Warum der Osten des Kongo nicht zur Ruhe kommt
1. März 2025
Ein gutes Jahrzehnt nach ihrer Gründung ist die Rebellengruppe M23 so stark wie nie. Schon einmal kontrollierte sie große Teile von Nordkivu und die Provinzhauptstadt Goma. Doch während sie 2012 zum Rückzug bewegt werden konnte, setzt sie ihren Vormarsch seit Januar ungehindert fort und eroberte kurz darauf mit Bukavu in Südkivu eine weitere Provinzhauptstadt. Wie ist es der M23 gelungen, zu solch einer Stärke zu gelangen? Und was läuft anders als 2013, als Kongos Armee gemeinsam mit UN-Soldaten und einer schnellen Eingreiftruppe die M23 schließlich ganz besiegen konnte?
Punkt eins: Besiegt ist nicht gleich befriedet
Genau hier liegt schon eine Schwierigkeit: Nicht jedes Mal, wenn Kämpfer im Kongo ihre Waffen niederlegen, ist ein Konflikt beendet. Tatsächlich stand so eine gescheiterte Integration auch am Anfang der M23, die 2012 aus den Überbleibseln der Rebellengruppe "Nationalkongress für die Verteidigung des Volks" (CNDP) hervorging. Diese Gruppe hatte sich dem Schutz der Tutsi-Bevölkerung im Kivu verschrieben.
Kongos Regierung habe mehrere Versuche unternommen, den CNDP zu entwaffnen und in die eigene Armee zu integrieren, sagt Stephanie Wolters, die am Südafrikanischen Institut für Internationale Angelegenheiten (SAIIA) zu Afrikas Region der Großen Seen forscht. "Das hat nie funktioniert, weil die Integration nicht vollständig war", so Wolters im DW-Interview. "Sie wurden Teil der Armee, hatten aber weiterhin ihre eigene Kommandostruktur, ihre eigene Führung und verfolgten ihre eigenen Ziele." Die M23 ihrerseits warf der Regierung in Kinshasa in ihrem Gründungsmanifest vor, ihren Teil eines Friedensvertrags vom 23. März 2009 nicht eingehalten zu haben.
Punkt zwei: Der abwesende Staat
Die Rolle des Staats ist ein entscheidender Punkt: Immer wieder warfen Menschen im Ostkongo der Regierung im 2000 Kilometer entfernten Kinshasa vor, sich zu wenig um eine Lösung des Konflikts zu bemühen. Die Sicherheitskräfte sind zu schlecht ausgestattet, um das staatliche Gewaltmonopol auf den insgesamt fast zweieinhalb Millionen Quadratkilometern des Kongo durchzusetzen. Dazu kommt, dass Kongos Soldaten immer wieder monatelang auf ihr Gehalt warten müssen - eine Folge der Korruption. So schafft die Regierung selbst Anreize, die schutzbefohlene Bevölkerung zu erpressen.
Für Pacifique Zikomangane, einen kongolesischen Experten in internationalen Beziehungen, geht das Problem aber noch weiter: "In Abwesenheit der kongolesischen Armee und Polizei sind bewaffnete Gruppen [in manchen Gebieten] zum alleinigen Garanten für Sicherheit und Verwaltungsdienstleistungen geworden", schreibt Zikomangane auf der Website der Denkfabrik The International Scholar. So gewinnen zahlreiche bewaffnete Gruppen, die jeweils eigene Ziele verfolgen, eine Form von Legitimation.
Punkt drei: Alte Konfliktlinien, handfeste Machtinteressen
Dazu kommen die komplexen Verflechtungen in der Region. Historiker verweisen darauf, dass ruandischstämmige Gruppen schon mindestens seit Ende des 19. Jahrhunderts in der heutigen Kivu-Region zu Hause sind. Im heutigen Ruanda machte sich die belgische Kolonialmacht alte sozial-ethnische Konfliktlinien zunutze, um ihre Herrschaft zu sichern. "Im Bestreben, sich die Hutu-Mehrheit zu unterwerfen, haben die belgischen Machthaber eine Politik der Spaltung betrieben und die die Tutsi-Elite mit mehr Macht ausgestattet", schreibt Zikomangane. Diese ethnischen Spannungen hätten 1994 zum ruandischen Genozid an den Tutsi und moderaten Hutu geführt.
Der Völkermord wurde beendet, als die damalige Tutsi-Rebellengruppe RPF unter Führung von Paul Kagame - heute Präsident von Ruanda - in Kigali einmarschierte. Unter den Hunderttausenden ruandischen Flüchtlingen im Ostkongo fanden sich sowohl Angehörige der Tutsi-Minderheit als auch Hutu-Milizen, die vor Kagames Kämpfern flohen. Diese Gemengelage gilt heute als entscheidender Faktor für Jahrzehnte des Konflikts im Ostkongo, angefangen mit den zwei Kongokriegen ab 1996. Nicht zuletzt war es Ruandas Präsident Kagame, der immer wieder bessere Rechte für die ruandischstämmige Bevölkerung im Kongo forderte - und unter dem Vorwand, die Hutu-Milizen besiegen zu wollen, mehr als einmal im Kongo einmarschierte.
