1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Traum vom Fliegen mit grünem Strom

Andreas Spaeth
24. Januar 2023

Es könnte die größte Revolution seit Erfindung des Düsenantriebs werden, aber noch sind für elektrische Linienflüge viele Hürden zu überwinden. Vor allem bei der Batterietechnologie klemmt es.

Elektrisches Flugzeug Alice Eviation Aircraft
Bild: Eviation Aircraft

Was bei den Kerosinschluckern die Concorde war - das zeitlos schönste Flugzeug aller Zeiten - könnte in etwas bescheidenerer Form ein Elektroflugzeug namens Alice für die ersten Generation des nachhaltigen Fliegens sein. Ihr Erstflug gelang am 27. September 2022 auf dem Flughafen von Moses Lake im US-Bundesstaat Washington, eine Weltpremiere.

Die neunsitzige Alice ist das bisher einzige von vornherein ausschließlich zum Flug mit Batteriestrom entwickelte Verkehrsflugzeug, gebaut von der Firma Eviation, die in Israel gegründet wurde und jetzt ansässig ist im pazifischen Nordwesten der USA. Alice wirkt sehr attraktiv, das ästhetische Design dient allerdings nur dazu, ihre Flugeigenschaften zu optimieren.

Die Alice von Eviation Aircraft in Moses Lake in WashingtonBild: Eviation Aircraft

Das Problem sind die Batterien

Sie ist nicht mehr als typische Röhre mit Flügeln und Leitwerk dran konzipiert, sondern sieht eher aus wie ein schlanker Wal mit scharf geschnittener, nach unten abgeflachter Nase, langen schmalen Tragflächen und einem in der Mitte breiten Rumpf, der sich nach hinten verjüngt. Die Rumpfform selbst sorgt für zusätzlichen Auftrieb, um mitzuhelfen, das immense Gewicht der Batterien von über dreieinhalb Tonnen in die Luft zu stemmen. Am T-förmigen Leitwerk hängen zwei Magni650-Elektromotoren mit jeweils 634 kW (850 PS), die eine Reisegeschwindigkeit von 407 km/h ermöglichen sollen.

Das große Problem von Elektroflugzeugen zeigt sich auch bei Alice: Die Batterien sind noch zu groß, zu schwer und liefern zu wenig Energie für effizientes und längeres Fliegen. Nach dem erfolgreichen Erstflug von nur acht Minuten Dauer senkte das Unternehmen die angepeilte Reichweite nochmals dramatisch ab - auf nur noch 445 Kilometer anstatt zuvor 815.

Damit können Elektroflugzeuge zunächst nur auf Nischenmärkten eingesetzt werden, trotzdem sind sie begehrt: "Rein elektrisches Fliegen ist sehr sexy, weil es einen sehr hohen elektrischen Wirkungsgrad von 90 Prozent hat, wenn man etwa die Batterien mit Strom aus Windenergie auflädt", erklärt Björn Nagel, Leiter des Instituts für Systemarchitekturen beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg.

Etliche Bestellungen liegen vor

Erste Auslieferungen an Alice-Kunden sind schon für 2027 geplant, "vorausgesetzt die Batterietechnologie entwickelt sich so weiter wie wir annehmen", so Eviation-Chef Gregory Davis, und die Zertifizierung läuft planmäßig. Und Kunden gibt es einige: Erstkäufer war Cape Air aus dem Nordosten der USA mit 75 angekündigten Orders, die Charterfirma GlobalX Airlines will 50 Alice, die Deutsche Post hat für DHL zwölf davon in der Frachtversion bestellt.

Computeranimation der Alice in der Version für den Logistik-Konzern DHL Bild: DHL

Eine deutsche Passagiergesellschaft gibt es in der Kundenliste auch schon: Evia Aero, eine in Aufbau befindliche "nachhaltige Regionalfluggesellschaft" aus Bremen, hat eine Absichtserklärung zum Kauf von 25 Alice unterschrieben. Und Ende 2022 bekam sie Zuspruch von der ersten großen Passagier-Airline: Air New Zealand zeichnete Optionen für 23 Exemplare. Mitte Januar kam eine weitere Bestellung über 30 Alice aus Mexiko.

An Elektroantrieben für Flugzeuge getüftelt wird auch im Süden Münchens, bei Airbus in Ottobrunn laufen diverse Hybridantriebe etwa für Flugtaxis bereits in Labortests. Nicht weit davon ist auch Rolls-Royce Electrical auf dem Siemens-Campus in Neuperlach der Flugzukunft auf der Spur. Eher unscheinbar sieht der Teststand aus, in dem, durch dicke Stahltüren gut gesichert vor neugierigen Blicken, ein Prototyp des Rolls-Royce RRP200D steht. Es soll einmal die größte Revolution bei Flugantrieben seit Erfindung des Düsentriebwerks 1937 einleiten.

