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"Der Welfenschatz muss zurückgegeben werden"

Sarah Judith Hofmann 3. März 2015

Die Erben jüdischer Kunsthändler, denen einst der Welfenschatz gehörte, haben in Washington Klage eingereicht. Ihre Anwälte erklären im DW-Interview, warum dies der einzige Ort ist, von dem sie Gerechtigkeit erwarten.

Kunstwerk aus dem Welfenschatz und Museumsbesucherin
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

DW: Der Versuch der Erben jüdischer Kunsthändler den Welfenschatz zurückzuerlangen, begann 2008. Damals schrieben Sie, Herr Stötzel, an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der Welfenschatz sei 1935 unter Druck und weit unter Wert verkauft worden. Letztes Jahr befand die Limbach-Kommission, es habe sich nicht um einen "verfolgungsbedingten Zwangsverkauf" gehandelt. Nun haben Sie Klage beim Gericht in Washington D.C. eingereicht. Warum?

Markus Stötzel: Wir haben bereits 2008 begonnen, Beweisdokumente zu recherchieren. In den Archiven der Dresdner Bank fanden wir mehr als 200 Seiten offizieller Sitzungsprotokolle, Mitteilungen und Briefwechsel zwischen dem preußischen Staat, der Dresdner Bank – die damals maßgeblich als Treuhänder Preußens fungierte – und den Kunsthändlern. Aus diesen Berichten und weiteren Beweisen, die wir andernorts gefunden haben, ging hervor, dass es sich um einen sogenannten NS-Vermögensverlust handelt. Bereits damals bestand kein Zweifel daran, dass unseren Mandanten ein Rückgabeanspruch zusteht. Die Limbach-Kommission hat dann eine nicht bindende Empfehlung abgegeben, die unsere Mandanten als unfair empfanden. Und da es in Deutschland bisher keine gesetzlichen Regelungen für die Restituierung von NS-Raubkunst gibt, blieb ihnen nichts anderes übrig, als in den USA zu klagen. Das ist der richtige Ort und das richtige Forum, um Gerechtigkeit zu erlangen.

Aber war es nicht Ihre Idee, die Limbach-Kommission einzuschalten? Warum können Sie die Entscheidung der Kommission jetzt nicht akzeptieren?

Stötzel: Ich glaube, es besteht bei vielen ein großes Missverständnis von der Rolle und Aufgabenstellung der Limbach-Kommission. Sie wurde 2003 gegründet, um als Mediatorin in Fällen wie dem vorliegenden zu vermitteln. Sie ist jedoch kein Gericht, und ihre Entscheidungen sind nicht bindend.

Was ist jetzt das Ziel? Wollen Ihre Klienten den Welfenschatz zurück? Oder wollen sie eine finanzielle Entschädigung?

Mel Urbach: Was unsere Klienten in erster Linie wollen, ist Anerkennung. Sie haben das Gefühl, dass durch ein unfaires Verfahren auf den Erinnerungen an ihre Familien herumgetrampelt wurde. Die Familien der Kunsthändler waren gute deutsche Staatsbürger. Sie lebten seit Jahrhunderten in Deutschland, waren Teil der deutschen Gesellschaft, sie hatten im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft, einige waren sogar mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Und dann fanden sie sich nach 1933 plötzlich in einer höchst schwierigen Lage wieder, mussten schließlich aus ihrer Heimat fliehen und sich andernorts neu zurechtfinden. Diese Geschichte hat bislang keine Anerkennung gefunden. Wir wollen von der SPK und der deutschen Regierung hören: Wir erkennen an, was den Familien ihrer Mandanten während der Zeit des Nazi-Terrors angetan wurde.

Das Konsortium deutsch-jüdischer Kunsthändler, das den Welfenschatz bis 1935 besaß. Es klagen heute stellvertretend für alle Erben: ein Enkel und ein Großneffe der KunsthändlerBild: Sullivan & Worcester

Aber Sie verklagen die Bundesregierung Deutschland doch nicht nur um der Anerkennung willen vor einem Washingtoner Gericht ? Es geht doch auch um finanzielle Wiedergutmachung oder nicht?

Stötzel: Die Klageschrift macht deutlich: Der Welfenschatz muss zurückgegeben werden, und US-Gerichte bieten dafür das richtige Forum. Auch die SPK hat übrigens schon vor amerikanischen Gerichten geklagt: nämlich als es darum ging, ein Kunstwerk zurückzubekommen, das in den Kriegswirren gestohlen wurde. Und sie haben gewonnen. Deutschland hat bislang kein Gesetz für Restitutionsfälle, anders als beispielsweise Österreich. Also wenden sich unsere Mandanten, ebenso wie die SPK selbst, an amerikanische Gerichte.

Können Sie vor dem Gericht in Washington D.C. denn irgendwelche neuen Dokumente präsentieren, die nicht schon die Limbach-Kommission gesehen hat?

Urbach: Wir sind in der Tat beispielsweise im Cleveland Museum of Art auf neue Beweise gestoßen. Es handelt sich um die Tagebuchaufzeichnungen des ehemaligen Direktors des Museums, der einen Teil des Welfenschatzes von dem jüdischen Kunsthändlerkonsortium gekauft hatte. Obwohl er in den 1930er Jahren in den USA lebte, machte er sich Sorgen, was mit der Welfenschatz-Sammlung in Cleveland passieren könnte, da die Nazis den Schatz offensichtlich zurückhaben wollten. Er war auch besorgt um die jüdischen Kunsthändler, die ja noch in Deutschland waren. Da er immer wieder nach Deutschland fuhr und mit ihnen Kontakt hatte, ist er ein wichtiger Zeitzeuge, auch wenn er heute nicht mehr lebt. 70, 80 Jahre nach den Ereignissen müssen wir nun einmal mit schriftlichen Beweisen auskommen. Diese belegen aber eindeutig, dass die Kunsthändler NS-Verfolgte waren.

Zwei der drei Anwälte der Erben: Mel Urbach und Markus StötzelBild: Mel Urbach/Markus Stötzel

Man könnte aber entgegnen: Der Preußische Staat hat immerhin 4,25 Millionen Reichsmark gezahlt. Sie haben den Schatz nicht einfach gestohlen.

Urbach: Die führenden Nazis, inklusive Hermann Göring, wollten keineswegs als Diebe gesehen werden, sie haben sich geschickt verstellt. Während des Krieges hat sie das vielleicht nicht mehr sonderlich geschert, aber in den ersten Jahren des Terrors war der Modus Operandi die "Arisierung" von Besitz als pseudo-legale Transaktionen, als Verkäufe zu maskieren und zu propagieren. Und unsere Mandanten sind besorgt darüber, dass diese Schachzüge der Nazi-Propaganda bis ins Jahr 2015 nachwirken. Es handelte sich eindeutig um ein von den Nazis dominiertes Geschäft – wir sprechen hier schließlich nicht von irgendeinem Nazi, sondern von Hermann Göring, dem damaligen Ministerpräsidenten Preußens, der ganz eindeutig hinter dem Kauf des Welfenschatzes stand. Die Kunsthändler waren in Lebensgefahr, einzig aus dem Grund, dass sie es gewagt hatten, den Welfenschatz zu besitzen und Teile davon in den USA zu verkaufen. Zu glauben, dass diese Menschen auch nur annähernd freiwillig verkauften, ist schlicht grotesk und entspricht keineswegs der Wahrheit.

Stötzel: Der gesamte Verkauf wurde von den Nazis manipuliert und dies können wir mit den Dokumenten des Dresdner Bank-Archivs belegen. Der Preis lag weiter unter dem eigentlichen Marktwert der Zeit. Und das Geld landete nicht einmal in den Taschen der Kunsthändler, die nach 1933 durch Parolen wie "Kauft nicht bei Juden" in den Ruin getrieben wurden. Sie brauchten das Geld, um ihre Schulden zurückzahlen zu können. In der Nachkriegszeit hat eine der Familien festgehalten, dass der Welfenschatz für sie auch ein unfassbarer finanzieller Verlust war. Gewinn haben die Familien mit Sicherheit nicht gemacht.