Dabei sei die Realität heute eine ganz andere, sagt Große-Seen-Expertin Stephanie Wolters. Die letzten Hutu-Kämpfer stellten für Ruanda keine ernsthafte Gefahr mehr dar, hätten das Land seit fast 20 Jahren nicht mehr angegriffen, sagt Wolters der DW. "Hier geht es um etwas anderes: Es geht um Ruandas Wunsch, den Ostkongo zu seinem eigenen Nutzen zu kontrollieren."
Punkt vier: Die Rohstoffe
Eine Kontrolle, die sich auszahlt: Im Kivu lagern erhebliche Mengen an Gold und große Teile der weltweiten Coltanreserven. Die Mineralgruppe ist entscheidend für die Produktion von Laptops und Smartphones. Laut Richard Moncrieff von der International Crisis Group spielen die Rohstoffe in den Konflikten seit den 1990er Jahren eine entscheidende Rolle.
"Kongolesische bewaffnete Gruppen und fremde Armeen, darunter die von Ruanda, Burundi und Uganda, haben alle im Kongo interveniert. Sie versuchen sich gegenseitig zurückzudrängen und die Kontrolle über ihre Einflussgebiete zu behalten", sagt Moncrieff im DW-Interview. "Unglaubliche Mengen an Bodenschätzen, darunter Gold, Coltan und andere, sind aus dem Land geschafft worden und finanzieren den Krieg." Als entscheidenden Faktor für den erneuten Vormarsch der M23 nennen Beobachter, dass der Kongo in den letzten Jahren umfassende Sicherheitspartnerschaften mit Uganda und Burundi vereinbart hatte. Verhandlungen mit Ruanda hingegen sind gescheitert.
Punkt fünf: Die Zurückhaltung der Internationalen Gemeinschaft
Seit rund vier Jahren ist die M23 wieder im Ostkongo aktiv. Warum ist es in dieser Zeit nicht gelungen, die Rebellengruppe zurückzudrängen, wie dies 2013 möglich war? In einem DW-Interview Ende Januar beklagte Martin Kobler, der frühere Leiter der UN-Mission im Kongo, ein mangelndes Durchgreifen auch der UN-Friedenstruppen, obwohl diese immer noch mit einem robusten Mandat ausgestattet seien.
2013 endete der Vormarsch der M23 unter massivem Druck der internationalen Gemeinschaft - damals wiederrief auch Kagame seine Unterstützung für die Miliz. Derart klare Positionierungen gebe es heute nur von Belgien und den USA, meint Wolters: "Frankreich sprang hin und her, Großbritannien war lange auf Ruandas Seite, weil es einen Asylplan mit dem Land verfolgte. Die EU hat alles Mögliche gemacht, weil es schwierig war, eine einheitliche Position zu finden. Selbst heute sehen wir das nicht."
Vielleicht noch schwerer wiegt die Tatsache, dass afrikanische Akteure - nach Wolters' Einschätzung - fast unsichtbar geblieben sind. Zwar habe es Friedensbemühungen in Luanda und Nairobi gegeben, doch beide seien letztlich gescheitert. Ruandas Präsident Kagame, der seine Einmischung im Kongo stets leugnete, zeigte sich bislang uneinsichtig, der M23 seine Unterstützung zu entziehen. Kongos Präsident Félix Tshisekedi hingegen wehrt sich gegen direkte Verhandlungen mit der M23, da diese nur Gehilfin Kagames sei. Ausgerechnet die drei afrikanischen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats verhinderten zuletzt, dass dieser in seinen Resolutionen Ruanda klar verurteilte.
Der Widerwille, sich Ruanda entgegenzustellen, hat Gründe, wie Wolters darlegt: "Kagame hat die Reform der Afrikanischen Union vorangetrieben, er verfügt über wirklich gute Diplomaten, bringt seine Leute in wichtige Funktionen: Als Chefin der Frankophonie oder als Vertreter des UN-Generalsekretärs in verschiedenen Friedensmissionen. All das hat er gezielt kultiviert. Und damit bewegt er sich gewissermaßen in einer anderen Liga." In den letzten Jahren baute Ruanda etwa seine Friedenseinsätze aus, entsandte Truppen nach Mosambik und in die Zentralafrikanische Republik. Berichte in den eigenen Medien legen nahe, dass sich die Regierung in der Rolle gut gefällt.
Doch für Experten gibt es keine Alternative: Erst durch internationalen Druck werde Ruanda, ähnlich wie 2013, seine Rolle im Kongo überdenken. Das Land ist bis heute auf Entwicklungshilfen angewiesen.
Mitarbeit: Terry Martin