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Politik

Der Traum der Algerier von Europa

19. Februar 2017

Während ihres Algerien-Besuchs wird Angela Merkel vor allem das Flüchtlingsthema ansprechen. Deutschland will die Zahl algerischer Migranten verringern. Doch die Regierung Bouteflika hat weitere Probleme.

Algerien Proteste Bouteflika
Demonstration gegen Präsident Bouteflikas Entscheidung, ein viertes Mal zu kandidieren, März 2014Bild: picture-alliance/dpa

Vor allem geht es um Abschiebungen. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Algerien reist, trägt sie die drängenden Bitten von Ministerpräsidenten und Bürgermeistern mit sich, die vor allem eines fordern: Die Maghreb-Staaten - und damit auch Algerien - sollen zügig diejenigen ihrer Staatsbürger zurücknehmen, deren Asylgesuch in Deutschland abgelehnt worden ist.

Vor wenigen Tagen wies etwa der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling auf entsprechende Schwierigkeiten der Länder und Kommunen hin. Die Maghreb-Staaten seien nicht bereit, die Menschen wieder aufzunehmen. "Wir bekommen teilweise keine Antworten", so Sieling in einer Stellungnahme. Von 15 ausreisepflichtigen Personen habe seine Stadt nur eine abschieben können. "Das liegt nicht an uns", versicherte er. Darum müsse die Regierung das Problem in die Hand nehmen. "Merkel will nach Marokko, Algerien, Tunesien reisen - da wünschen wir alle viel Erfolg."

Eine bedrückende Wirtschaftslage

Angela Merkel reist in ein Land, das weiterhin vor erheblichen Herausforderungen steht: Die Analphabetenquote liegt bei knapp über 20 Prozent, die der Arbeitslosen bei knapp 10 Prozent. Die Staatsverschuldung lag 2016 bei 13 Prozent, die Auslandsschulden beliefen sich auf 5,8 Milliarden US-Dollar; für das Jahr 2017 wird nach Angaben der Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik, Germany Trade and Invest (gtai), ein Anstieg auf 8,7 Milliarden US-Dollar erwartet. Das Land hat eine schmale, vor allem auf Bodenschätze fokussierte Industrie. Im Jahr 2015 trug Erdgas mit 42, Erdöl mit 34 Prozent zu den Gesamtausfuhren bei.

Nur noch selten in der Öffentlichkeit: Präsident Abd Al-Aziz BouteflikaBild: Getty Images/AFP/E. Feferberg

Neben der Petrochemie verfügt das Land über keine nennenswerten Industrien. Umso stärker hängt die Wirtschaft des Landes von den Preisen am Energiemarkt ab. Der Fall des Ölpreises seit 2014 hat Algerien schwer getroffen: Machte das Land im Jahr 2013 in der Gesamthandelsbilanz noch ein Plus von gut 11 Milliarden Dollar, verzeichnete es 2015 ein Minus von 17 Milliarden US-Dollar.

Das trifft auch die öffentlichen Staatsausgaben und Investitionen schwer, ebenso die Subventionen für Grundnahrungsmittel. Entsprechend schwierig ist die Lage für viele der knapp 41 Millionen Bürger des Landes. Die Förderung der Bodenschätze liegt  in den Händen der staatlichen Erdölgesellschaft Sonatrach, die Arbeitsplätze dort sind begrenzt. Nur langsam entwickeln sich alternative Wirtschaftszweige.

Auch das Umfeld ist problematisch: Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International rangiert Algerien auf Platz 108 - von 176 Plätzen insgesamt. Entsprechend zögerlich sind ausländische Unternehmen bei dem Gedanken an Investitionen in dem nordafrikanischen Land.

Politische Missstände

Auch politisch geht es dem Land nicht sonderlich gut. Der seit 1999 amtierende Präsident Abd al-Aziz Bouteflika, Jahrgang 1937, hat mehrere Schlaganfälle hinter sich und zeigt sich kaum mehr in der Öffentlichkeit. Dennoch pflege dessen Kabinett einen straffen Regierungsstil, sagt der aus Algerien stammende Politikwissenschaftler Rachid Ouaissa. Gleichwohl habe sich die Staatsführung vom klassischen Autoritarismus früherer Zeiten verabschiedet. "Es gibt zum Beispiel eine freche, kritische Presse. Auch gibt es nicht mehr die massiven Menschenrechtsverletzungen, wie man sie noch in den 1970er Jahren kannte", so der in Göttingen lehrende Politologe gegenüber der DW.

Nicht aufgearbeitet: der algerische Bürgerkrieg der 1990er Jahre. Hier Fotos von Vermissten Bild: DW/Rahim Ichalalen

Dennoch sei die Menschenrechtslage nicht befriedigend, schreibt Amnesty International. Personen, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt sind, würden ohne Zugang zur Außenwelt an geheimen Orten festgehalten und gefoltert. So sei manchen Tätern, die sich während des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren schwerer Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht hatten, Straflosigkeit garantiert. Das Schicksal von über 6000 "Verschwundenen" sei nach wie vor nicht geklärt.

Die „Unberührbaren"

Außerdem moniert die Menschenrechtsorganisation die eingeschränkte Meinungsfreiheit. So sei Kritik an hohen Amtsträgern und an den Sicherheitskräften unter Strafe gestellt. Besonders letztere würden kaum hinreichend kontrolliert, schreibt der in Frankreich lebende algerisch-stämmige Journalist Mohamed Sifaoui in seinem Buch "Histoire secrète de ´Algérie independante". "Die Geheimdienste haben sich in den Rang von Unberührbaren gehoben. Sie sind das wesentliche Entscheidungszentrum, das seit über 20 Jahren das politische Leben in Algerien bestimmt."

Tatsächlich habe dieser Druck auf die politischen Verhältnisse eine hemmende Wirkung, bestätigt Rachid Ouaissa. Es gebe zwar oppositionelle Parteien. Nur seien deren Möglichkeiten stark eingeschränkt. "Die politischen Kräfte sind banalisiert."

Soldaten nach dem Angriff auf das Gasfeld Ain Amenas im Januar 2013Bild: picture-alliance/AP

Herausforderung Dschihadismus

Zudem hat Algerien weiterhin mit dem Dschihadismus zu kämpfen. Zwar hat das Land insbesondere nach der blutig beendeten Geiselnahme ausländischer Techniker auf dem Gasfeld Ain-Amenas im Januar 2013 den Terrorismus entschlossen bekämpft und dabei auch einige militärische Erfolge erzielt. Aber auf Teile der Jugendlichen üben die radikalen Islamisten weiterhin eine hohe Anziehungskraft aus. Noch am vergangenen Mittwoch (15.2.) erschossen Sicherheitskräfte nahe der Hauptstadt Algier fünf mutmaßliche Islamisten.

Der Traum von Europa

Angesichts der schwierigen Lage wollen gerade junge Algerier ihr Land verlassen. Viele fühlten sich ohnmächtig und sähen keine Perspektiven, sagt Rachid Ouaissa. "Darum ist Europa immer noch ihr Traum."

Deutschland hingegen ist nicht gewillt, die jungen Algerier aufzunehmen. Entsprechende Einschränkungen der illegalen Einreise soll Bundeskanzlerin Merkel nun bei ihrem Besuch in Algier voranbringen. Die algerische Regierung steht damit vor einem großen Problem. Denn beim Kampf gegen die Fluchtursachen ist sie auf allen nur denkbaren Ebenen gefordert.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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