Flüchtlingsstrom
21. November 2007Für den heute 28jährigen Jonas aus Eritrea gab es keinen Grund, in seiner Heimat zu bleiben. Dort hat er zwar eine höhere Schulausbildung und arbeitete in einem Erdölkonzern, doch von dem Geld, was er dort verdiente, hat er seine Familie nicht ernähren können. Und in der eritreischen Diktatur konnte er nicht frei seine Meinung sagen. Vor drei Jahren entschied sich Jonas deshalb, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen.
"Mein Ziel war es nach Europa zu kommen, um Ausbildung und einen guten Job zu finden. Die Eritreer sind ein Volk ohne Hoffnung. Ich wollte eine Perspektive finden und letztendlich auch etwas davon an mein Volk zurückgeben.“
Lebensgefährliche Überfahrt
Was ihn auf der Überfahrt in Richtung Europa erwartet hat, das wusste Jonas vorher nicht. Viele von seinem Boot seien einfach ins Wasser gefallen, auch an Entkräftung gestorben. Auf der östlichen Route von Afrika nach Europa - auf dem Seeweg nach Italien - kentern viele Boote der Schleuser. Immer wieder greift der Grenzschutz Afrikaner auf, die sich in akuter Seenot befinden. Jonas schaffte es nach Malta, verbrachte dort zunächst ein Jahr in einem der geschlossenen Auffanglagern. Heute ist er in einem Übergangsheim der katholischen Kirche untergebracht.
Am Rande der Aufnahmefähigkeit
Der kleine Staat mit seinen 400.000 Einwohnern ist am Rande seiner Aufnahmefähigkeit. Dennoch leistet sich Malta eine vergleichsweise liberale und humanitäre Flüchtlingspolitik. Mehr als die Hälfte der Migranten darf für eine Übergangszeit bleiben. Das betrifft vor allem Flüchtlinge aus Bürgerkriegs- und Konfliktgebieten, zum Beispiel Somalia. Asyl aber erhält kaum jemand. Wer ein humanitäres Bleiberecht genießt, kann in kirchlichen Einrichtungen unterkommen wie der offenen Flüchtlingsunterkunft Balzan, in der auch Jonas wohnt.
Wer mit den Flüchtlingen in Balzan spricht, trifft überall auf die verheerenden Folgen der afrikanischen Bürgerkriege. Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste, aus Somalia, Äthiopien und Eritrea haben dort eine Zweckgemeinschaft gegründet, lernen Englisch, können ihre Kinder in die Schule schicken.
Malta fordert eine quotierte Verteilung von Flüchtlingen auf alle Staaten Europas, und konkrete finanzielle und organisatorische Unterstützung bei der Grenz- und Gewässerkontrolle. Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX soll das leisten, doch die Kontrollen sind lückenhaft. Drei geschlossene Internierungslager hat der maltesische Staat eingerichtet. Sie platzen aus allen Nähten, müssen viel mehr Flüchtlinge aufnehmen als ursprünglich geplant. Rund 800 Illegale befinden sich dort - oft für Monate. Die Beziehung zu den Maltesen sei nicht einfach, weil es zu viele von ihnen in dem kleinen Land gibt, sagt Jonas.
Keine Job-Perspektiven
"Hier gibt es eigentlich keine echte Möglichkeit, weiterzukommen, sich weiterzubilden. Auch wenn man Fähigkeiten mitbringt, kann man diese doch nicht einsetzen. Es gibt nur Arbeit für Ungelernte, harte Arbeit.“
Jonas ist der Wortführer der anderen Flüchtlinge in Balzan. Als kürzlich Bundespräsident Köhler die Flüchtlingslager auf Malta besuchte, fordert er eindringlich: Tut mehr für uns afrikanische Flüchtlinge, teilt die Verantwortung und nehmt uns endlich wahr.
Für den Bundespräsidenten ist das Thema Migration nur längerfristig und mit gemeinsamer Anstrengung zu bewältigen. Bei der Entwicklung einer gemeinsamen Afrikapolitik müsse Europa mit einer Stimme sprechen, forderte Köhler in Malta. Migration lasse sich nur eindämmen, wenn sich die Situation in den Herkunftsländern verbessere.
Gescheiterte Flüchtlinge in Mauretanien
Während Malta noch auf die Unterstützung der EU rechnen kann, ist der Umgang mit Flüchtlingen im armen Mauretanien kaum zu organisieren. Im äußersten Nordwesten des Landes liegt das Handelszentrum Nouadhibu mit 90.000 Einwohnern. Wer die 800 Kilometer lange Überfahrt auf die Kanarischen Inseln nicht schafft, kentert oder vom spanischen Grenzschutz aufgegriffen wird, der wird vom Roten Kreuz Mauretanien in Nouadhibu unterstützt. Die spanische Guardia Civil unterstützt Mauretanien mit Satelliten, Radar, Helikoptern und Schnellbooten. Sie versuchen, einen Menschenstrom aufzuhalten, der vor Armut und Perspektivlosigkeit flieht.
"Die Menschen verlassen ihr Land in der Hoffnung, dass sie Arbeit finden und ein besseres Leben führen können. Sie wollen also um jeden Preis nach Europa. Wenn Sie in Nouadhibu scheitern, dann haben sie das Gefühl einer Niederlage“, sagt die Koordinatorin des Roten Kreuzes im Bereich Gesundheit Dr.Lalla Moulaty.
Nouadhibu liegt an der Grenze zu Marokko, von hier aus kann der Seeweg in Richtung Kanaren eingeschlagen werden. Allein im September dieses Jahres kamen 230 Afrikaner im Übergangsheim des Roten Kreuzes an - aus dem Senegal und Mali hauptsächlich, aber auch aus Gambia und Guinea. Selten kommen die Flüchtlinge auch von weiter her. Im September ein Schiff aus Asien mit rund 400 Flüchtlingen aus Kaschmir und Myanmar. Auch sie hat der Traum von einem besseren Leben zum Aufbruch getrieben.
"Zwei oder drei haben uns davon erzählt. Sie haben uns gesagt, dass ihre Familien Geld gesammelt hätten, um die Flucht ihrer Söhne zu finanzieren, damit diese ihnen Geld nach Hause überweisen. Das heißt, eine ganze Familie setzt ihre Hoffnung in den Flüchtenden und sammelt dafür."
Endziel Europa
Wenn die Migranten aufgegriffen werden, dann führt man sie in Auffanglager, das Rote Kreuz begleitet sie bis zur Grenze von Mali oder dem Senegal, zum Beispiel über den Grenzort Rosso. Die staatlichen Auffanglager wurden ebenfalls von den Spaniern mit geschaffen, das Rote Kreuz betreut die Flüchtlinge medizinisch, mit Nahrung und Wohnung.
In Mauretanien könnten viele der afrikanischen Flüchtlinge bleiben, denn die meisten brauchen für Mauretanien kein Visum. Doch ihr Ziel ist Europa.
Und auch Jonas ist auf Malta noch nicht am Ende seiner Reise. Seine Idee von einem besseren Leben in Europa will er nicht aufgeben.