"Im Sudan beginnt ein echter Wandel", beteuert ein Regierungsvertreter vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Und während er spricht, bekommen die Menschen im afrikanischen Krisenstaat wieder Zugang zum mobilen Internet.
Anzeige
Osama Hemeida vom Beirat für Menschenrechtsfragen vertritt das sudanesische Justizministerium vor dem UN-Menschenrechtsrat. Sein Land sei nach einer "heroischen Revolution" des Volkes auf dem Weg in eine neue Zukunft, sagt Hemeida in Genf - und verknüpft diese hoffnungsfrohe Perspektive sogleich mit der Forderung nach einem radikalen Schuldenschnitt: "Es ist an der Zeit, die Sanktionen aufzuheben und uns von den Auslandsschulden zu befreien." Nach einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) stand der Sudan bereits Ende 2016 mit gut 52 Milliarden Dollar (heute gut 46 Mrd. Euro) bei ausländischen Gläubigern in der Kreide.
Nach Unruhen und monatelangen Massenprotesten wurde Präsident Omar al-Baschir im April nach drei Jahrzehnten an der Macht von den Streitkräften gestürzt. Vergangene Woche einigten sich Militär und Opposition auf eine gemeinsame Übergangsregierung, die den Weg für Neuwahlen in drei Jahren ebnen soll. UN-Menschenrechtsspezialisten hatten die Behörden am Montag aufgefordert, die Internetdienste umgehend wieder herzustellen. Das Netz abzuschalten sei eine Verletzung der Menschenrechte, weil es die freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit behindere.
Netzblockade richtete sich gegen die Protestbewegung
Das Internet war im Sudan am 3. Juni unterbrochen worden, nachdem das Militär gewaltsam eine Sitzblockade aufgelöst und mehr als 120 Menschen getötet hatte. Seit Dienstag ist es weitgehend wieder funktionsfähig. Ein Gericht in der Hauptstadt Khartum hatte angeordnet, dass die Netzanbieter Zain, MTN und Sudani den Zugang für ihre Kunden wieder freigeben müssen, wie der Anwalt Abdelazim al-Hassan auf einer Pressekonferenz sagte. Al-Hassan hatte gegen die Blockade geklagt, die der regierende Militärrat mit einer angeblichen "Gefahr für die Sicherheit des Landes" gerechtfertigt hatte. Die Militärs wollten vor allem die sozialen Netzwerke lahmlegen, über die sich die Protestbewegung in dem Land organisiert hatte.
Und auch die gewalttätigen Vorgänge gegen die Demonstranten vom 3. Juni würden untersucht, kündigt Hemeida in Genf an. Der Generalstaatsanwalt wolle schon in den kommenden Tagen einen ersten Bericht vorlegen. Parallel dazu werde wie versprochen eine nationale unabhängige Untersuchungskommission sämtliche Ereignisse seit dem 11. April durchleuchten. Für die Menschenrechtsorganisation DefendDefenders ist dies jedoch eine Aufgabe des UN-Menschenrechtsrats. Die Vereinten Nationen dürften sich nicht aus der Verantwortung stehlen.
rb/se (afp, dpa, epd)
Volk gegen Militär - Chronologie des Machtkampfs im Sudan
Seit der gewaltsamen Räumung eines Protestcamps in der sudanesischen Hauptstadt Khartum sind die Spannungen zwischen Demonstranten und Militär enorm gewachsen. Wir dokumentieren den Machtkampf in Bildern.
Bild: Getty Images/AFP/A. Shazly
Protest
Über Wochen hielten es sudanesische Demonstranten vor dem Verteidigungsministerium aus. Zu Tausenden forderten sie einen Übergangsrat, in dem auch Zivilisten über die Zukunft des Landes entscheiden können. Anfang Juni dann rückte das Militär gewaltsam gegen die Protestler vor. Dutzende Menschen starben.
Bild: Getty Images/AFP/A. Shazly
Im Namen der Nation
Ein Demonstrant mit der Nationalflagge in der Nähe des Hauptquartiers der Armee. Die Flagge steht für die Forderung der Demonstranten, die Zukunft des Landes gemeinsam zu gestalten, im Zusammenspiel von Militärs und Zivilisten. Käme es dazu, wäre das ein bedeutender Schritt in Richtung Demokratie.
Bild: Reuters
Warnsignale
In den Tagen vor dem Massaker von Anfang Juni hatte das Militär verstärkt Präsenz gezeigt. In den Augen vieler Demonstranten deutete das darauf hin, dass die Armee die Macht womöglich doch nicht aus den Händen geben wollte. Genau das hatten aber viele Sudanesen nach dem Sturz von Diktator Omar al-Baschir erhofft.
Bild: Getty Images/AFP
Ende einer Ära
Von 1993 bis zu seinem Sturz im April 2019 beherrschte Staatspräsident Omar al-Baschir den Sudan. Gegen Kritiker ging er in aller Schärfe vor. Um seine Macht zu halten, löste er 1999 sogar das Parlament auf. Zu dieser Zeit fand auch Al-Kaida-Chef Osama bin Laden Unterschlupf im Sudan. Vor allem aber bleibt sein Name mit dem Krieg gegen die Separatisten in der Provinz Darfur verbunden.
Bild: Reuters/M. Nureldin Abdallah
Der Diktator vor Gericht
Viele Sudanesen hatten lange Zeit darauf gehofft, den Diktator vor Gericht zu sehen. Tatsächlich erschien Omar al-Baschir am 16. Juni zu dem gegen ihn eröffneten Prozess. Vorgeworfen werden ihm vorerst Korruption und illegaler Besitz ausländischer Währungen. Nach seinem Sturz hatten Ordnungskräfte in seiner Villa ganze Geldsäcke im Wert von über hundert Millionen Dollar gefunden.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Hjaj
Stimme der Frauen
An den Protesten beteiligen sich auch viele Frauen. Im Sudan genießen die Frauen seit jeher vergleichsweise große Freiheiten. Sie verstärken die Demonstrationen nicht nur quantitativ, sondern geben ihnen auch ein anderes Gesicht. Ihre Präsenz drückt den Wunsch vieler Bürger nach Demokratie und Gleichberechtigung aus.
Bild: Getty Images/AFP/A. Shazly
Ikone der Revolution
Die Archtitekturstudentin Alaa Salah ist zum Gesicht der Revolution geworden. Als sie im April auf das Dach eines Autos stieg und von dort zu den Demonstranten sprach, schoss ein geistesgegenwärtiger Fotograf dieses Bild. Seitdem wurden es in den sozialen Medien unzählige Male geteilt. Fotos wie diese sind ein wichtiger Bestandteil der Revolution geworden. Sie laden ein zur Identifikation.
Bild: Getty Images/AFP
Internationale Solidarität
Dank der sozialen Medien werden Proteste rasch in der gesamten Welt bekannt. Das gilt auch für die Demonstrationen im Sudan. Sie fanden rasch internationale Unterstützung, wie hier etwa im schottischen Edinburgh. Am Montag äußerten sich auch die EU-Außenminister. "Die EU fordert ein sofortiges Ende aller Gewalt gegen das sudanesische Volk", heißt es in ihrer offiziellen Erklärung.
Allerdings haben sich längst nicht alle Sudanesen gegen das Militär gewandt. Viele unterstützen es auch. Sie erhoffen sich eine straffe Regierungsführung. Allein durch sie, sind die Anhänger des Militärs überzeugt, lässt sich das Land in eine gedeihliche Zukunft führen. Das trauen sie vor allem dem auf dem Plakat abgebildeten General Abdel Fattah Burhan, dem Vorsitzenden des Militärrats, zu.
Bild: Getty Images/AFP/A. Shazly
In Wartestellung
Als der eigentlich starke Mann in den Reihen des Militärs gilt aber General Mohammed
Hamdan Daglu alias "Hemeti". Er führte jene Truppe, die die Proteste vor dem Militärsitz niederschlug. Während des Darfur-Kriegs war er Kommandant der Dschandschawid-Milizen, die gegen die Rebellen mit großer Brutalität vorgingen. Die Demonstranten fürchten, er könnte zum neuen Machthaber des Landes werden.
Bild: Reuters/M.N. Abdallah
Sorgen am Golf
Auch Politiker anderer arabischer Länder schauen mit Spannung und Nervosität auf die Entwicklung im Sudan. So etwa Mohamed bin Zayad al-Nahyan, der Kronprinz der Vereinigten arabischen Emirate (VAE). Wie auch Saudi-Arabien fürchten die VAE, der Protest könne als Beispiel einer gelungenen Revolution "von unten" in der Region Schule machen. Darum unterstützen beide Länder die sudanesischen Militärs.
Bild: picture-alliance/AP Photo/Ministry of Presidential Affairs/M. Al Hammadi
Der Nachbar im Norden
Auch in Kairo schaut man mit Sorge in Richtung Khartum. Die Regierung von Präsident Abdel-Fattah al-Sisi fürchtet, im Sudan könnten die Muslimbrüder an Einfluss gewinnen - eben jene Gruppe, gegen die die ägyptische Regierung im eigenen Land mit aller Macht vorgeht. Würden sich die Muslimbrüder im Sudan etablieren, so die Sorge, könnten sie von dort aus auch in Ägypten wieder erstarken.
Bild: picture-alliance/Photoshot/MENA
Einspruch ohne Ende
Im Sudan gehen die Proteste derweil weiter. Am Freitag (14.6.) forderte Sadiq al-Mahdi, seit Jahrzehnten einer der führenden Oppositionellen des Landes, eine Untersuchung zur tödlichen Räumung des Protestcamps. Den Militärs kann das nicht gefallen. Die Spannungen im Sudan könnten in eine neue Runde gehen.