1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Der Sturm auf Idlib

13. September 2018

Die Zeichen mehren sich, dass die Regierung Assad die Rebellenhochburg Idlib zurückerobern will. Dieses Vorgehen ist international umstritten. Eine Übersicht über die internationalen Akteure und ihre Interessen.

Syrien Angriffe Provinz Idlib
Bild: Getty Images/AFP/A. Al-Dyab

Die Regierung Assad

Präsident Baschar al-Assad und seine Minister sehen sich als durch allgemeine Wahlen legitimierte Regierung der Syrer. Das war zu Beginn der Revolution im Jahr 2011 so, und durch die Wahlen im April 2016 hat Assad nach eigener Auffassung diesen Anspruch bekräftigt: Er bekam nahezu 100 Prozent der Stimmen - Kritiker im In- und Ausland nannten den Urnengang allerdings eine Scheinwahl. Auf ihren Legitimitätsanspruch stützt sich die Regierung auch bei ihren Plänen zur Rückeroberung Idlibs.

Idlib ist die letzte große Hochburg der Rebellen. Nachdem die Regierung Assad durch die bewaffneten Oppositionskräfte in schwere Bedrängnis geraten war, konnte sie mit massiver militärischer Unterstützung ihrer Schutzmächte Russland und Iran große Landesteile zurückerobern - wenn sie Idlib einnimmt, hat sie die Kontrolle über das Land weitgehend zurückgewonnen.

In die Region haben sich jedoch bis zu 30.000 bewaffnete Dschihadisten verschiedener Gruppierungen zurückgezogen. Für sie ist die Herrschaft über die Stadt die einzige Zukunftsoption. Darum verfolgen sie ihr Anliegen ebenso entschlossen wie skrupellos. Augenzeugenberichten zufolge halten sie viele der in Idlib ausharrenden Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Griffe die Regierung die Rebellen ohne Rücksicht auf die Zivilisten an, so das Kalkül der Extremisten, würden Teile der Bevölkerung sich ihnen zuwenden. 

Dieser Logik ist sich auch die Regierung Assad bewusst. Bei vergleichbaren Offensiven hat sie auf die syrische Bevölkerung allerdings keine Rücksicht genommen. Schon jetzt gibt es Berichte, dass sie über der Stadt die international geächteten Fassbomben abwirft. Assads Ziel ist es, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederherzustellen - wie es aussieht, um jeden Preis.

Schutzraum: Ein Syrer schaut aus einem unterirdischen Unterschlupf in IdlibBild: Reuters/K. Ashawi

Russland

Die russische Regierung unterstützt Assad seit Ausbruch des Aufstandes im Jahr 2011. Sie tat das zunächst nur diplomatisch, indem sie etwa im UN-Sicherheitsrat wiederholt ihr Veto gegen Verurteilungen der Assad-Regierung einlegte. Seit 2015 steht sie Assad auch militärisch bei. Russland bekämpft die Rebellen vom Boden, aus der Luft und vom Meer aus. Zu diesem Zweck sind massive militärische Kräfte in Syrien stationiert. Ein Teil wurde zwischenzeitlich wieder abgezogen.

Die russische Regierung verfolgt in Syrien mehrere Ziele. Zum einen geht es ihr um das Prinzip der nationalen Souveränität. Der Aufstand ist aus Moskaus Sicht eine innersyrische Angelegenheit. Deswegen betrachtet Russland jede Einmischung von außen als Verstoß gegen das Völkerrecht. Den eigenen Einsatz sieht Russland durch den Umstand legitimiert, dass es von der syrischen Regierung dazu aufgefordert wurde.

Zudem geht es Moskau um seinen militärischen und politischen Einfluss in der Region. Dazu gehört, dass es Einheiten im Militärhafen von Tartus und auf mehreren syrische Flugbasen stationiert hat.

Auch für Russland ist der Kampf gegen die Dschihadisten in Syrien immer wichtiger geworden. Moskau fürchtet, ein Teil dieser - auch aus Russland und seinen Nachbarstaaten stammenden - Extremisten könnte in ihre Heimatstaaten zurückkehren. Mit dem Angriff auf Idlib will Moskau die verbleibenden Dschihadisten vernichten. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass ein rücksichtslos geführter Angriff die Zivilisten in Sympathisanten oder gar Aktivisten der militanten Gruppen verwandeln könnte.

Gescheiterter Versuch, Interessensgegensätze auszuräumen: Hassan Rouhani (m), Recep Tayyip Erogan (r) und Wladimir Putin in Teheran, 7. September 2018Bild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Iran

Am wichtigsten ist der Regierung in Teheran, ihre Macht in der Region auszubauen. Der schiitische Iran konkurriert dabei mit dem sunnitischen Königreich Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in Nahost. Während des syrischen Bürgerkriegs hat der Iran seine Präsenz in Syrien massiv ausgebaut. Kann er diese Position halten, reicht sein Einfluss über den Irak, Syrien und Teile des Libanons bis hin zur israelischen Grenze. Aus Sicht Israels steht er damit direkt vor dem jüdischen Staat, den er als seinen Hauptfeind ansieht.

Zugleich hätte Teheran mit dieser geopolitischen Achse - dem sogenannten schiitischen Halbmond - ein beachtliches Gegengewicht gegen Saudi-Arabien geschaffen.

