Kriegsverbrecher-Tribunal freigesprochen wurde. Ein alter Bekannter sozusagen.

Der Weiße - Serbiens Präsidentenschreck

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Ganz neu hingegen ist das Gesicht von Luka Maksimović. Der 27-Jährige löste einen regelrechte Hype aus und begeisterte vor allem die serbische Jugend. Er tritt unter dem Pseudonym Ljubiša Preletačević "der Weiße" an, trägt nur weiße Kleidung und parodiert Politiker knallhart: mal verspricht er, ein Meer zu bauen, mal verlangt er von anderen Politikern 720 Millionen Euro für seine Unterstützung. "Er ist eine Botschaft: 'Die Politiker sind für nichts gut. Es reicht!'", meint der Analytiker Dušan Janjić. Einige Umfragen sehen den jungen Satiriker tatsächlich auf Platz zwei mit fast zwölf Prozent der Stimmen.

Sollte es für Aleksandar Vučić am Sonntag nicht reichen, werden die Serben am 16. April wieder an die Urnen gerufen. Auch das zum Ärger der Opposition - an diesem Tag feiern die Orthodoxen Ostern und viele unentschlossene Wähler dürften eher zuhause bleiben.

 

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