Wie hoch schätzen Sie den eigentlichen Wert des Welfenschatzes in der Klageschrift?

Urbach: Wir gehen davon aus, dass der Verkaufspreis 1935 in etwa 35 Prozent des realen Marktwerts entsprach.

Noch im Kunstgewerbemuseum Berlin zu sehen: der WelfenschatzBild: picture-alliance/dpa/A. Novopashina

Stötzel: Als die Kunsthändler den Welfenschatz Ende der 1920er Jahre für 7,5 Millionen Reichsmark vom Herzog von Braunschweig-Lüneburg kauften, haben sie unbestritten ein sehr gutes Geschäft gemacht. Experten schätzten den Wert schon damals auf rund 24 Millionen Reichsmark. Die Beamten, die schließlich für das Preußischen Ministerium die Verhandlungen bis zum Kauf von 1935 führten, gaben in internen Berichten offen zu, dass die verbliebene Sammlung noch immer mindestens sechs bis sieben Millionen wert gewesen sei, man sie aber für weit weniger bekäme, da die Händler in Schwierigkeiten seien. Unter Experten ist es unumstritten, dass der gezahlte Preis nur einen Bruchteil des eigentlichen Wertes darstellte.

Der Welfenschatz wurde erst kürzlich zum "national wertvollen Kulturgut" erklärt. Denken Sie nicht, dass er in Deutschland bleiben und der Öffentlichkeit zugänglich sein sollte?

Urbach: Deutschland wurde die Sammlung von den Alliierten in der Nachkriegszeit unter der Auflage zugesprochen, sie an die tatsächlichen Eigentümer zurückzugeben, sobald diese festgestellt werden könnten. Dieser Teil der Geschichte wurde in der Zwischenzeit offenbar vergessen. Dass Deutschland ausgerechnet in einer Situation, in der alle wissen, dass es unsere Mandanten gibt und sie nicht mit der Situation einverstanden sind, den Welfenschatz zum nationalen Kulturgut erklärt, ist ein Schritt weg von jeglicher Form der Wiedergutmachung. Dieser Schritt war sehr unsensibel und hätte nicht passieren dürfen. In einigen Wochen wird eine erste Anhörung vor dem Gericht in Washington stattfinden, in Anwesenheit beider Parteien. Wir werden dann eine erste Einschätzung bekommen, wie die Richterin die Sache sieht.

Das Interview führte Sarah Judith Hofmann

Stichwort Welfenschatz:
Der Welfenschatz ist eine Sammlung mittelalterlicher Reliquien und kirchlicher Prunkstücke aus dem Dom von Braunschweig, die 1671 in den Besitz des Fürstenhauses der Welfen gelangte. Dieses verkaufte die 82 Objekte 1929 an ein Konsortium jüdischer Kunsthändler, die die Sammlung dann laut Kaufvertrag weiter veräußern sollten. Zunächst gelang ihnen der Verkauf nach früherer Darstellung der Limbach-Kommission aber nur mit etwa der Hälfte der Stücke. 1934 trat dann die Dresdner Bank im Auftrag des Preußischen Staates an das Konsortium heran, um die restliche Sammlung aufzukaufen, die sich seinerzeit außerhalb Deutschlands in Amsterdam in Verwahrung befand. Ein Jahr später schlossen beide Seiten das Geschäft für eine Kaufsumme von 4,25 Millionen Reichsmark ab. Bei Kriegsende beschlagnahmten die Alliierten die 42 Stücke in Berlin. Später landeten sie bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die sie seither ausstellt. Nach Schätzungen von Experten liegt der derzeitige Wert der Exponate bei 220 bis 260 Millionen Euro. (afp, dpa)

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