Im Kalkül des Iran ist die Assad-Regierung der Garant für die iranische Präsenz in Syrien. Eine andere Regierung könnte diese womöglich in Frage stellen. Darum ist Teheran gewillt, Assad bei der Einnahme Idlibs zu unterstützen und seine Herrschaft damit weitgehend wiederherzustellen.

Auch wirtschaftliche Interessen spielen für den Iran eine Rolle. So haben Iraner in Damaskus und anderen syrischen Städten Immobilien erworben. Nach dem Krieg, so das Kalkül, wird deren Wert steigen. Damit würde auch die Verflechtung mit der syrischen Wirtschaft wachsen - in Zeiten des wieder in Kraft gesetzten Embargos gegen den Iran wäre das für diesen eine erhebliche Erleichterung.

Terrorbekämpfung: ein von einer amerikanischen Drohne getroffenes Fahrzeug nahe Idlib, das angeblich zur dschihadistischen Nusra-Front gehörte, Juli 2018 Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/F. Faham

USA

Nach den desaströsen Folgen ihrer Intervention im Irak im Jahr 2003 haben die USA ihr Engagement im Nahen Osten massiv zurückgefahren. Präsident Barack Obama wollte keine US-Soldaten mehr in der Region in den Kampf schicken, sein Nachfolger Donald Trump ist ausnahmsweise der gleichen Meinung. Dennoch haben die USA im Norden Syriens Truppen stationiert. Zahlenmäßig ist ihre Präsenz überschaubar, doch sie sind ein militärischer Faktor. Wiederholt haben sie dschihadistische Milizen attackiert. 

Washington will außerdem die US-amerikanische Präsenz in der Region erhalten, um Russland keinen größeren Einfluss zu überlassen. Zum anderen möchten die USA Israel, ihren wichtigsten Verbündeten in der Region, schützen. Die Regierung in Jerusalem sieht sich immer stärker durch den Iran bedroht. In Verhandlungen mit Russland drängen die USA darum auf einen Rückzug des Iran aus Syrien. Der wird aller Wahrscheinlichkeit zwar nach nicht vollständig erfolgen. Aber die USA haben erreicht, dass iranische Truppen einen Mindestabstand zur israelischen Grenze wahren.

Gegen den Sturm auf Idlib haben die USA keine grundlegenden Bedenken geäußert. Sie betonen allein, dass auf Zivilisten Rücksicht genommen werden müsse. Prinzipiell sind sie mit der Eroberung der Stadt und der Vertreibung der Milizen einverstanden - und damit mit dem Ergebnis, dass Präsident Assad im Amt bliebe. Lange Zeit hatten sich die USA dagegen ausgesprochen.

Die Türkei

Die Türkei unterstützt eine Reihe oppositioneller Gruppen, die auf den Sturz Assads hinarbeiten. Zu diesem Ziel hat Ankara sich bereits vor Jahren bekannt.

Massive Präsenz: Beobachtungsposten der türkischen Armee an der Grenz in der Nähe von IdlibBild: Turkish Armed Forces

Mittlerweile sieht sich die Türkei allerdings neuen Herausforderungen gegenüber. Zum einen sind immer mehr Flüchtlinge aus Syrien ins Land gekommen und die Akzeptanz für die Migranten schwindet. Eine Militäroffensive gegen Idlib würde aber vermutlich zehntausende weitere Menschen in die Flucht treiben - und in die Türkei. Darum warnt die Regierung vor einer Rückeroberung Idlibs.

Ankara will auch verhindern, dass Dschihadisten aus Syrien in die Türkei vordringen könnten, obgleich sie viele Gruppen jahrelang unterstützt hat. Aus diesem Grund hat sie die Überwachung der Grenze zu Syrien verschärft und türkische Truppen auf syrischem Gebiet nahe Idlib stationiert. 

Hauptgegner der Türkei sind und bleiben die Kurden und ihre Autonomiebestrebungen. Ankara hat darum im Januar 2018 gemeinsam mit Milizen der Freien Syrischen Armee die Region um Afrin im Norden Syriens angegriffen und eingenommen und einen Großteil der kurdischen Bevölkerung aus der Stadt vertrieben.

Die Europäische Union

Die Europäische Union hat im Krieg in Syrien militärisch keine nennenswerte Rolle gespielt. Einzelne Länder hatten die säkularen Rebellen und die Kurden unterstützt und die Dschihadisten bekämpft.

Aktiv wurde die EU vor allem im humanitären Bereich. Einige ihrer Mitgliedstaaten - allen voran Deutschland - nahmen viele syrische Flüchtlinge auf. Mittlerweile sind die EU-Staaten vor allem daran interessiert, die Zahl der Flüchtlinge möglichst niedrig zu halten. Umso beunruhigter sind die europäischen Regierungen angesichts eines Angriffs auf Idlib - würde das doch viele Bewohner in die Flucht treiben.

Zugleich sprechen sich die EU-Staaten für ein Ende der Assad-Regierung aus. Sie beschuldigen ihn und seine Regierung zahlreicher Menschenrechtsverletzungen. Deutschland erwägt für den Fall, dass die Assad-Regierung in Idlib Giftgas einsetzen sollte, einen militärischen Einsatz, der innenpolitisch allerdings umstritten ist.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen