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Leben ohne Plastik

Tamsin Walker
8. April 2016

Während ihres vierwöchigen Experiments, ohne Plastik zu leben, hat DW-Autorin Tamsin Walker Feuer gefangen und entschieden, noch einen Monat weiterzumachen. Der Auftakt zu einem Leben komplett ohne Plastik?

Global Ideas Plastikfrei
Bild: DW/Wade Adams

Anfang des Jahres habe ich mich einem Experiment verschrieben. Ich wollte herausfinden, ob ich ohne großen Mehraufwand meine Familie und mich mit Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln versorgen kann, ohne dass dabei Plastikmüll anfällt. Konkret hieß das, dass alles, was wir zum Essen, Waschen oder Putzen benötigten, nicht in irgendeiner Form in Plastik verpackt sein durfte. Für die Besorgungen wollte ich nicht mehr Zeit und Geld investieren als üblich. Hat das geklappt?

Wenn ich an die Anfänge dieses Abenteuers zurückdenke, fällt mir wieder ein, wie mich die damit verbundenen Fragen nachts in meine Träume verfolgten und die wachen Stunden an diesen trüben Berliner Wintertagen überschatteten. Wo würde ich Frühstücksflocken finden? Wo Shampoo? Ist Pasta wirklich in reinen Pappkartons erhältlich? Wie würde ich das mit dem Reis lösen? Spülmittel? Und, und, und … Zehn Wochen später - ich hatte inzwischen meinen vierwöchigen Ausflug ins nachhaltige Leben ausgeweitet - hatte ich die Antworten.

Ja, Pasta gibt es in Pappkartons. In einigen Bioläden kann man Reinigungsprodukte vom Fass abfüllen. Shampoo kann man wie eine Seife am Stück bekommen. Und falls die Frage aufkommen sollte: Es riecht so gut und schäumt genauso wie das abgefüllte Zeug. Um Reis und Frühstücksflocken ohne jegliche Plastikverpackung zu erhalten, musste ich quer durch die Stadt zum sogenannten Unverpackt-Laden fahren. Obwohl das mein Zeitbudget massiv  sprengte, habe ich zwei Mal den Wünschen meiner Kinder nach einem richtig schön knusprigen Frühstück nachgegeben. Was man nicht alles aus Liebe macht.

Von diesen Ausflügen abgesehen, bei denen drei meiner Töchter fleißig die Abfüllhebel bedienten, und ich am Ende 16 Euro für Mandeln und eine Menge getrockneter Kidneybohnen berappen musste, habe ich in meiner Nähe eingekauft. 

Der Kunde ist nicht immer König

Weil alte Gewohnheiten nicht so einfach abzustellen sind, war mein erster Gedanke, in den Supermarkt zu gehen und dort einige Sachen zu besorgen. So wie Milch zum Beispiel, bestimmte Früchte und Gemüse oder auch Käse. Vor ein paar Wochen bat ich die Verkäuferin an der Feinkosttheke, meinen Käse direkt in den Papierbeutel zu stecken. Sie sah mich an, als hätte ich sie gefragt, ob sie einen abgeschnittenen Finger mit hineintun könnte. Daraufhin begann sie, alle Gründe herunterzurattern, warum sie das nicht machen könne. Soviel zu dem in Deutschland gern zitierten Spruch: Der Kunde ist König. 

Wie sich herausstellte, reichte es bei mir nicht mal zur mickrigen Herzogin, denn a) würde der Käse austrocknen, b) am Papier festkleben und c) würde sie gegen die Regeln des Ladens verstoßen. Hygiene geht in Berlin über alles.

Jetzt wusste ich zumindest, woran ich war. Meine Supermarktbesuche sind seitdem deutlich seltener und kürzer geworden. Und die eingeschränkte Wahlmöglichkeit empfinde ich als Form von Freiheit. Ich weiß, was ich bekomme. Kurz rein in den Laden und schnell wieder raus. Keine überladenen Einkaufswagen mehr, und damit ein Pluspunkt fürs plastikfreie Leben.

Etwas Essen mussten wir allerdings. Glücklicherweise gibt es einen Markt ganz in meiner Nähe. Die Händler dort packten meine Einkäufe gern direkt in den Stoffbeutel, Fisch und Fleisch kamen in meine mitgebrachten Boxen. Ein bisschen unangenehm wurde es allerdings, wenn ich die Deckel zuhause vergessen hatte. Das ist mir mehr als einmal passiert. Bekanntlich ist ja die Notwendigkeit die Mutter der Erfindung, und so wurde eine Wintermütze zu einem sehr vielseitigem Ding.

Mithilfe des Markts und der  Einmal-im-Monat-Pilgerreise zum Unverpackt-Laden habe ich unseren Lebensmittelbedarf ganz gut abgedeckt. Wie sah es aber mit der körperlichen Hygiene aus?