Zukunft des Fliegens? Der Elektromotor von Rolls RoyceBild: Andreas Spaeth/DW

Kommt die Revolution?

Der Motor selbst fällt allerdings kaum auf, ein Metallring so groß wie ein Wagenrad mit einer Art fünfarmigen Spule, die sich im Inneren dreht. Mehr nicht. Dabei handelt es sich um den Rotor mit Magneten und die Lager. Unglaublicher Minimalismus im Vergleich zu den komplexen Monstren der Verbrennungstriebwerke, die über rund 18.000 bewegliche Teile verfügen. In einem Elektro-Flugtriebwerk finden sich gerade noch 18 rotierende Elemente. Das gibt einen Vorgeschmack auf die Revolution, auf die sie bei Rolls-Royce und in weiten Teilen der Luftfahrtbranche hoffen. 

Das Streben nach einem nachhaltigen, umweltfreundlichen Passagierflugzeug mit Elektroantrieb ist ein ganzes Stück vorangekommen, aber immer noch weit weg von der Praxistauglichkeit im Flugverkehr. Es klingt so schön - analog zu den immer weiter verbreiteten Elektroautos müssten sich doch auch Flugzeuge mit möglichst grünem Batteriestrom antreiben lassen. Und damit helfen, die ehrgeizigen Branchen- und EU-Ziele für klimafreundliches, nachhaltiges Fliegen bis 2035 zu verwirklichen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. "Für rein elektrische Passagierflüge sind wir sehr pessimistisch", sagt Björn Nagel vom DLR. Bei Rolls-Royce ist man da deutlich positiver gestimmt. Möglicherweise schon 2026 soll bei der norwegischen Regionalfluggesellschaft Widerøe das neunsitzige Propellerflugzeug Tecnam P-Volt rein elektrisch betrieben zu Linienflügen abheben - mit zwei der erwähnten Elektromotoren aus dem Haus Rolls-Royce.

"Wenn es erfolgreich ist, wird der Motor nur leicht surren", hofft Stefan Breunig, Strategiechef von Rolls-Royce Electrical. Das Unternehmen hat bereits 2019 einen 2,5 Megawatt-Generator im Labor getestet, der eines Tages größere Regionalflugzeuge mit bis zu 50 Sitzen elektrisch antreiben könnte.

E-Flugzeug von Tecnam in Diensten der skandinavischen Fluggesellschaft Wideroe (Computeranimation) Bild: Tecnam

Zwischen Skepsis und Optmimismus

Wenn da nur nicht das leidige Problem der Batteriekapazität wäre. Die Tecnam P-Volt wird anfangs kaum über 150 Kilometer Reichweite mit einer Batterieladung kommen, inklusive der vorgeschriebenen 30 Minuten Energiereserve. Das mag reichen, um bestimmte Kurzstrecken in Norwegen zu bedienen, wird aber anderswo wenig nützlich sein.

"Ich bin skeptisch bei allem, was batterieelektrisch fliegt wegen des Reichweitenproblems, das kann eigentlich nur bestimmte Nischen bedienen. Wir werden auch in näherer Zukunft keine Batterien sehen mit nennenswerter Steigerung in der Energiedichte", sagt Lars Enghardt, Leiter des DLR-Instituts für Elektrifizierte Luftfahrtantriebe in Cottbus. Klar ist, dass es für die begrenzten Möglichkeiten purer Elektroantriebe in der Verkehrsluftfahrt nur wenige Anwendungen geben wird, etwa in Norwegen als Pionierland. Durchsetzen werden sich für längere Strecken und größere Flugzeuge hybridelektrische Konzepte. 

Das ficht Grazia Vittadini nicht an. Die Technologiechefin von Rolls-Royce, zuvor in gleicher Rolle bei Airbus tätig, betont: "Wir meinen es ernst mit dem elektrischen Fliegen und werden Schritt für Schritt sinnvolle Anwendungen dafür finden." Für die dynamische Italienerin zeichnen sich bis 2035 große Möglichkeiten ab: "Bis dahin werden wir Flugzeuge sehen, die voll elektrisch fliegen, bis hin zu 30-Sitzern, und für uns ist Norwegen dabei absoluter Vorreiter in Europa."

Das Rennen um das Fliegen mit grünem Strom ist eröffnet.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen