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Der Sturm auf das Kapitol - ein Jahr danach

John Marshall
6. Januar 2022

Am 6. Januar 2021 griffen Hunderte Trump-Anhänger den Sitz des US-Kongresses an - und mit ihm die US-amerikanische Demokratie selbst, meinen Beobachter. Ein Jahr später dauert die Aufarbeitung noch an.

Washington | Sturm auf Kapitol
Bild: Stephanie Keith/REUTERS

Mehr als zwei Jahrhunderte lang war die Zertifizierung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl im US-Kongress reine Formsache. Doch am 6. Januar 2021 geriet das Ritual zu einem Moment der Abrechnung, einem Weckruf, einem Ereignis, dass vielen Beobachtern erschien wie ein Rütteln an den Grundpfeilern der US-amerikanischen Demokratie.

Während die Senatoren und Abgeordneten im Kapitol zusammentraten, um Joe Bidens Wahlsieg zu bestätigen, wandte sich der noch amtierende Präsident Donald Trump an seine Anhänger. Die Menschen, die aus dem ganzen Land in die Hauptstadt kamen, waren wochenlang mit Berichten über "die große Lüge" gefüttert worden. So bezeichnen rechtsgerichtete Medien, Verschwörungsideologen etwa von der QAnon-Bewegung und neofaschistische Gruppen wie die "Proud Boys" das offizielle Wahlergebnis. In Wahrheit, behaupteten sie, habe Biden die Wahl "gestohlen".

Die so aufgestachelten Trump-Fans erstürmten den Sitz des US-Kongresses, das Kapitol, und versuchten, die Bestätigung von Bidens Wahlsieg zu stoppen.

Einhellige Empörung - zunächst

Der Aufruhr in Washington kostete vier Demonstranten und einen Polizisten das Leben. 140 weitere Sicherheitsleute wurden verletzt. In seltener Einhelligkeit verurteilten beide Seiten des politischen Spektrums die Ereignisse.

"Offenbar hatte sich ein allgemeines Gefühl breitgemacht: Okay, das geht zu weit, Trump ist zu weit gegangen", beschreibt Suzanne Spaulding vom Projekt "Defending Democratic Institution" des Center for Strategic and International Studies (CSIS) den Tenor, mit dem republikanische Kongressmitglieder auf den sogenannten Sturm auf das Kapitol reagierten.

Mit seinem bizarren Auftritt wurde Jacob Anthony Chansley zum Symbol des Sturms auf das KapitolBild: Manuel Balce Ceneta/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Republikaner fürchten Trumps langen Schatten

Der Kongress leitete umgehend ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump ein, um es noch vor der Amtsübergabe am 20. Januar 2021 abzuschließen. Wie beim ersten Amtsenthebungsverfahren im Zuge der Ukraine-Affäre stimmte im Repräsentantenhaus die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Mitglieder dafür, nicht aber im Senat.

In beiden Kongresskammern hatten auch mehrere Republikaner gegen Trump gestimmt. Letztlich setzte sich aber doch die Parteiräson durch. "Ich glaube, die Republikaner merkten in den folgenden Wochen und Monaten, dass Trump ihre Partei weiterhin kontrollierte", sagt Spaulding. Zudem habe Trump republikanischen Politikern gedroht, wenn sie auf Distanz zu ihm gingen.

Der damalige US-Präsident Donald Trump soll seine Anhänger angestachelt haben, ins Kapitol einzudringenBild: Jacquelyn Martin/AP/picture alliance

Juristische Konsequenzen für Trump und seine Anhänger

Bis heute wird gegen Trump und viele seiner Vertrauten ermittelt, um herauszufinden, welche Rolle sie bei dem Aufstand spielten. Falschinformationen und Lügen kursieren in sozialen Netzwerken und auch in Mainstream-Medien und lassen für viele Trumps Verhalten gerechtfertigt erscheinen. Einer Telefonumfrage der Monmouth University im Juni 2021 zufolge meint fast die Hälfte der republikanischen Wähler, der Aufruhr sei ein legitimer Protest gewesen.

Das sieht das FBI anders: Die US-Bundespolizei hat bisher 727 Personen mittels Filmmaterials von Überwachungskameras, YouTube- und Handyvideos identifiziert und angeklagt. Die Anklagen lauten unter anderem auf Behinderung eines behördlichen Verfahrens (Obstruction of an Official Proceeding), den Gebrauch gefährlicher Waffen und Überfall.

Kleine Geldbußen und mehrjährige Haftstrafen

Gedenken an den Polizisten Brian Sicknick, der bei dem Angriff auf das Kapitol starbBild: Lamkey Rod/CNP/ABACA/picture alliance

Die bisher verhängten Strafen reichen von kleineren Geldbußen von einigen Hundert US-Dollar wegen Sachbeschädigung bis hin zu Gefängnisstrafen von mehr als fünf Jahren wegen Angriffen auf Polizeibeamte.

Ein Mann, der zu 63 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, gab vor Gericht an, er sei getäuscht worden und schäme sich dessen nun. Damals habe er sich als Verteidiger der amerikanischen Demokratie gesehen. Offenbar glaubten viele der Demonstranten in Washington die Geschichte von der gestohlenen Wahl und der "großen Lüge".

Dialog suchen und Konsens schaffen

Das Ereignis selbst und die gesellschaftliche Spaltung, die dahintersteckt, haben immerhin einen Effekt: Viele Menschen setzen sich zunehmend mit der Rolle der Medien und der sozialen Netzwerke auseinander - und damit, wie Fakten diskutiert und oft verzerrt werden.

"Die Menschen werden mit immer extremeren Versionen dessen gefüttert, was sie sich bereits angesehen haben", sagt Regina Lawrence von der School of Journalism and Communication an der Universität Oregon. Verantwortlich dafür seien die Algorithmen der Medienplattformen. Hier wünscht sich Lawrence, dass die politischen Institutionen sich eindeutiger zu den Ausschreitungen am 6. Januar 2021 äußerten - quasi als Vorbild. 

Darüber hinaus ließe die gesellschaftliche Spaltung sich aber ganz einfach mit besserer Kommunikation überbrücken, so Lawrence: "Es ist recht gut erforscht, dass - so schwer das sein mag - es hilft, wenn man Menschen mit extremen Ansichten wirklich zuhört, um die Gründe zu verstehen, aus denen sie das glauben, was sie glauben."

Aus dem Englischen adaptiert von Jan D. Walter.

 

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