Sauber halten

Selbstgemachte Lotions in einem blitzblanken Badezimmer ohne PlastikBild: DW/T. Walker

Nachdem ich mein Problem mit dem Toilettenpapier gelöst hatte (es wurde aus München in einem Karton geliefert) und mit unverpackten Seifen, Shampoo- und Spülungsstücken  ausgestattet war, war da immer noch das Problem mit der Zahnpasta. Eines Abends packte mich und meine Kinder der Erfindergeist, und wir entwickelten aus Kokosöl, Backsoda und Pfefferminzöl unsere eigene Zahncreme. Meine kleinste Tochter fragte ganz entsetzt, warum ich "solch eklige Sachen" da hineingetan habe und schwor, dass sie das Zeug nicht anrühren würde.

Die anderen versuchten es ein paar Tage, bevor sie eingestehen mussten, dass ihre kleine Schwester zumindest dieses eine Mal recht hatte. Nächster Versuch: Zahnreinigungstabletten, die es bei Lush in Mehrwegflaschen gibt. Die wurden etwas länger geduldet, trotzdem steht die Flasche immer noch halbvoll im Badregal. Ob die Flasche wohl jemals zurückgegeben wird? Letztlich haben wir uns auf eine herkömmliche Zahnpasta in einer Metalltube mit einem kleinen Plastikverschluss geeinigt. Das Stückchen Plastik landete wie all unsere Verpackungssünden in einem leeren Joghurtglas.

Die Hardcore-Zero-Waster, also diejenigen, die extrem darauf achten, keinen Müll zu produzieren, würden ein Jahrzehnt benötigen, um unser Glas zu füllen. Das zeigt einmal mehr, dass wir noch ein ordentliches Stückchen Weg vor uns haben. Wir haben es nämlich innerhalb eines Monats geschafft. Das würde mich in manchen Kreisen in Erklärungsnot bringen, aber wir arbeiten dran. Ich selbst würde sogar soweit gehen und behaupten, dass der meiste Plastikmüll, den wir während der letzten zehn Wochen verursacht haben, eher ein "Unfall" war.

Zum einen waren da Kindergeburtstage mit Geschenken von Freunden. Klar hätte ich vorher Bescheid geben können, aber das schien mir dann doch etwas zu extrem, und Dogmen waren noch nie meine Sache. Und dann waren da noch meine Ausrutscher. So kaufte ich einen Wischmopp aus Baumwolle und registrierte nicht, dass er in Plastik verpackt war. Oder ich bat den Markthändler, den Käse in Wachspapier einzuwickeln und bemerkte nicht, dass er mir das Ganze in einer Plastiktüte überreichte. Außerdem musste ich ein Abonnement kündigen, weil die Zeitung in einer Plastikhülle kam.

Neues aus Plastikabfall

Also was tun mit dem ungewollten oder übersehenen Plastik? Entweder musste es in unser Glas wandern, wo es den Platz, den wir eigentlich für die Zahncreme-Verschlüsse und die Verpackung der Geburtstagsgeschenke benötigten, raubte. Oder wir mussten es wiederverwenden. Wofür wir uns entschieden haben, versteht sich ja von selbst. Was man allerdings mit einem kleinen Quadrat Plastik mit dem Schriftzug "Mopp" machen kann, ist schon nicht mehr ganz so offensichtlich. Zumindest nicht solange, bis ich entdeckt habe, wieviel Spaß es macht, daraus Sandwich-Verpackungen zu nähen und das, was wir eine "Speisenduschhaube" nennen. Also: Plastiktüte für die Innenseite und Stoff für die Außenseite und damit deckten wir Essensreste im Kühlschrank ab. Nun ratet doch mal, was meine Familie dieses Jahr zum Geburtstag bekommen wird?

Wenn wir schon dabei sind: Meine Bedenken, wie die Kinder darauf reagieren würden, haben sich als unbegründet erwiesen. Obwohl viele Hürden genommen werden mussten, haben sie sich schneller an den neuen Lebensstil gewöhnt, als es so manch ein Erwachsener tun würde. Teilweise, weil sie es genossen haben, Lippenbalsam, Kekse, Schokolade, Body-Butter und sogar Zahnpasta - zumindest für eine kurze Zeit - selbst zu machen, anstatt zu kaufen.

Ich denke aber auch, dass sie das Experiment so gut angenommen haben, weil sie die Natur lieben und ihren kleinen Teil dazu beitragen wollen, sie zu erhalten. Vielleicht haben sie recht. Genau deshalb bin ich auch ziemlich sicher, dass wir mit unserem neuen Lebensstil weitermachen. Zumindest zum größten Teil.
 

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