"Ich dachte, wir besuchen Pompeji"
5. August 2019Sobald die Sonne hinter den Beton-Wohnblocks am Malatesta-Platz untergeht, tauchen Frauen in bunten Shalwar-Hosen auf, um sich von der Hitze des italienischen Sommertages zu erholen.
"Zwei Tage, nachdem ich aus Bangladesch hier angekommen bin, habe ich angefangen zu weinen", sagt Sumi. Die 25-Jährige hat vor kurzem ihren Cousin geheiratet, der in Italien als Bäcker arbeitet. Als er um ihre Hand angehalten habe, habe sie sich zunächst gefreut, in ein anderes Land ziehen zu können, sagt sie. "Ich dachte, wir würden Pompeji besuchen."
Zurzeit hat das Paar jedoch keine Möglichkeit zu reisen. Sumis Mann arbeitet nachts. Der Alltag ist eintönig geworden: Morgens schläft sie, nachmittags kocht sie für ihn, und ab und zu schafft sie es, ihre Tanten zu besuchen.
Sumi ist studierte Juristin und würde gerne arbeiten. Ihr Mann ist dagegen. "Er hat gesagt: 'Nein, du bist Hausfrau.'"
"Die Mehrheit der Männer aus Bangladesch will Frauen einpferchen", sagt Salma Akhter Zaman. "Sonst könnten sie ihre Augen öffnen und erkennen, dass auch sie Rechte haben." Zaman kommt ebenfalls aus Bangladesch und hat in Krankenhäusern, Schulen und Behörden als Kulturvermittlerin gearbeitet. Sprachkurse seien die beste Möglichkeit für Neuankömmlinge, sich in die italienische Gesellschaft zu integrieren, sagt sie. "Aber die Ehemänner erlauben nicht einmal das. Sie haben Angst, die Frauen könnten zu unabhängig werden."
Zweitgrößte Gemeinschaft Europas
Nach Angaben des Innenministeriums leben in Italien rund 140.000 Menschen aus Bangladesch mit Aufenthaltserlaubnis. Mehr leben innerhalb Europas nur noch in Großbritannien.
Francesco Pompeo, ein Anthropologe, der den Alltag von Migranten in Rom erforscht, schätzt, dass die tatsächliche Zahl höher ist: "Ein Drittel von ihnen hat keine reguläre Aufenthaltserlaubnis", sagt er.
"Es handelt sich in der Regel um junge Frauen, die hierher gekommen sind, um mit ihren Männern zu leben", sagen die Wissenschaftlerinnen Katiuscia Carnà und Sara Rossetti, die das Buch "Kotha - Frauen aus Bangladesch in Rom" geschrieben haben.
Männliche Migranten, die in Europa lukrative Arbeit suchen, werden Probashi genannt. Nach ein paar Jahren im Ausland suchen ihre Familien eine Frau für sie aus und arrangieren eine Hochzeit in Bangladesch. Wenn die Männer nach Hause kommen, um ihre zukünftigen Bräute zu treffen, schmücken sie gerne ihre Auswanderergeschichten aus, denn der Stolz der Gemeinschaft in der Heimat ist wichtig. "Migration ist ein Familienprojekt, und diejenigen, die reisen, werden als das Juwel gesehen", sagt Rosetti.
Die Realität in Italien ist oft rauer. Viele Menschen aus Bangladesch lassen große Familien zurück und teilen sich im Ausland kleine Häuser mit anderen Paaren oder alleinstehenden Männern. Weil ihre Ehemänner hart arbeiten und nur zum Schlafen und Essen nach Hause kommen, schrumpft die Welt der Frauen auf die Größe ihrer winzigen Schlafzimmer.
"Mein Job hat mir Antrieb gegeben"
"Ich war innerlich tot. Die Italiener hatten Freunde und Familien. Ich hatte niemanden", sagt die 46-jährige Sultana. Sie steht hinter einer Ladentheke, auf der ordentlich gefaltete Saris und knöchellange Röcke - Lehengas - liegen.
Es war die Einsamkeit, die Sultana vor 18 Jahren motivierte, das erste traditionell bengalische Modegeschäft im Viertel Tor Pignattara zu eröffnen. "Der Laden hat mir Antrieb gegeben", sagt sie. "Heute kommen viele Frauen hier vorbei. Es ist, als hätte man eine erweiterte Familie." Die Unterstützung ihres Mannes Nurum war für das Vorhaben entscheidend, räumt sie ein. "Ich war freier als die anderen Frauen, weil er immer an mich geglaubt hat."
In der Nachbarschaft sind einige Selbsthilfe-Organisationen aktiv, die Frauen aus Bangladesch unterstützen sollen. An einem Donnerstagabend trifft sich die Wohlfahrtsorganisation Mohila Somaj Collan Someti bei Laila Fashion, einem anderen Modegeschäft in der Nähe von Sultanas Laden. In vier Tagen findet an der Cascata delle Marmore, einem künstlichen Wasserfall in der Region Umbrien, ein von der Gruppe organisiertes Picknick statt. Die Mitarbeiter des Geschäfts haben schon zwei Busse gebucht.
"Wir versuchen einfach, unseren Frauen zu helfen", sagt die 46-jährige Laila Shah, die den Verein leitet. Sie findet, dass Männer immer noch zu viel Kontrolle über ihre Frauen ausüben. "Sprache und Mangel an Arbeitsplätzen: Das sind die Probleme, mit denen die Frauen in dieser Gemeinschaft konfrontiert sind." Nach Angaben des Innenministeriums arbeiten mehr als zehn Prozent der 38.000 Frauen regelmäßig.
Die nächste Generation
"Ich fände es toll, wenn Frauen aus Bangladesch rauchen und nachts ausgehen würden, weil das mit den Klischees brechen würde", sagt Sahila Mahiuddin, 28. Wenn sie leidenschaftlich spricht, gestikuliert sie - ganz italienisch - mit den Armen. Sahila wurde zu einer aufgeschlossenen Frau erzogen. Als ihre Mutter ihr erlaubte, nachts draußen zu bleiben, gab sie ihr einen simplen Rat: "Verstecke dich vor den anderen aus der Gemeinschaft."
"Menschen aus Bangladesch sind besessen von 'Manush ki bolbe', was so viel bedeutet wie 'Was werden die Leute sagen?'", erklärt Sahila. Sie hat als Kulturvermittlerin gearbeitet und ist überzeugt, dass diese Haltung bei einigen Paaren zu Belästigung und Gewalt führt, die in der Regel vertuscht werden.
Wie viele ihrer Landsleute, die in zweiter Generation in Italien leben, liebt Sahila die Kultur ihrer Familie, kann aber Vorurteile und Stereotype nicht ausstehen. "Die erste Frau Mohammeds war eine begabte Händlerin. Deshalb sind die Männer, die ihren Sexismus mit Religion rechtfertigen, nur Opportunisten."
Allmählich änderten sich die Verhältnisse, sagt Sahila. Frauen aus Bangladesch arbeiteten immer häufiger als Pflegerinnen, Kulturvermittlerinnen, Kellnerinnen und Friseurinnen.
Die rebellischen Jahre, in denen sie sich mit ihrer Mutter gestritten hat, hat sie hinter sich gelassen. Sie hat ein Studium an der Universität La Sapienza abgeschlossen, einen Mann aus Bangladesch geheiratet und arbeitet in einer Steuerberatung. Ihre Ansichten haben sich aber nicht geändert. "Wenn ich an meine Zukunft als Mutter denke, möchte ich einfach nur, dass meine Kinder so frei sind wie möglich."